Unsichere, ängstliche, Trauma-tisierte Hunde... … hoffnungslose Fälle?

Als Trauma wird allgemein ein Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß bezeichnet. Eine traumatisierende Verletzung kann sowohl körperlicher als auch seelischer Natur (Psychotrauma) sein. Zu einer psychischen Traumatisierung kommt es, wenn das Ereignis die psychischen Belastungsgrenzen übersteigt und nicht adäquat verarbeitet werden kann.
Geprägtes Verhalten verweist auf die Erfahrungen während der  wichtigen Prägephase des Welpen (5. – 12. Lebenswoche). Die Prägephase ist gekennzeichnet durch ein „besonderes“ Lernen, die Aufnahme von Reizen und Erfahrungen, die unauslöschlich sind, somit im späteren Leben auch nicht mehr „verlernt“ oder „abtrainiert" werden können. Ein hoch gestresster Hund, mangels der Fähigkeit, den Angst verursachenden Reiz bzw. Auslöser zu verarbeiten, fällt daher zunächst immer in sein geprägtes Verhalten zurück. Ist dieses geprägt von Ängstlichkeit, fällt der Hund in genau dieses Verhaltensmuster zurück. Die einzige Chance, solche Hunde zu therapieren, liegt darin, mit ihnen und ihrer Bezugsperson gemeinsam ein 100%iges Vertrauensverhältnis aufzubauen, dass – generell und immer – Bestand hat, unabhängig vom Angstauslöser. Da solche Hunde nicht mehr generalisieren können, wäre es müßig, sie in Bezug auf bestimmte Reize zu Desensibilisieren. Sobald auch nur der kleinste Bestandteil des Auslösers „anders“ ist, sieht der ängstliche Hund in der Regel darin eine völlig neue „Gefahr“. Jedoch kann er lernen, bei Angst auslösenden Reizen sofort die Nähe seiner Bezugsperson zu suchen und hier zur Ruhe zu kommen, im Vertrauen darauf, dass diese die Situation im Sinne des Hundes "managt".
Ist die Ängstlichkeit auf später folgende Erfahrungen (nach der Prägephase) zurückzuführen, handelt es sich umerlerntes Verhalten. Erlerntes Verhalten kann auch „verlernt“ werden – die Vorgehensweise in einer Verhaltenstherapie ist der bei geprägtem Verhalten ähnlich, jedoch sind Erfolge viel schneller und nachhaltiger zu erzielen, wenn der Hund über ein gutes „Fundament“ in der Prägephase verfügt und negativ-beeinflussende Erfahrungen erst später gemacht wurden.
Oftmals angeschafft aus Gründen des Mitleids und/oder in der Überzeugung, auch „solchen“ Hunden gerecht zu werden, werden ängstliche Hunde – ohne besondere Fachkenntnisse seitens des Halters - adoptiert und in die Familie übernommen; ihre Herkunft hat viele Gesichter: das Ausland, die vermeintlich seriöse „Zuchtstätte“, das Tierheim, der Privat-„Züchter“: oftmals sind sie depriviert aufgewachsen, fern von Umweltreizen und/oder menschlichen Kontakten jeglicher Art; nicht zwangsläufig muss dieses Heranwachsen mit schlechten bzw. negativen Erfahrungen verknüpft sein – die pure Tatsache, dass sie buchstäblich  nichts und niemanden in der Prägephase kennen gelernt haben, reicht bereits aus, dass sie in einer neuen, reiz intensiven Umgebung völlig überfordert sind.
