Mit Kind und Kegel zum Ausflugslokal „Benther Berg-Terrassen“

Lindener Rathaus, Ort der Veranstaltung.
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In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bekam die gute alte Pferdekutsche mächtig Konkurrenz. Eisenbahn und Straßenbahn luden zu Touren in die nähere Umgebung ein. Die Fahrt zum Benther Berg wurde vor gut 100 Jahren vom „Führer durch Hannover und seine Umgebung“ als sogenannte „Nachmittagspartie“ angepriesen. Heerscharen von Besuchern machten sich, vorwiegend sonntags, auf den Weg, um die Ausflugslokale „Erichs Ruh“, „Neuer Benther Berggarten“ (beide nahe Benthe), „Bergquelle“ (nahe Everloh) und „Fröhliche Waldschenke“ (nahe Northen) zu besuchen.

Am 16. Mai 2014 lud die Stadtbibliothek Linden zu einem Vortrag in das Rathaus am Marktplatz ein. Im neu gestalteten Saal begrüßte Bibliotheks-Leiterin Isabel Wenz die Anwesenden, stellte kurz ihr Haus und dann den Referenten des Abends vor.

Horst Bohne, assistiert von Manfred Wassmann vom Internetportal „Lebensraum Linden“, berichtete über die wechselvolle Historie der „ Benther Berg-Terrassen“. Sie begann 1879, als Johann Rehbock ein Wohnhaus auf dem Grund derer von Lenthe baute und eine Gastwirtschaft eröffnete, die er „Erichs Ruh“ nennt. Eine offene Holzveranda gewährte einen traumhaften Blick bis nach Linden/Hannover. Um eine Rundumsicht zu bekommen, musste man noch ein Stück den Benther Berg hinaufsteigen und bis zur Adolfshöhe wandern. Auf der Plattform des hölzernen Martha-Turmes, 21 Meter hoch, lag einem dann (fast) das ganze Calenberger Land zu Füßen. Dieser Turm, 2-mal durch Orkan und Blitzschlag zerstört, wurde 1904 durch ein eisernes Exemplar, 22 Meter hoch, ersetzt. 1944 traf ihn eine Luftmine. „Trotz Teilzerstörung kletterten oft Jugendliche, auch ich, am verbliebenen Eisengerüst auf die Plattform des Turmes“, so der Chronist. Erst 1970 wurde der eiserne Recke vollständig gesprengt.

Mit dem Bau der Straßenbahn bis „Sieben Trappen“ (grünweiße Scheibe, ab 19o6 = Linie 10) im Jahr 1896 erlebte „Erichs Ruh“ einen gewaltigen Aufschwung, kostete die Fahrkarte von Hannover–Steintor bis „Sieben Trappen“ hin und zurück nur 60 Pfennig. Der Fußweg zur Gastwirtschaft betrug 10 Minuten.

Die Außenbewirtschaftung mit zahlreichen Tischen und Stühlen wurde in der folgenden Zeit erheblich ausgeweitet, die offene Holzveranda musste einer größeren, geschlossenen Glasveranda weichen. Auch ein 2. Haus mit einem Saal kam im Laufe der Jahre hinzu. Ende der 1920-er Jahre gab es einen Inhaberwechsel. Nach Johann, Ernst und Christian Rehbock hieß der neue Inhaber Ernst Werner, der in den 1930-er Jahren die Gastwirtschaft in „Benther Berg Terrassen Erichs Ruh“ umtaufte.

Im 2. Weltkrieg erlosch der Restaurationsbetrieb. Das Ausflugslokal wurde Lazarett und später Zwangsarbeiterunterkunft.
Ab Weihnachten 1948 hieß es wieder: Auf zu den Benther Berg-Terrassen. Eine 5-köpfige Kapelle spielte zum Tanz auf. Die Außenbewirtschaftung erreicht ungeahnte Dimensionen. An schönen Sommertagen wurden bis zu 250 dreiteilige Mittagsmenüs, 500 Liter Kaffee, entspricht 3000 Tassen, 2ooo Stück Kuchen, 2000 Portionen Speiseeis (für die Kleinen und Jugendliche, die ja damals immer mit mussten, so auch oft der myheimat-Berichtserstatter), 1200 Gläser Berliner Weiße, 1000 Flaschen Limonade und natürlich auch das ein oder andere Glas Bier verkauft.
Ab ca. Mitte der 60-er Jahre litt die Gastwirtschaft - wie andere Ausflugslokale auch- unter ständigem Besucherrückgang. Die Deutschen zog es in die Ferne. 1974 schloss das beliebte Lokal vor den Toren Hannovers für immer seine Pforten. Kurz nach Weihnachten 1975 brannte es vollständig nieder. Erst 12 Jahre danach wurde die Ruine abgerissen.

„Heute kann man nur noch einige wenige Mauerreste finden, die Natur hat sich alles zurückgeholt“, sagt der 84-jährige (!) Horst Bohne und beendete unter tosendem Applaus der ca. 60 Zuhörer seinen Vortrag.

Zum Abschluss der sehr gelungen Veranstaltung präsentierte der Benther Heimatfreund Wilhelm Kulke ein Gemälde, das die "Benther Berg-Terrassen" zeigt. 1975 konnte es nach dem Brand aus der Ruine gerettet werden. Auch ein Original-Milchkännchen ist in seinem Besitz.

Literatur:
Horst Bohne zitierte aus: Bertram, O., Deiters, H., Wilhelm, H.-E. ; Beiträge zur Chronik des Dorfes Benthe, Ronnenberg 1990

Bürgerreporter:in:

Bernd Sperlich aus Hannover-Bothfeld

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