Der Islam an allem Schuld? Antwort auf einen rechtspopulistischen Leserbrief

„Der Islam ist nicht nur ein vormodernes religiöses Glaubenssystem, sondern vor allem auch gesellschaftliche Ordnungslehre, Alltagsethik, Sozialisations- und Erziehungsgrundlage und damit per se politisch. Er ist auf die umfassende soziale Regelung zwischenmenschlicher Beziehungen ausgerichtet.

Der Islam verkörpert eine zutiefst autoritäre Weltanschauung (hier hat das Etikett „rechts“ seinen Sinn) mit absolutem Geltungsanspruch. Im Einzelnen verstößt die orthodox-islamische Glaubenlehre u. a. gegen folgende menschen- und grundrechtliche Prinzipien:

• Die Gleichstellung von Muslimen und Nichtmuslimen
• Die Gleichberechtigung von Mann und Frau
• Die freie Wahl einer Weltanschauung
• Das Recht auf freie (auch religionskritische) Meinungsäußerung
• Das Recht auf freie Partnerwahl
• Das Recht auf sanktionslosen Religionswechsel und Religionsaustritt
• Das Recht auf diskriminierungsfreie sexuelle Orientierung [...]“

[Aus einem Leserbrief an die Recklinghäuser Zeitung, in dem eine rechtspopulistische Wählergemeinschaft vor Vorwürfen in Schutz genommen wird.]

„Der Islam ist nicht reformierbar.“

[Derselbe Autor in einem älteren Leserbrief]

Meine Replik:

Hallo ...,

diese Kritik am heutigen Islam ist zum Teil berechtigt. Mich stören dabei die Generalisierung und Pauschalurteile. So gehören z. B. auch Aleviten zum Islam. Die Alevitische Gemeinde Deutschland hat ca. 500 000 Mitglieder. Auf sie trifft eure Kritik am wenigsten zu. Ebenfalls zum Islam gehören die Sufisten. Ihre Zahl ist in Deutschland gering. Aber auch sie schmoren in dem Topf, in dem ihr alles zu einem Einheitsbrei verrührt. Der Islam hat viele Facetten und kann nicht über einen Kamm geschoren werden.

Erkläre doch einmal, weshalb er nicht reformierbar sei. Aleviten und Sufisten beweisen das Gegenteil.

Das Christentum hat auch einmal „eine zutiefst autoritäre Weltanschauung mit absolutem Geltungsanspruch“ „verkörpert“ *) und gegen die von dir genannten „menschen- und grundrechtliche(n) Prinzipien“ verstoßen. Auf den Katholizismus und einige evangelikale Sekten**) trifft das teilweise noch heute zu; dennoch war und ist das Christentum reformierbar.

Der Terror des Christentums während seiner Expansion und Herrschaft wiederholt sich heute bei den Taliban, bei al-Qaida und beim IS. Das Christentum hat sich, wo es nicht selber Staatsreligion war, stets den jeweiligen politischen Verhältnissen angepasst und hat noch im 20. Jh. mit faschistischen Regimen paktiert: in Deutschland (NS), Kroatien (Ustascha), in Spanien, Portugal, Lateinamerika. (Vgl. Karlheinz Deschner: Abermals krähte der Hahn, Kirche und Krieg, Mit Gott und den Faschisten, Die Kriminalgeschichte des Christentums, Die Politik der Päpste u. a. Deschner hat wie kein anderer die dunkle, wenig bekannte Seite des Christentums voll ausgeleuchtet.)

Mit Zitaten aus dem Koran lässt sich die These, der Islam sei nicht reformierbar, nicht beweisen. Der Koran ist wie die Bibel (AT und NT) voller Widersprüche, so dass alles mit Zitaten begründet werden kann, wurde und wird, je nach Belieben. Deshalb sind diese „Heiligen Bücher“ zur Erziehung, Erbauung und als Lebenshilfe völlig ungeeignet und gehören eigentlich auf den Index jugendgefährdender Schriften.

Im Übrigen dürfen wir gern zur Kenntnis nehmen, dass die Muslime in Deutschland, allen voran ihre großen Verbände, sich gerade von Terror und anderer religiös begründeter Gewalt deutlich und unmissverständlich distanziert haben. Ein Anfang!

