Die Gremsheimer Kopfbuche - Die einst größte Stüntelbuche der Welt stirbt einen langsamen Tod

Die Gremsheimer Kopfbuche - eine Besonderheit unter den Baumarten.
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Drei Kilometer nördlich von Bad Gandersheim, nahe der Harzberge, liegt das kleine Dorf Gremsheim. Es wäre nicht besonders erwähnenswert, hätte es nicht etwas Außergewöhnliches zu bieten. Eineinhalb Kilometer östlich des Dorfes, kurz unter den leicht ansteigenden Hängen des Hebers, steht mitten in der Feldmark ein ganz besonderer Baum. Das ist die „Gremsheimer Kopfbuche“. Sie war einmal, bevor im Jahr 2004 von ihr ein starker Ast abbrach, die größte Süntelbuche der Welt. Und obwohl sie mit 215 Jahren längst eine Greisin ist, gibt sie immer noch – und eigentlich gerade deswegen - eine gute Figur ab. Mit einem Stammumfang von sechs Metern hält sie unter den Süntelbuchen den Weltrekord. Sie ist zwar nur 14 Meter hoch, hat aber einen Kronendurchmesser von stolzen 24 Metern. Und das ist das charakteristische an dieser Baumart. Sie wächst nicht in die Höhe, sondern in die Breite. Aber noch etwas anderes ganz Besonderes zeichnet sie aus. Das sind ihre Äste. Die wachsen nämlich nicht wie gewöhnlich bei Bäumen einigermaßen gerade, sondern sie winden sich in jede nur erdenkliche Richtung, was als Drehwuchs bezeichnet wird. Deswegen wurden sie früher auch Krüppelbuchen, Hexen- oder Teufelsholz genannt. Und sie wurden, da sie auf Grund dessen zu nichts zu gebrauchen waren, gnadenlos abgeholzt. Sie störten in der Landschaft, und ein Großteil von ihnen fiel Mitte des 19. Jahrhunderts der damaligen Flurbereinigung, der Verkopplung, zum Opfer. So auch die Süntelbuchen-Gruppe bei Gremsheim. Damit sank ihre Zahl in Deutschland, in einem Land, in dem es etwa 90 Milliarden Bäume gibt, von einigen Tausend auf unter 100. Damit war die Süntelbuche vom Aussterben bedroht. Nur noch kleinste Gruppen und einzeln stehende Bäume, die das Alter so nach und nach dahinraffte, blieben mehr oder weniger erhalten.

Doch sie sollten sich danach wieder vermehren. Gutsbesitzer verschenkten Bucheckern an Freunde in anderen Ländern. So gibt es Süntelbuchen heute auch in Frankreich, Dänemark, Holland, Belgien und Schweden. Jüngere Bäume in Parks und Botanischen Gärten in ganz Europa und den USA. Um die Art zu erhalten, wurde sogar zwischen Süntel und Deister vor 30 Jahren oberhalb der Orte Nettelrode und Luttringhausen ein Süntelbuchen-Reservat angelegt. Bis die Bäume eine eindrucksvolle Größe erreichen, wird es allerdings noch seine Zeit brauchen. Und bei der Adelsfamilie von Münchhausen ist es eine schöne Tradition, jeder Tochter nach ihrer Heirat an ihrem neuen Wohnort eine Süntelbuche anzupflanzen.

Aber was sind Süntelbuchen überhaupt, und wo ist ihr angestammter Lebensraum? Diese seltenen Bäume sind eine Unterart der Rotbuche. Ihr ursprüngliches Vorkommen beschränkte sich früher auf den Lebensraum zwischen dem kleinen Bergzug des Süntel, 30 Kilometer westlich von Hannover gelegen, über das Weserbergland bis zum Wiehegebirge hin. In früheren Zeiten wurde diese ganze Gegend als Süntel bezeichnet, weswegen sie ihren Namen erhalten hat. Im Durchschnitt werden die Bäume 120 bis 160 Jahre alt. Wegen ihres seltsamen von der Statik her sehr ungünstigen Wuchses, brechen sie in höherem Alter auseinander. Ihr Sterben beginnt, so wie bei der Gremsheimer Kopfbuche. Ungewöhnlich ist es, wenn die Bäume ein Alter um die 200 Jahre und darüber erreichen. Angewiesen sind sie auf Fremdbestäubung durch den Wind. Und da sie oft einzeln und fernab anderer Bäume stehen, ist eine Samenbildung kaum möglich. Das macht ihr Überleben so schwer. So konnte man in den letzten Jahrzehnten im Bereich des Süntel so manchen dieser Bäume sterben sehen. Heute jedoch ist es Sitte geworden, neben einem sterbenden Baum eine neue Süntelbuche anzupflanzen. Und so ist es auch in Gremsheim.