Aber auch Hunde, die bereits – in der Regel über einen längeren Zeitraum hinweg - die Erfahrung gemacht haben, dass sie selbst – und nur sie selbst – für ihre Sicherheit, ihr Überleben verantwortlich sind, vertrauen primär auf ihre eigenen Fähigkeiten als in die Führung der artfremden „Spezies“ Mensch. Und hier beginnt dann das Dilemma: die gute Tat, einen Hund zu retten, kommt in kleinen Scheibchen daher: unzählige Emails und Telefonate mit der vermittelnden Organisation – kein Problem für den interessierten Halter oder Pflegestelle in spe. Das Bewusstsein, dass niemand nichts oder nur sehr wenig Aussagekräftiges über DIESEN Hund zusichern kann, schreckt nicht ab – im Gegenteil, die Einstellung „alles wird gut“ herrscht ungetrübt vor. Auch die Fahrt zum entlegenen Flughafen, die Übernahme und Ankunft im neuen Zuhause wird problemlos in Angriff genommen. Hier nun zeigt der Hund bereits – je nach familiärer Konstellation (Kinder, Mehrhundehaltung, viel Publikumsverkehr etc.) – erste Anzeichen seines Problems; ist verschreckt, verunsichert, will flüchten und geht in manchen Fällen – mangels Flucht- oder Rückzugsmöglichkeiten – auch schon das erste Mal „vor“. Jetzt wird alles noch in rosa-rot bewertet: „Ach, Du Armer, brauchst doch keine Angst mehr zu haben… jetzt bist Du in Sicherheit!“ Das Verständnis seitens des Halters, dass kein Hund diese Verbalform verstehen kann, fehlt gänzlich – man(n) meint es ja nur gut! Das Gegenteil wird erreicht – oftmals sind bereits diese „tröstenden“ Worte mit einer für den Hund bedrohlichen Körperhaltung des Menschen verbunden – er beugt sich über den Hund, um ihn zu trösten, zu streicheln, die Hand geht vor, um ihn anzufassen und – vermeintlich – zu beruhigen…
Es folgen die nächsten Tage und damit auch zwangsläufig die Eingliederung in den normalen Tagesablauf, die Konfrontation mit Alltagssituationen. Alle wollen alles richtig machen – die wenigsten Halter/Pflegestelle haben – in Bezug auf fundierte Kenntnisse über erlerntes vs. geprägtes (Angst)Verhalten und eine entsprechende ursachengestützte Therapie – wirklich Erfahrung und können dem Hund gezielt helfen. Hier zeigen sich oftmals folgende „Halterkategorien“:
Man hatte schon immer Hunde, wenn auch keine wirklich ängstlichen, traut sich aber dennoch alles zu.
Man glaubt, schon einmal einen Hund mit ähnlichem Verhalten gehabt zu haben und ist sich deshalb sicher, genau zu wissen, was zu tun ist. Im Zweifelsfall tut man das, was man auch schon früher mit dem eigenen Hund getan hat, egal, wie erfolgreich es war.
Man ist vom Mitleid aufgefressen und da man sich selbst als letzte Chance für diesen Hund sieht, meldet man sich und vertraut darauf, dass alles gar nicht so schlimm sein kann, wie es klingt.
Man hat bereits mehrere eigene Hunde und vertraut darauf, dass sich der Neuzugang an diesen orientiert und damit „sicherer“ wird.
Zunächst einmal: Mitleid ist gut – ohne dieses Gefühl, diese Fähigkeit, „sich in andere hinein zu fühlen“, wäre es nicht nur um den Tierschutz schlecht bestellt. Aber, Mitleid alleine genügt nicht! Die Verantwortung für einen Hund hört nicht da auf, wo er bei seinen Haltern, seiner Pflegestelle einziehen darf, dem sicheren Tod oder der weiteren Verwahrlosung seines bisherigen Lebens entronnen. Im Gegenteil – jetzt fängt sie erst an… die Verantwortung, DIESEM Hund ein artgerechtes und vor allen Dingen stressfreies Leben zu garantieren – sei es vorübergehend (während des Aufenthaltes in einer Pflegestelle) oder dauerhaft bis ans Lebensende im neuen Zuhause.
Leider sehen das viele Halter anders; die Anzahl der Pflegestellen wächst, die Hunde aufnehmen, aber aufgrund von Zeit- oder Kenntnismangel diese lediglich „verwahren“ – sie erhalten gutes Futter, ein warmes Plätzchen, Zuwendungen (falls es der Hund in seiner Angst zulässt), aber eine Lösung für ihre dauerhafte Angst, dem damit verbundenen Dauerstress, haben sie nicht. Auch wird unterschätzt, dass Angstverhalten sehr schnell in Aggressionen umschlagen kann, getreu dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung.  Zu lesen bekommt man dann in den jeweiligen Vermittlungsanzeigen, dass man als Interessent für diesen Hund „… viel Zeit und Geduld benötigt“. Wirklich? Reicht es aus, Zeit und Geduld zu investieren, damit der ängstliche oder ggf. traumatisierte Hund wieder stressfrei wird? Die Erfahrungen im Tierschutzalltag zeichnen ein anderes, sehr deutliches Bild!