Fragen wir nach den Ursachen des islamistischen Terrors. Er entstand im sowjetisch besetzten Afghanistan und begann mit den Taliban, finanziert und mit Waffen beliefert von den USA. Es kann also nicht am Koran, nicht am Gabriel-Hadith, nicht an der Sharia, nicht am Islam liegen. Die Religion wurde und wird für machtpolitische Zwecke benutzt und missbraucht. ***) Die kausalen Zusammenhänge sind komplexer und müssen herausgearbeitet werden, um diesen Terror beseitigen zu können. Militärisch ist das nicht möglich. Das zeigt sich am Zulauf, den IS jetzt erfährt – nach den US-amerikanischen Luftangriffen auf seine Stellungen.

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*) BIBEL: Schon das erste Gebot betont den autoritären Charakter der jüdischen und der christlichen Religion:

(E.3.D.7.) Du sollst keine andere Götter neben Mir haben.

(E.4.D.8.) Du sollst dir kein Schnitzbild, noch irgend ein Abbild dessen machen, das im Himmel oben, und das auf Erden unten ist, und das im Wasser unter der Erde ist.

(E.5.D.9.) Du sollst sie nicht anbeten, und ihnen nicht dienen; denn Ich Jehova, dein Gott, bin ein eifriger Gott, Der heimsucht die Missetat der Väter an den Kindern, bis ins dritte und vierte Glied, an denen, die Mich hassen.

Eine andere Übersetzung:
„Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.“

(E.6.D.10.) Und der Gnade übt an Tausenden, an denen, die Mich lieben und Meine Gebote halten.

[Exodus: 2. Mose 20,3-6; Deuteronomium: 5. Mose 5,7-10]

An Neumond die Posaune blasen (Leserbrief)

Zu: „Die Medien sind eine Plattform, über die...“, FR-Leserforum vom 15.9.

Herr Biedermann, wir sind uns einig, dass Fundamentalisten jeglicher Couleur, vorsichtig gesagt, suspekt sind, und dass man jeden IS-Kämpfer nur verachten kann.
Sie fordern die Leser darüber hinaus auf, den Dingen ins Auge zu sehen, nämlich dass der Koran Frauen geringschätze, Sklaventum gutheiße und zu Gewalt und Diskriminierung Andersgläubiger auffordere. Ich bin sicher, dass die große Mehrheit der muslimischen Welt das genauso wenig praktiziert wie die Christen folgende Anweisungen aus der Bibel: Töchter gelegentlich in die Sklaverei zu verkaufen; Sklaven zu halten, soweit sie ausländischer Herkunft sind; Leute, die am Samstag arbeiten, zu töten; Homosexuelle zu verachten; Ehebrecherinnen zu steinigen; am Neumond die Posaune zu blasen oder am Schauplatz eines unaufgeklärten Mordes einer Kuh das Genick zu brechen.

Andreas Braun, Bensheim

[FR vom 18.09.14]

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**) „Bedeutendste Vereinigung ist die Deutsche Evangelische Allianz, die nach eigenen Angaben rund 1,3 Millionen Evangelikale vertritt (...) Der evangelische Theologieprofessor Werner Ustorf, selbst einem liberalen Protestantismus verpflichtet, schätzt die Evangelikalen einschließlich der pfingstlerischen und charismatischen Kirchen auf „27,7 per cent of organised global Christianity“. Auch der Zeitgeschichtler Martin Greschat hält diese Zahlen für zutreffend. In Asien, Afrika, Südamerika und den USA ist die Bewegung im Wachstum begriffen, teilweise auf Kosten liberaler und traditioneller Kirchen.“ (Wikipedia)

***) In gewisser Weise geschieht das auch heute mit dem Christentum. Margot Käßmann sagte freimütig vor einigen Monaten, die Religion (sie meinte das Christentum) sei ein wichtiger ordnungspolitischer Faktor und deshalb unverzichtbar [..]

(Sinngemäß aus dem Gedächtnis zitiert.) Das war bei einer Diskussion über Kirchenfinanzierung und Trennung von Kirche und Staat. Die Ex- Ratsvorsitzende der EKD war dabei völlig nüchtern. dst.

Bürgerreporter:in:

Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen

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