Freiheit für die Selbstfindung am Sonntag

Freiheit für die Selbstfindung am Sonntag

Predigt zu Mt 12, 1-8

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Was kann uns das heutige Evangelium sagen? 2000 Jahre nach dem Streitgespräch Jesu mit den Pharisäern? Was bedeutet uns der Sonntag, der erste Tag in der Woche? Haben wir noch Probleme damit, Ähren am Sonntag zu pflücken und das Korn zu essen?
Die Situation hat sich für uns doch erheblich geändert gegenüber Realität und Empfinden frommer Juden vor 2000 Jahren. Aber selbst ich habe noch vor 50 Jahren bei einer Wandertour in Schottland erlebt, dass mich ein Schotte fragte, wie ich am heiligen Sonntag einen so schweren Rucksack tragen könnte? Nach seinem religiösen Empfinden hatte ich die Sabbatruhe gebrochen.
Der Sabbat war den Juden heilig, und dies galt vor Jahrzehnten auch noch vielen Christen für den Sonntag. Die Sonntagsruhe ist in vielen Ländern Europas auch gesetzlich verankert. Die meisten Industriebetriebe und Handelsgeschäfte haben sonntags geschlossen. Christliche Sozialpolitiker wie der engagierte Priester und Zentrumsabgeordnete Franz Hitze haben das in Verbindung mit den Gewerkschaften gegen den ungebremsten wirtschaftlichen Liberalismus zu Ende des 19. Jahrhunderts erkämpft und durchgesetzt. Aber ist heute noch selbstverständlich, dass sonntags die Geschäfte geschlossen haben? Wird mit den verkaufsoffenen Sonntagen nicht das hart erkämpfte Recht nicht schon wieder durchlöchert? und mit welchen Argumenten? Der Kunde möchte einmal in der Woche mit Ruhe und gemütlich einkaufen können. Streben nach Gewinnmaximierung sucht seine fadenscheinigen Argumente. Eines Tages findet ein eifriger Behördenvertreter das Argument, der Steuerzahler möchte am Sonntag mit dem Finanzbeamten ein ruhiges Gespräch finden können. So würde ein Gesetz unterwandert, bis es eines Tages in der Realität gar nicht mehr existiert.
Haben die Pharisäer vielleicht auch die Gefahr gesehen, dass Jesu Jünger schrittweise die Sabbatruhe durchbrechen? Jesus stellt klar: Gesetze und Verordnungen sind für den Menschen da, und nicht der Mensch für die Gesetze und Verordnungen. Wenn die Jünger Hunger haben, dürfen sie selbstverständlich die Ähren pflücken. Barmherzigkeit, mitfühlende Liebe steht über den kultischen Normen.
Keiner denkt bei uns daran, die vollkommene Sonntagsruhe bei Feuerwehr, Sanitätsdienst, Krankenhaus- und Pflegedienst und bei der Polizei einzuführen. Gesundheit, Pflege und Sicherheit der Menschen sind vorrangig gegenüber der Sonntagsruhe. So hatte auch schon David, worauf Jesus gegenüber den Pharisäern verweist, in der Notlage gehandelt.
Dennoch lassen sich heute einige kritische Fragen stellen? Warum zieht das Argument des gewünschten offenen Sonntags nicht bereits bei vielen unserer Zeitgenossen? Haben wir nicht längst aus dem Sonntag einen Tag des Events ge-macht, an dem es etwas zu erleben gilt? Galt es noch vor einigen Jahrzehnten, alle größeren und anstrengenderen Arbeiten zu meiden, nicht dem eigentlichen Beruf um des Gewinns oder des Lohnes nachzugehen, von Dienstleistungen und not-wendigen Erntearbeiten einmal abgesehen, so hat dieser Ruhetag, der Tag des Herrn, heute vielfach seinen Inhalt, seine tiefere Bedeutung, seinen Reichtum auch verloren.
Dabei ist dieser Ruhetag in der Fortführung des Sabbat alles andere als eine Einengung unserer Möglichkeiten, unserer Betriebsamkeit, sondern wäre eigentlich ein Geschenk: Das Geschenk der Freiheit, das Gott uns zugedacht hat. Am jüdischen Sabbat durfte, brauchte auch kein Tier für den Menschen arbeiten, es war ein Ruhetag für alle Geschöpfe. Wie gut könnte es sein, diesen Ruhetag noch wirklich zu pflegen, so gut es eben geht. Das heißt nicht, möglichst viel erleben zu müssen, an möglichst allen angebotenen Freizeitbeschäftigungen teilzunehmen, sondern auch einmal zu sich selbst zu finden, Zeit zu haben für sich selbst, für die Men-schen, die einem nahe sind, Zeit, die während der Arbeitswoche immer mehr fehlt, Zeit für die Familie, für Freunde, für Kranke, die wir nur am Sonntag besuchen können. So ließe sich in der Gesellschaft erfahren, welcher Segen, welch kultureller Gewinn ein gesetzlich gesicherter und sozial legitimierter Ruhetag in der Woche für uns alle ist.
Wir stehen heute in einer sozial völlig anderen Situation, als Jesus und die Pharisäer vor 2000 Jahren. Es geht nicht mehr um eine die Freiheit beschneidende Engführung des Sabbatgebotes, sondern um die Sicherung eines großen Kulturgutes, das seit mehr als 2000 Jahren durch das kleine Volk der Israeliten auf uns gekommen ist, das die Christen als hilfreich erfahren haben für die Bewältigung ihres Lebens.
Am Ende des heutigen Evangeliums aber steht ein Satz, der heute wie vor 2000 Jahren Gültigkeit hat: „Der Menschensohn ist Herr über den Sabbat.“ Jesus gibt dem Sabbat, damit dem Sonntag noch eine Perspektive, die über die große kulturelle Leistung des Sabbats hinausweist, ihm einen tieferen Sinn gibt, der auch alle normativen Engführungen sprengt.
Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat. Für uns heute mag das heißen: Der Tag des Herrn ist für uns Menschen da, dass wir diesen Tag als Geschenk annehmen und wahrnehmen, dass wir nicht mit Uhr und Kalender durch diesen Tag stolpern und am Ende irgendwann einmal atemlos werden – und atemlos ist oft auch geistlos und sinnlos. Der Sabbat ist kein Selbstzweck, sondern dient der Gottesverehrung, damit auch letztlich unserer Selbstfindung in Freiheit.

Amen

Bürgerreporter:in:

Manfred Hermanns aus Hamburg

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