"Als die Römer frech geworden..." - Am Harzhorn, nahe Bad Gandersheim, befindet sich eines der am besten erhaltenen antiken Schlachtfelder Europas

Der Kampf der Germanen gegen ein großes römisches Heer, das aus 20.000 bis 30.000 Legionären, inclusive Versorgungseinheiten,  bestanden haben könnte, hat vermutlich im Jahr 236 n. Chr. stattgefunden.
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  • Der Kampf der Germanen gegen ein großes römisches Heer, das aus 20.000 bis 30.000 Legionären, inclusive Versorgungseinheiten, bestanden haben könnte, hat vermutlich im Jahr 236 n. Chr. stattgefunden.
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Westlich des Harzes, zu Leine und Weser hin, befindet sich eine idyllische Landschaft. Kleinere bewaldete Höhenzüge, die selten höher sind als 300 Meter und weitere Feldflächen wechseln sich ab. Darin eingesprenkelt sind viele kleine Dörfer. Einer dieser Höhenzüge ist der Vogelberg, nur wenige Kilometer südöstlich von Bad Gandersheim gelegen. Er bildet Richtung der nahen Harzberge eine Art Sporn, das Harzhorn, das fast die A7 berührt, die von Hannover nach Kassel führt und die heute eine alte Heer- und Handelsstraße aus dem Mittelalter ersetzt. Vom Harzhorn zog sich aber schon vor der Zeit des Mittelalters ein Weg über den Kamm des Vogelberges nach Westen hinüber. Und dort war es, wo Hobbyarchäologen im Jahr 2000 einige rostige Gegenstände fanden. Sie ordneten sie in die Zeit des Mittelalters ein. Doch acht Jahre später wurde klar, dass sie falsch lagen. Die Gegenstände waren noch älter, und sie waren römischen Ursprungs.

Zunächst nahmen sich einige lokale Wissenschaftler der Sache an, zogen dann aber die Hilfe von Archäologen von Braunschweiger Landesamt, aus Osnabrück, wo bekanntlich bei Kalkriese die Varusschlacht stattgefunden hat und aus Berlin zu Hilfe. Und nur wenige Jahre später stellte sich heraus, dass hier, am Harzhorn, eine gewaltige Schlacht stattgefunden hatte, die nicht weniger geschichtsträchtig war als die berühmte Varusschlacht auch. Und das war eine absolute Sensation, denn das bedeutete die Umschreibung der römischen Geschichte. Bis dahin konnte sich die Wissenschaft nicht vorstellen, dass zu so später Zeit noch römische Verbände tief nach Germanien eindringen würden. Bis heute konnten immerhin über 3000 Artefakte gefunden werden, die Zeugnis von diesem Ereignis ablegen. Aber was war das für eine Schlacht, und wie konnte es dazu kommen?

Im 1. Jahrhundert reichte das Siedlungsgebiet der Rhein-Weser-Germanen vom Rhein bis zum Harz im Osten und vom Main bis zur Norddeutschen Tiefebene. Sie waren zum Teil mit den Römern verbündet, konnten es im Römischen Heer sogar zu hochgestellten Persönlichkeiten bringen. Arminius, auch bekannt als Hermann der Cherusker, ist ein Beispiel dafür. Und auch am Harzhorn kämpften wahrscheinlich Germanen im Dienste der römischen Verbände gegen Germanen.
Weiter im Osten siedelten die Elbgermanen, die von einem römischen Chronisten als groß, mit furchterregenden blauen Augen und rötlichen Haaren beschrieben wurden. Seit Ende des 2. Jahrhunderts nun, drangen diese Elbgermanen nach Westen vor. Sie siedelten auch in den Gebieten der Rhein-Weser-Germanen, die sie zum Teil verdrängten, und damit im römischen Einflussbereich. Es kam sogar so weit, dass die römische Zivilbevölkerung auf der linken Rheinseite in Sicherheit gebracht werden musste. Das sorgte für eine enorme Unruhe und das durfte aus römischer Sicht nicht sein. So kam es, dass sich die Römer unter Führung des späteren Kaisers Maximinus Trax im Jahr 235 n. Chr. zu einem Feldzug entschlossen, der die Sache bereinigen sollte. Von Mainz zog dieses gewaltige Heer in das Gebiet von Werra und Fulda, ins Thüringische Becken und weiter an die Elbe, wo es zu einer ersten großen Schlacht kam, der „Schlacht im Moor“. Von dort ging es auf anderem Weg zurück.

