"Die sind ja eigentlich gar nicht so behindert ..."

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Mobil mit Behinderung e.V.
Verein zur Unterstützung behinderter Menschen
zum Erreichen und Erhalt der individuellen Mobilität
"Die sind ja eigentlich gar nicht so behindert ..."
Kolumne vom 27.06.2011

Meine Meinung zu dem unsäglichen Thema politische Korrektheit ist ja inzwischen hinlänglich bekannt. Ich bezeichne mich nach wie vor als Behinderten. "Menschen mit Behinderungen" - Erst einmal sind Wesen, die diesen Ausdruck sinngemäß erfassen können mit großer Wahrscheinlichkeit Menschen. Außerdem müsste es politisch korrekt ja in Konsequenz "MenschInnen mit Behinderung" heißen.

Kolumne von Robert Schneider einem selbst Betroffenen des MMB e.V.

Das meine ich natürlich nicht ernst. Dass aus körperlich und geistig Behinderten jetzt Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und Menschen mit Lernschwäche geworden sind, damit kann ich mich immer noch nicht anfreunden. Dass Blinde in diesem Fall ja "eigentlich gar nicht so behindert" sind, wie es mal jemand in einer Arbeitsgruppe mir gegenüber behauptete, wäre eine direkte Folge dieser Umbenennung. Ich fiel vor Lachen fast aus dem Rollstuhl, was meinen Gegenüber dazu brachte, sich seinen Beitrag noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Wir waren beim Thema Barrierefreiheit. Er meinte damit, dass Blinde und Schwerhörige im Regelfall auch ohne Hilfe eine Stufe oder Treppe überwinden können und hat sich auch gleich korrigiert.

Im anglo-amerikanischen Sprachraum waren Behinderte früher "handicapped", wörtlich behindert. Jetzt sind es "people with disabilities". Dafür gibt es keinen deutschen Ausdruck. Am nächsten kommt dem vielleicht: "Leute mit Unfähigkeiten". Sinngemäß könnte man sagen: "Leute mit Funktionseinschränkungen". Das ist zwar genauso gedrechselt, aber man trampelt wenigstens nicht so penetrant auf dem Attribut Mensch herum.

Damit die Seh- und Hörbehinderten jetzt ihre Ausweise nicht an die Legastheniker weitergeben müssen, hat man einen neuen Begriff eingeführt: "Sinneseingeschränkt".

Einen Vorteil hat die Sache, kein Mensch würde sagen: "Ey Aldem, bist du sinneseingescharenkt oder was?"

Ich glaube, wenn die Menschen nicht jede Silbe auf die Goldwaage legen würden, sondern annähmen, dass vielleicht nicht alle jede Sprachfeinheit aus dem ff beherrschen, wir hätten viel weniger unnötiges Herumformulieren.

Gleichgültig, wie wir Behinderte jetzt bezeichnen, bei den meisten Veranstaltern sind sie, gleich welcher Art, gleichgestellt. In vielen Freizeitparks zahlen sie ermäßigten oder gar keinen Eintritt. In einem Internetforum gab es da mal hitzige Diskussionen. Jemand stellte die Frage, mit welchem Recht Behinderte ermäßigten oder freien Eintritt beanspruchen. Also, wenn mir jemand zeigt, wie ich mit meinem Rollstuhl beispielsweise in die Wildwasserbahn hinein und unten wieder heraus komme, zahle ich gerne den vollen Eintritt. Wollen wir das Thema hier nicht vertiefen.

Manche Sportvereine zeigen in der Berücksichtigung des Themas Behinderung ungeahnte Kreativität.

Es gibt Sportstadien, da sitzen die Rollstuhlfahrer am Spielfeldrand, während die Blinden hinter der Anzeigetafel platziert werden. Das kann ich ja noch einigermaßen nachvollziehen. Wenn ich meine Umwelt nur akustisch wahrnehme, dann brauche ich nicht unbedingt direkte Sicht auf das Geschehen. Ausserdem laufe ich keine Gefahr, von einem verirrten Ball getroffen zu werden. Ein sehender Mensch könnte ja eventuell noch ausweichen.

Ein fränkischer Fussballverein hat den Vogel abgeschossen. Bei ihnen kostet eine Eintrittskarte für "Vollzahler" 10 - 24 Euro, je nach Platz.
Eine Rollstuhlfahrerkarte, die auch die Begeitperson einschliesst, kostet 8 Euro.
Die Blindenkarte, ebenfalls inklusive Begleitperson liegt bei 15 Euronen.
Äh, hab ich da was nicht verstanden?

Da hat man wohl den Wettbewerbsgedanken in die Behinderung getragen. Wer hat eigentlich mehr vom Spiel? Die Rollstuhlfahrer am Spielfeldrand, oder die Blinden, jetzt mal egal wo sie sitzen oder stehen. Die können das Spiel sowieso nur akustisch wahrnehmen.

Vielleicht ist es ja der Kostenfaktor. Also, bei Sitzplätzen könnte ich es noch verstehen. Die müssen bereitgestellt und frei gehalten werden. Rollstuhlfahrer bringen ihren eigenen Stuhl mit. Allerdings benötigt ein Rollstuhl je nach Ausstattung den zwei- bis dreifachen Platz eines üblichen Kunststoffsitzes. Bei Stehplätzen ist es noch krasser, da kann ich locker vier bis fünf Leute da hin stellen, wo ein mittlerer Rollstuhl steht.

Bleibt nur eine Erklärung: Blinde sind doch nicht so behindert - in den Augen der fränkischen Fussballfreunde.

Ich bleibe dabei: Behindert ist behindert. Für die Betreffenden ist die jeweilige Behinderung Einschränkung genug.

Da noch einen Wettbewerb draus zu machen, wäre der Gipfel der Geschmacklosigkeit!

Bürgerreporter:in:

Klaus-Dieter Dingel aus Bad Wildungen

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