Stolperstein für Josef Faßnacht, Opfer der Krankenmorde der Nationalsozialisten

14. Juli 2020
15:00 Uhr
Schöpplerstraße 10, 86154 Augsburg
Anamnese von Josef Faßnacht in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren
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Josef Faßnacht, geb. am 2.Juni 1905, zwangssterilisiert am 9.4.1937, ermordet am 5. September 1940 in Grafeneck , letzter Wohnsitz in Augsburg Schöpplerstraße 10

Josef Faßnacht ist am 2.Juni 1905 in Augsburg geboren. Gemeinsam mit seinen Eltern Anna und Ägidius Faßnacht wohnt er bis zu seiner Erkrankung in Augsburg, Schöpplerstraße 10. Sein Vater ist Reichsbahnschaffner.

Josef hat eine sechs Jahre ältere Schwester Maria, die in ihrem elften Lebensjahr verstirbt. Seine zweite Schwester Maria Anna ist 6 Jahre jünger als er.

Josef ist Maschinenzeichner und seit seinem 15. Lebensjahr bei der MAN beschäftigt. Er hat eine ordentliche Schulausbildung absolviert und gilt in der Firma als sehr fleißiger und zuverlässiger Arbeiter. Josef ist hoch sensibel, er wiegt nur 60 Kg und ist 1,67 cm groß.

Anfang Dezember 1936 beobachtet seine Mutter bei ihm eine Art von Melancholie, er unterhält sich nicht mehr mit den Angehörigen, nimmt keine Nahrung mehr zu sich und leidet an Schlaflosigkeit. Als er sich mit Selbstmordabsichten trägt, von Eltern und seiner Schwester Maria Anna Abschied nimmt und sich aus dem Fenster zu stürzen droht, verbringt ihn die Mutter in die psychiatrische Abteilung des Städtischen Krankenhauses Augsburg.
Nach dem Befund der Ärzte handelt es sich bei Josef um eine katatone Form von Schizophrenie. Mit Zustimmung der Angehörigen wird er am 18.Dezember 1936 in die Heil-und Pflegeanstalt nach Kaufbeuren überführt. Die Ärzte dort halten ihn für ängstlich, depressiv, rat- und orientierungslos. Josef wird in Kaufbeuren in der Gärtnerei beschäftigt und gibt sich alle Mühe, baldmöglichst entlassen zu werden. Die Ärzte stellen fest, dass von Sinnestäuschungen und wahnhaften Gedankengängen bei ihm nichts mehr zu bemerken sei.
Am 2. März 1937, also kein Vierteljahr nach seiner Einlieferung, beantragt die Anstaltsleitung in Kaufbeuren dennoch seine Zwangssterilisation. Dem Einspruch seines als Vormund eingesetzten Vaters Ägidius wird nicht stattgegeben. Am 9. April 1937 wird Josef Faßnacht ins Städtische Krankenhaus Kaufbeuren zur „Unfruchtbarmachung“ überführt und von dort nach diesem Eingriff am 17.4. entlassen. Nach 14 Tagen darf Josef sogar wieder nach Hause, er muss sich aber mit seiner Mutter regelmäßig bei der Außenfürsorge in Augsburg einfinden. Seine Arbeit kann er nicht mehr aufnehmen.
Als sich sein Gesundheitszustand weiter verschlechtert und er wiederum von Sinnestäuschungen geplagt wird, er sich von Leuten gequält und beschimpft wähnt, keinen Schlaf mehr findet und einem Nachbarn droht, wird er am 10. Februar 1938 erneut in Kaufbeuren eingewiesen.
Josef hat nach wie vor wahnhafte Vorstellungen , weshalb er mit Luminal ruhiggestellt und mit einem Gürtel fixiert wird. Da er gegenüber Mitpatienten gewalttätig wird, unterziehen ihn die Ärzte einer Insulinbehandlung. Von seinen angeblichen „Kameraden“ in Augsburg erhofft er sich Hilfe für seine Befreiung.
Anfang Mai hat sich sein Gesundheitszustand wesentlich verbessert. Er macht auch psychische Fortschritte. Er schreibt Karten an seine Mutter, seine Schwester und an seine imaginäre Schwiegermutter und bittet um die Hand der Tochter. Über Monate hinweg ändern sich seine Phantasien kaum.
Im August 1938 wird Josef zunehmend gewaltbereiter. Er greift Mitpatienten an, wirft das Kruzifix und den Weihwasserkessel aus dem Fenster, attackiert den Pater, der eine Patientin besucht. Jedermann begrüßt er mit dem „deutschen Gruß“ und erwartet hunderte von Malen die gleiche Erwiderung. Die Ärzte setzen ihn wegen seiner Neigung zur Gewalttätigkeit unter Trional und isolieren ihn.
Im Januar 1940 notiert der diensthabende Arzt über Josef: „Kam letzte Zeit mehrmals in Rauferei mit anderen Kranken. Vollkommen unverändert“.
Der letzte Eintrag in seiner Patientenakte lautet: „In letzter Zeit ziemlich wortkarg. …… Muss immer von dem Abteilungssaal entfernt werden, wenn der Oberpfarrer während seiner Visite durch die Abteilung geht. …………. Patient kann wegen seines bedrohlichen Verhaltens nirgends beschäftigt werden. Körperlich unverändert. Wird verlegt. Gez. Ma
Ermordung in Grafeneck
Josef Faßnacht wird mit 75 weiteren Menschen aus Kaufbeuren mit den grauen Bussen der Gekrat (Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft) in die Tötungsanstalt nach Grafeneck transportiert und dort ermordet.