Wieso tut sich „Mensch“ so schwer zu verstehen, dass er/sie eine zentrale Rolle in der Mensch-Hund-Beziehung spielt? Dass er/sie derjenige sein sollte, der seinem Hund das nötige Vertrauen vermittelt, damit sich dieser nicht mehr in der „Eigenverantwortung“ sieht; er nicht mehr selber „klären“ muss… mit allen damit verbundenen Gefahren, von der Flucht über die Straße/in den Wald bis hin zum Angriff auf andere Hunde oder gar Menschen? Aus Angst.
Leider fehlt vielen Hundehaltern das sprichwörtliche „Auge“ für ihren Hund und dessen, was ER sieht und als Gefahr einstuft.

Zu wissen, was genau ein ängstlicher oder traumatisierter Hund erlebt hat, ist wichtig… es nicht zu wissen, verhindert dennoch nicht die richtige Diagnose. Denn der Hund „spricht“ durch sein Verhalten zu uns, zeigt genau an, wo sein Problem liegt – wo es beginnt und endet. Ein Hund mit unbekannter Herkunft, der sehr ängstlich auf Autos reagiert, kann uns nicht sagen, was genau passiert ist – es bleibt Spekulation. Jedoch… man kann sehr genau herausfiltern, ab z.B. welcher Distanz seine Unsicherheit beginnt und sich verstärkt; sind es bestimmte Geräusche (Traktoren/Busse etc.) oder sind es Autos im allgemeinen, unabhängig davon, ob sie stehen/parken oder fahren; beginnt seine Angst bereits beim ersten Auto, das er erblickt oder nimmt die Unsicherheit erst mit zunehmender „Auto-Dauerkonfrontation“ zu; hat der Hund bereits Stress, wenn alle Anzeichen für ein Verlassen des (sicheren) Hauses sprechen (z.B. Griff nach dem Schlüssel, der Jacke, der  Leine…) oder erst, wenn man die Straße erreicht? Alles wichtige Informationen, die eine genaue Einschätzung des Hundes und seiner (ggf. schwerwiegenden) Probleme erlauben. Leider nimmt sich heutzutage kaum noch jemand die Zeit, eine „simple“ Situationsanalyse vorzunehmen. Ganz zu schweigen davon, dass viele Halter einfach nicht in der Lage sind, eine Situation aus den Augenwinkeln eines Hundes zu betrachten. Da wundert sich Halter A, dass sein Hund auf dem Feld zitternd stehen bleibt und mit eingeklemmter Rute leise vor sich hin knurrt. Reaktion des Halters: „Da ist doch nix… was haste denn?“ Ein kurzer, intensiver Blick in die Richtung, aus der der Hund die „Gefahr“ anzeigt, hätte genügt, um dort – auf weiter Feld und Flur – einen riesigen Heuballen zu erblicken. Für den Hund etwas sehr Ungewöhnliches, was ihn zunächst extrem beunruhigte. Und für den Halter? Eben „nix“… weil für ihn ein Heuballen eben „nur“ ein Heuballen ist. Das „Auge“ für den Hund und mögliche Erklärungen für sein Verhalten? Es fehlt!