Das Land am Harzrand war also nun von den Elbgermanen besiedelt, meist an fließenden Gewässern von Flüssen oder Bächen. Die Dörfer waren klein, maßen kaum mehr als 300 Meter im Durchmesser. Die locker gestreuten Gehöfte bestanden aus langen Wohnhäusern und Stallgebäuden, in Fachwerkbauweise errichtet und mit Hüttenlehm weiß gekalkt. Vorratsgebäude standen auf Ständern, um vor Kornfraß und Feuchtigkeit zu schützen, wurden aber auch als Gruben angelegt.

Durch diese zersiedelte Landschaft zog also nun, plündernd und brandschatzend, mussten doch Tausende auch mit Lebensmitteln versorgt werden, der riesige viele Kilometer lange römische Heerzug. Vorweg Maximinus Trax mit seiner Leibgarde. Er wollte sofort zur Stelle sein, wenn es irgendwo zu Problemen, zu Gefechten kommen sollte. Dahinter folgten die Pioniere, mit Kreuzhacken und Äxten ausgestattet, um nötigenfalls den Weg durch unwegsames Gelände freimachen zu können. Danach die Legionsverbände, angeführt von einer Reiterei. Jedem Legionsverband folgte ein Tross Wagen, von Maultieren gezogen. Sie transportierten Waffen, die Truppenverwaltung, Ärzte und auch die wertvolle Kriegskasse. Dahinter wiederum die Infanterieverbände. Bogenschützen, Speerschleuderer und vermutlich auch Panzerreiter, die den Germanen vollkommen unbekannt waren, und die jederzeit dort eingreifen konnten, wo Gefahr in Verzug war.
Und nun erreichte der Heerzug den Vogelberg mit dem Harzhorn, wo der Weg zu einem Pass steil bergauf führt, so dass Legionäre und Maultiere ordentlich ins Schnaufen gerieten. Diese für sie günstige Stelle wählten die Germanen zum Angriff. Zur Rechten brachen sie über einen Steilhang aus dem Wald hervor, schossen ihre langen Holzbögen ab und schleuderten ihre Wurfspeere, die mit Wiederhaken versehen waren. Andere Waffen für den Nahkampf waren Lanzen zum Stechen und auch Schwerter. Zum Schutz dienten ihnen runde Holzschilde mit eisernem Buckel, die mit ungegerbter Haut überzogen waren. Die Anführer waren zusätzlich von einem Kettenhemd geschützt, das aus bis zu 30.000 Ringen bestehen konnte. Außerdem trugen diese goldene Armringe, mit Gold belegte, silberne Schildbuckel und Schwerter.

Natürlich rechneten die Römer, die ihre Späher vorrausgeschickt hatten, mit Angriffen. Trotzdem lag das Überraschungsmoment auf germanischer Seite, hatten diese doch die strategisch günstige Landschaftsform ausgewählt, die es den Römern schwer machte, sich irgendwie zu verteidigen. Und so kam es an dem steilen Weg zum Pass hinauf, als die Germanen dort aus dem Dickicht hervorbrachen, vermutlich zunächst zu einem heillosen Durcheinander. Die Maultiere gerieten in Panik, gingen vielleicht durch. Ein Wagen stürzte den Hang hinunter, wie es Funde bezeugen. Andere Funde von Pfeilspitzen zeigen heute noch an, aus welcher Richtung die Germanen angegriffen haben. Und es sollte eine Weile dauern, bis sich die Römer fingen und ihnen andere Verbände zu Hilfe kamen, so dass sie die Germanen schließlich zurückwerfen konnten. Das war für diese ein guter Zeitpunkt sich abzusetzen und zurückzuziehen. Die Römer sammelten nach der Schlacht die wertvollen Gegenstände auf. Den Rest ließen sie liegen, wo er fast 1800 Jahre später gefunden wurde.

Diese Schlacht war aber anscheinend nicht die einzige Kampfhandlung, wurden doch in den Jahren darauf von den Archäologen am gegenüberliegenden Kahlberg weitere Kampfspuren mit vielen Artefakten entdeckt. Darunter auch Münzen, Denaren, die zur selben Zeit passen, wie die am Harzhorn gefundenen. Und dort, am Kahlberg, fanden sich auch besonders viele Lanzen, römische und germanische. Auch Äxte, Kreuzhauen, Helm- und Beinschienenfragmente, eine Menge Wagenzubehör und viel mehr. In einem Schlucht ähnlichen Gelände war es damals zu erneuten Kampfhandlungen gekommen. Danach zogen die Römer ab, denselben Weg, den sie auch gekommen waren. Über Hedemünden nach Mainz, wo Maximinus Trax als Sieger sicher groß gefeiert wurde. Später in Rom ließ er große Gemälde von der Schlacht anfertigen und aufstellen, um von seinen Heldentaten nicht nur schriftlich, sondern auch bildlich zu berichten. Und daraufhin wurde er sogar noch im selben Jahr zum Kaiser gekrönt. Aber auch die Germanen durften sich irgendwie als Sieger fühlen, hatten sie doch wohl ordentlich Beute gemacht und den Römern mächtig zugesetzt.