Mit ihm sind es weitere 30 Personen aus Augsburg, Haunstetten, Göggingen, Aystetten und Gersthofen, und zwar: Anholzer Johann, geb. 3.12.1879; Dr. Auernhammer Rudolf, geb. 28.1.1866; Baur Nikolaus, geb.18.11.1900; Bissinger Wilhelm, geb. 21.11.1888; Blank Johann, geb. 13.12.1885; Böck Georg, geb. 19.4.1886; Braig, Johann, geb. 24.6.1898; Büchs, Martin, geb. 29.10.1913; Christa, Franz, geb. 2.11.1919; Christl, Johann, geb. 7.12.1891; Falter Johann, geb. 28.10.1865;; Fürst, Otto, geb. 22.5.1908; Ganzenmüller Anton, geb. 16.10.1894; Gaugigl, Michael, geb. 25.8.1891; Hafenmaier, Otto, geb. 3.7.1884; Hartl, Franz Xaver, geb. 13.8.1882; Heinrich, Balthasar, geb. 9.12.1884; Joas, Leonhard, geb. 1.10.1904; Karl, Johann, geb. 4.3.1870; Kain, Ferdinand, geb. 16.3.1905; Kollmann Josef, geb. 21.8.1893; Köpfer, Emil, geb. 30.10.1876; Lutz Josef August, geb. 24.10.1894; Maas, Emil, geb. 14.1.1904; Mannhart, Karl, geb. 5.8.1904; Morhart, Ruppert, geb. 25.4.1914; Robl, Franz, geb. 6.10.1904; Rossmann Franz, geb. 30.11.1896; Schwarz, Oskar, geb. 12.12.1881; Seeger, Pankraz, geb. 4.3.1866.
Das Standesamt Grafeneck