Die Folgen, die sich aus dieser „Ich-will-einen-armen-Hund-retten-aber-bitte-ohne-Arbeitsaufwand“-Sichtweise ergeben, können schwerwiegender sein, als manchem Halter lieb ist. Die Meldungen bezüglich der Abgabe eines Hundes oder für seinen Xten Wechsel der Pflegestelle, weil sie mit der Unsicherheit des Hundes und den daraus resultierenden Verhaltensweisen überfordert ist, steigen ständig. Spätestens, wenn dieser Hund, mangels Flucht- oder Rückzugsmöglichkeit, den Weg nach vorne beschreitet (sprich: er attackiert, schnappt oder beißt), ist sein Auszug beschlossene Sache. Man hat Angst um die Kinder (zu Recht), will keinen Ärger mit dem Nachbarn, fühlt sich „eingeengt“ in seinem persönlichen Aktionsspielraum, weil man DIESEN Hund schließlich nicht mehr überall mitnehmen kann, genauso wenig, wie man ihn mal eben der besten Freundin auf´s Auge drücken kann… die Gründe sind – jedes Mal – altbekannt. Selbst wenn diese Gründe einmal – ausnahmsweise – nicht zu einer Abgabe führen, ist in der Regel die erste Wahl der Reaktion immer die der „Vermeidung“. Entweder werden alle Auslöser für ein unerwünschtes Verhalten des Hundes unterbunden oder der Hund wird weggesperrt, wenn sich diese Auslöser nicht kontrollieren lassen. Was kann der Hund daraus „lernen“? Nichts! Es wäre um die Zukunft und die Sicherheit sowohl des Hundes als auch seines Umfeldes sehr viel besser bestellt, wenn wir Menschen verstehen würden, WIE ein solcher Hund lernen kann, sich an seinem Menschen zu orientieren, diesem somit die Führung und damit auch den Aspekt der Sicherheit zu überlassen. Dies jedoch bedeutet ein Umdenken seitens des Halters; lieb gewonnene Ausreden á la „das machen die (Hunde) schon unter sich aus…“ bis hin zu „da kann man halt nichts mehr ändern, der Hund ist zu alt/kommt aus dem Ausland/wurde geschlagen etc…“ haben dann keine Gültigkeit mehr und müssen der Erkenntnis weichen, dass solche Hunde unbedingt eine Bezugsperson benötigen, die in den Augen eben dieses Hundes richtig handelt… in ALLEN Situationen und nicht nur vereinzelt, situativ, wie es dem Halter gefällt…
Dies bedeutet vor allem eins: Arbeit, Konsequenz und ein gutes, sicheres Verständnis, wie ein Hund „tickt“. Dass kein Hund, und schon gar kein ängstlicher und damit überforderter, in der Lage ist, jede Situation - im Sinne seines Halters - konfliktfrei „zu klären“. Im Gegenteil. Ist ein solcher Hund auf sich alleine gestellt, weil sein Halter weder Grund noch Not sieht, sich einzubringen, Führung und Präsenz zu zeigen, dann kann ein Hund nur so agieren, wie er selbst es für richtig und nötig hält – mit allen Konsequenzen: Flucht oder Angriff? Warnen in Form von Knurren oder direkt zubeißen? Versteinert verharren und hoffen, dass nichts passiert oder attackieren? Übersprungshandlungen als Stressventil? Alles ist möglich – alles ein Ausdruck von Hilflosigkeit, Überforderung gepaart mit den Aktionen des Hundes, die sich in der Vergangenheit in diesen oder ähnlichen Gefahrensituationen für ihn als erfolgreich, als Überlebensstrategie erwiesen haben.
Die Lösung liegt darin, dass der Mensch die Klärung dieser Situation a) für sich beansprucht und b) diese auch aus Sicht des Hundes adäquat managt. Hat der Hund in zahlreichen Situationen erst einmal gelernt, dass es sich lohnt, seiner Bezugsperson zu vertrauen, ihr damit jegliche „Ersthandlungen“ überlässt, kann der Hund somit Verantwortung abgeben. Sein Stresslevel sinkt automatisch bzw. baut sich im Verlauf der Therapie erst gar nicht mehr auf; ein eigenes „Klären“ in Form von Flucht oder Angriff somit überflüssig. Ein anspruchsvoller „Job“ für den betroffenen Hundehalter, aber einer, der sich lohnt – dauerhaft. Denn was gibt es Schöneres, als einen Hund zu retten UND ihm ein artgerechtes und stressfreies Leben zu ermöglichen? Zu sehen, wie sich sukzessive ein Band des Vertrauens aufbaut und durch nichts zu erschüttern ist? Ein Generalvertrauen sozusagen, nicht abhängig von der jeweiligen Situation, dem jeweiligen „Gefahrengrad“, sondern ein grundsätzliches Vertrauen in die Fähigkeit der Bezugsperson. Die Fähigkeit seines Menschen, Gefahren zu erkennen und je nach Situation und Bedarf, angemessen zu handeln. Im Sinne des Hundes… und nicht der eigenen Bequemlichkeit.

Bürgerreporter:in:

Gunnar Höhne aus Trochtelfingen

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