Zeitzeugen und Opfer der Massaker der SS- und Wehrmachtsverbände in Marzabotto berichten

15. Mai 2013
19:30 Uhr
Evangelisches Forum Annahof, 86150 Augsburg
Anna Rosa Nannetti und Gian Luca Luccarini mit Dr. Bernhard Lehmann in der Gedenkstätte in Marzabotto
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  • Anna Rosa Nannetti und Gian Luca Luccarini mit Dr. Bernhard Lehmann in der Gedenkstätte in Marzabotto
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Gegen Vergessen-Für Demokratie greift Tabuthemen auf und möchte Betroffenheit schaffen. Aus diesem Grunde hat der Sprecher der regionalen Arbeitsgruppe Augsburg-Schwaben nach seinem Besuch in Marzabotto Zeitzeugen nach Augsburg eingeladen. Interessierte können am Mittwoch dem 15.Mai um 19.30 Uhr an der Lesung der Opfer im Evangelischen Forum Annahof teilnehmen und mit den Betroffenen sprechen.

Nach fast 70-jährigem Schweigen beginnen die Opfer zu sprechen.
Anna Rosa Nannetti, Matilde Grünhage Monetti und der Vorsitzende des Opferverbandes von Marzabotto, Gian Luca Luccarini werden auf Einladung von Gegen Vergessen-Für Demokratie in der Zeit vom 14.5. bis 16.5 in Augsburg Schüler über die schrecklichen Massaker informieren, über die Gerichtsverfahren in Deutschland und in Italien, aber auch über die Versöhnungsbestrebungen der internationalen Schule auf dem Monte Sole.

Die deutsche Öffentlichkeit weiß immer noch so gut wie nichts über die grauenhaften Morde der SS-Verbände in Italien. Nach dem Waffenstillstand der Italiener mit den Alliierten im September 1943 wurden Hundertausende von Soldaten und Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert, Tausende unschuldiger Menschen, vor allem Kinder, Jugendliche und Frauen auf grausamste Weise in Italien willkürlich massakriert. Es ist bedenklich, dass die Mehrzahl der Täter von damals noch immer nicht bestraft worden ist, Gerichtsverfahren verschleppt oder niedergeschlagen wurden und die Opfer bis zum heutigen Tage weder juristische noch finanzielle Genugtuung erfahren haben. Es stellt sich die Frage nach dem Umgang der Deutschen mit der NS-Vergangenheit im Kalten Krieg, nach der Rolle der deutschen und italienischen Justiz nach 1945. Wegen der Integration Westdeutschlands in die EWG und in das militärische Bündnis der NATO vermied man es auch seitens der Italiener, diese Verbrechen konsequent aufzuklären. Den Zeitzeugen aber geht es nicht um Vergeltung, vielmehr wollen Sie Wege der Versöhnung aufzeigen.

Der Zeitzeuge Bruno Zerbi berichtet über die Massaker der Deutschen in Marzabotto unweit von Bologna am 29.9.1944:

„Wenn ich an meinen Vater Pietro denke, denke ich hauptsächlich an seinen Schmerz und sein Trauma, welches ihn sein ganzes Leben begleitet hat. An einem Nachmittag kam die SS nach Collula di Sopra. Mein Vater und sein Großvater liefen in den Wald, um sich zu verstecken. Pietros Schwester Bruna, 19 Jahre alt, erwartete ein Kind und wollte auch in den Wald laufen. Aber Pietro wollte nicht: “Nein, bleibe im Haus, du bist schwanger, die Soldaten suchen junge Männer, um diese nach Deutschland zu verschleppen! ….. Dann kam die SS und gab den Befehl, dass alle Personen ihre besten Kleider anziehen sollten für eine ‚lange Reise‘. Acht Personen wurden vor dem Haus aufgestellt, Frauen, Kinder und Männer. Alle wurden hingemetzelt, Pietros schwangere Schwester erschoss man, aus ihrem Mutterleib wurde der Fötus herausgerissen und auf das Seitengewehr aufgespießt.”

FERRUCCIO LAFFI, damals 16 Jahre alt:

Ich wohnte in Colulla di Sotto. Am 1.Oktober 1944 kamen die SS-Leute ein zweites Mal. Ich bin wieder mit meinen Brüdern in den Wald gelaufen. Nur die Männer versteckten sich, weil wir glaubten, dass den Frauen und den Kindern nichts geschehen würde. Wir hörten wieder die Schüsse in der Ferne, gegen Abend sind wir aus unserem Versteck herausgekrochen und sahen unser Haus in Flammen. Das Vieh war draussen und alles war so still. “Seltsam” dachte ich, “ich sehe niemand. Im Stall sahen wir unsere Toten: 14 Personen meiner Familie und 4 Personen die bei uns Zuflucht gefunden hatten. Wir haben die Toten begraben und sind in den Wald zurückgelaufen. Ich habe mich gerettet, obwohl die deutschen Soldaten mich mehrmals mit meinen 2 Brüdern aufgegriffen haben. Dann mussten wir schwere Munition tragen, im Regen. Einer meiner Brüder musste einen Karren ziehen, ich habe ihn nie mehr wiedergesehen“.

Es ist wichtig, dass die deutsche Öffentlichkeit endlich die Verbrechen zur Kenntnis nimmt und nicht länger tabuisiert.

Bürgerreporter:in:

Dr. Bernhard Lehmann aus Gersthofen

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