Wer sich diesen besonderen Baum einmal ansehen möchte, der muss von Hannover aus nicht weit fahren. Über die A 7 erreicht man das Dorf Gremsheim in nicht viel mehr als einer Stunde. Von dort führt ein Wanderweg durch schöne Feldlandschaft zum Waldrand des Heber hinauf, auf dessen anderer Seite im Dorf Mechtshausen Wilhelm Busch seine letzten 10 Lebensjahre verbracht hat. Er war sehr naturverbunden und oft im Wald des Heber unterwegs, an dem er sich tagtäglich erfreute. Und so manches Mal wird er vermutlich auch an der Kopfbuche gestanden haben, um ihren Wuchs zu bewundern, obwohl sie da erst um die 100 Jahre alt war. Natürlich können Interessierte den Besuch des Baumes gleich mit einem des damaligen Wohnhauses von Busch verbinden, in dem ein kleines Museum eingerichtet ist.

Wenn man nun nach schöner Wanderung – für den Rundweg benötigt man eineinhalb Stunden, kann ihn natürlich beliebig verlängern oder auch zu Fuß nach Mechtshausen hinüber wandern – durch Felder und am Waldrand entlang mit wunderbaren Ausblicken in die weite Landschaft die Kopfbuche erreicht, dann ist Staunen angesagt. Sie steht inmitten der Felder, über einen kleinen Pfad erreichbar. Vom Stamm sieht man erstmal, während der Zeit des Blättertragens, nichts. Man sieht je nach Jahreszeit nur eine weit ausladende grüne oder bunte Kuppel. Wenn man durch das Blätterdach hindurch tritt, dann offenbart sich der ungewöhnliche Baum von seiner eindrucksvollsten Seite. Der zwei Meter dicke Stamm gabelt sich in nicht viel mehr als Kopfhöhe. Zwei starke Äste streben von dort nach oben. Und die wiederum gehen über in andere Äste und Zweige, die den typischen Drehwuchs zeigen, der entgegengesetzt der Schwerkraft sich oft schlangenartig in alle Richtungen windet. Es ist kaum zu glauben, was die Natur hervorbringen kann. Leider sieht man oben an einem der sich gabelnden Hauptäste ein tiefes Loch. Dort war es, wo vor 16 Jahren ein weiterer Hauptast abgebrochen war, der in einigen Metern Entfernung am Feldrand liegt. Diese tiefe Wunde wird dem Baum zusätzlich zu seinem Alter durch Pilzbefall stark zusetzen und sein Sterben verkürzen. Wie lange die Gremsheimer Kopfbuche noch stehen wird, ist nicht voraussehbar. Aber ich könnte mir gut vorstellen, dass sie ein Alter, wenn vielleicht auch als Baumruine, zwischen 250 und 300 Jahren erreichen wird. Schon ihr jetziges Alter ist ungewöhnlich. Das allerdings wäre dann sehr ungewöhnlich. Und wahrscheinlich wäre dieser Baum dann, neben der Süntelbuche in Lauenau, der älteste seiner Art auf der ganzen Welt.
Seinen ebenfalls ungewöhnlichen Namen der „Kopfbuche“ hat der Baum früher von den Bauern der Umgebung erhalten. Sie dachten, dass die Buche, so wie Kopfweiden auch, von ihren Vorfahren gescheitelt, also beschnitten worden war. Doch das ist nicht der Fall, ist sie doch auf natürliche Weise so gewachsen.
Wer nun noch mehr Bäume dieser besonderen Art bestaunen möchte, der stattet der Süntelbuche in Lauenau nahe des Süntel einen Besuch ab, schlendert durch den Kurpark von Bad Nenndorf, wo es eine Süntelbuchen-Allee gibt, oder durch den Berggarten in Hannover, wo ein Baum steht, dessen Äste durch den Boden kriechend neue Wurzeln geschlagen haben und der dadurch eine enorme Größe hat. Egal wo auch immer man auf eine Süntelbuche trifft. Ihre Art ist eine botanische Rarität und damit etwas ganz Besonderes, was die Natur hervorgebracht hat. Und wie so oft in der Natur ist dann vor so viel Eindrucksvollem Staunen angesagt.

Siehe auch: - Alte und uralte Bäume - Eindrucksvolle Naturdenkmale in Niedersachsen                     - Stirbt der deutsche Wald?                     - Toter Wald im Nationalpark Harz ist kein Grund zur Sorge

Bürgerreporter:in:

Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode

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