Den Angehörigen werden nach der Vergasung der Opfer Todesurkunde und Asche des Verstorbenen zugesandt. Der Zeitpunkt des Todes und die Todesursache sind fingiert. Zum Zweck der Vertuschung der Massenmorde haben die Nazis in der Tötungsanstalt Grafeneck wie in den 5 anderen Tötungsanstalten ein Standesamt eingerichtet.
Die Angehörigen erhalten zusammen mit der Todesurkunde ein Beileidsschreiben, dessen Einheitswortlaut besagt, dass der Tod für den Betreffenden eine Erlösung dargestellt habe. Um die Massenmorde geheim zu halten, findet häufig auch ein Aktenaustausch unter den Tötungsanstalten statt. Todesurkunden und Beileidsschreiben von in Grafeneck Ermordeten werden demgemäß aus Brandenburg, Sonnenstein/Pirna oder Hartheim bei Linz verschickt.
Die Täter von Grafeneck- die Mörder der Vernichtungslager
Die Täter von Grafeneck finden sich in den Vernichtungszentren des Holocaust wieder. Dr. Horst Schuhmann (1906-1983), der erste Leiter und ärztliche Direktor von Grafeneck, war ab Herbst 1942 Lagerarzt in Auschwitz und selektiert an der Rampe von Birkenau Menschen für grausame, oftmals tödliche Röntgensterilisationsversuche. Dr. Christian Wirth (1885-1944), bis 1939 Kriminalkommissar in Stuttgart, steigt zum Inspekteur aller sechs Vernichtungsanstalten der Aktion T-4, zum Polizeimajor und SS-Sturmbannführer auf. Dann wirkt er an der „Endlösung“ der Judenfrage, der Ermordung der europäischen Juden mit. Im Rahmen der „Aktion Reinhard“ leitet Wirth den Aufbau des Vernichtungslagers Belzec, wird später dessen erster Kommandant und ab 1. August 1942 zum Inspekteur der Vernichtungslager Belzec, Treblinka und Sobibor ernannt. Dort sind nach heutigem Wissensstand 1,75 Millionen Menschen ermordet worden.
Bei der Aktion T 4 werden insgesamt 70.273 Menschen ermordet. Die sechs mit Gaskammern und Krematorien ausgestatteten Mordzentren waren: Hartheim/Linz; Grafeneck bei Reutlingen, Hadamar in Nordhessen, Brandenburg an der Havel, Bernburg an der Saale, Sonnenstein bei Pirna.

Biografie erstellt von: Dr. Bernhard Lehmann 86368 Gersthofen, Gegen Vergessen-Für Demokratie RAG Augsburg-Schwaben, Haydnstraße 53 bernhard.lehmann@gmx.de
Ausführliche Biografie im online Gedenkbuch Augsburg www.gedenkbuch-ausburg.de
Quellen und Literatur:
Stadtarchiv Augsburg, Gesundheitsamt, Akte Josef Faßnacht, Nr. 835
HistArch BZK Kaufbeuren, Patientenbogen Nr. 10525 Josef Faßnacht

BA Berlin R 179/8820 Josef Faßnacht

Götz Aly, Die Belasteten. „Euthanasie“ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte; Frankfurt 2014
Ernst Klee, „Euthanasie“ im Dritten Reich. Die Vernichtung „unwerten Lebens“; Frankfurt, 3. Auflage 2018
Michael Burleigh (Hrsg.): Tod und Erlösung. Euthanasie in Deutschland 1900-1945, Zürich 2002;
Michael von Cranach/Petra Schweizer-Martinschek, Die NS-„Euthanasie“ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, in: Stefan Dieter (Hrsg.): Kaufbeuren unterm Hakenkreuz, Kaufbeurer Schriftenreihe Band 14, Thalhofen 2015, S. 270-287

Ulrich Pötzl, Sozialpsychologie, Erbbiologie und Lebensvernichtung. Valentin Faltlhauser, Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee in der Zeit des Nationalsozialismus, München 1995
Thomas Stöckle, Grafeneck. Die Euthanasieverbrechen in Südwestdeutschland; Tübingen, 3. Auflage 2012
Wohnsitz in Augsburg:
Schöpplerstraße 10

Wir freuen uns, wenn Sie die Patenschaft für einen Stolperstein übernehmen. In diesem Fall wenden Sie sich bitte an folgende e-mail-Adresse: info@stolpersteine-augsburg.de oder aber an bernhard.lehmann@gmx.de
Ein handgefertigter Stolperstein kostet 120 Euro.
Sie können den Betrag überweisen auf das folgende Konto: 

Initiative Stolpersteine
IBAN: DE19720900000001290509
BIC: GENODEF1AUB
bei der VR Bank Augsburg-Ostallgäu eG

Bürgerreporter:in:

Dr. Bernhard Lehmann aus Gersthofen

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