Was bei der Schlacht nun genau passierte, kann heute im Nachhinein durch die Archäologie natürlich nicht vollständig geklärt werden. Aber es gibt durch die vielen Funde Belege dafür, wie die Schlacht abgelaufen ist und abgelaufen sein könnte. Das sind z. B. die verschossenen Pfeile, deren Spitzen davon Zeugnis ablegen, ebenso wie die Katapultbozen der Torsionsgeschütze, anhand derer ebenfalls die Angriffsrichtung festgestellt werden konnte. Die verlorenen Schuhnägel der Römer weisen auf die Marschrichtung hin. Und es konnten sogar diverse Einzelschicksale von Kämpfern nachgewiesen werden, die durch Funde belegt sind. Durch das alles und noch viel mehr kann die Schlacht zumindest so einigermaßen rekonstruiert werden.

Was nun die Germanen zum Angriff auf den römischen Heerzug bewegte, kann nicht wirklich geklärt werden. Wollten sie vielleicht Geiseln ihres Stammes befreien? Wollten sie einfach nur reiche Beute machen? Ging es ihnen darum, sich zu rächen, waren die Römer doch plündernd, eine blutige Spur hinterlassend, durch ihr Land gezogen? Oder wollten sie Revanche nehmen für die Schlacht im Moor, die zuvor weiter nördlich stattgefunden hatte? Das wird wohl für immer im Dunkeln der Geschichte verborgen bleiben.

Das muss es aber nicht für den Besucher des Harzhorns. Bei Licht betrachtet kann er nach fast 1800 Jahren zwar keine Spuren der großen Schlacht mehr erkennen. Dafür aber ist es interessant, auf einem etwa 650 Meter langen Rundweg, der zumindest einen kleinen Teil des zwei Kilometer langen Kampfhandlungsgeländes erschließt, beginnend bei einem Info-Gebäude, das Gelände kennen zu lernen, wo dieses damals in der Antike große Ereignis stattgefunden hat. Man wandert den relativ steilen Weg durch den meist aus Buchen bestehenden Wald hinauf. Informationstafeln geben Erklärungen zu einzelnen Geschehnissen des Kampfes ab, die durch Funde belegt sind. Mal sind es Teile eines Maultierkarrens, mal das Skelett eines verendeten Pferdes, das in eine Grube gestürzt ist, die Spitzen von Wurfspeeren, natürlich die der Pfeile und der Geschosse der Torsionsgeschütze, von denen man den Standplatz weiß, da nur dort für sie Platz war, die Schuhnägel, die Aufschluss über den Weg der Legionsverbände geben und etliches mehr. Und dann erreicht man eine Höhe kurz unter dem Pass, wo die Hauptkampfhandlungen stattgefunden haben. Dort wurden die meisten Artefakte gefunden, deren Fundstellen, wie andernorts auch, zum Teil durch Fähnchen markiert sind. So hat man eine bessere Vorstellung von der Dichte des Kampfgeschehens.
Wer sich für Geschichtliches interessiert oder vielleicht einfach mal eine Wanderung durch eine schöne Landschaft aus Feld- und Waldlandschaften machen möchte, der ist am Harzhorn, das direkt an der Autobahn liegt und gut erreichbar ist, am richtigen Ort. Dort ist Weltgeschichte geschrieben worden, da ist man ihr besonders nah. Und das ist schon irgendwie beeindruckend.

Und wer noch nicht genug hat von römischer Geschichte, der sieht sich im Anschluss noch das Gelände des einstigen Römerlagers von Wilkenburg bei Hannover an. Es ist eines der größten nördlich des Limes, das ebenfalls von herausragender archäologischer Bedeutung ist. Wohl wochenlang hielten sich tausende Legionäre an dieser damals engen Stelle der Leineniederung auf und hinterließen auch dort jede Menge Artefakte. Es wäre äußerst tragisch, wenn dieses Gebiet dem Kiesabbau zum Opfer fallen würde. Eine Petition dagegen haben viele Interessierte unterschrieben, die dem Niedersächsischen Landtag eingereicht wurde.

Siehe auch:  - Ein Kampf um Rom                     - Pont du Gard - Ein antikes Römerbauwerk der Superlative

Bürgerreporter:in:

Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode

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