"Wir müssen das schaffen": Interview mit Bürgermeister Richard Greiner zur Flüchtlingsthematik

Bürgermeister Richard Greiner stand im Interview Rede und Antwort | Foto: Stadt Neusäß
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Die Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen ist das beherrschende Thema der Tagespolitik. Besonders betroffen sind dabei die Kommunen, die die Hauptlast tragen müssen. mh bayern fragte bei Bürgermeister Richard Greiner über die aktuelle Situation in Neusäß nach.

mh bayern: Wie viele Asylanten befinden sich zurzeit in Neusäß und wo leben sie genau?

Bgm. Richard Greiner: Im Moment (Stand Oktober 2015) leben 50 Flüchtlinge bei uns, eine vergleichsweise überschaubare Zahl. Sie wohnen in den beiden Dauerunterkünften in Täfertingen und Ottmarshausen, bis ihr Asylverfahren bearbeitet ist. Daneben fand bis jetzt dreimal eine s. g. „Erstaufnahme“ von ca. 200 Personen in der Realschulturnhalle, die dem Landkreis gehört, statt. Diese Flüchtlinge hielten sich für ihre personenstandsrechtliche Erfassung, ihre medizinische Untersuchung usw. nur für ein paar Tage hier auf, ehe sie im Bundesgebiet auf Dauerunterkünfte verteilt wurden. Ende November hat uns zudem die Nachricht des Landratsamtes erreicht, dass in der Realschulturnhalle eine Dauerbelegung mit bis zu 200 Flüchtlingen eingerichtet wird.

mh bayern: Sport ist wichtig – was bedeutet die Meldung zur Belegung der Realschulturnhalle für die sportlichen Nutzer?

Bgm. Richard Greiner: Wenn der Landkreis seine Turnhalle für Flüchtlinge belegt, heißt es, enger zusammenzurücken und Hallenzeiten zu optimieren. Ich bin sehr dankbar, dass die Schulleiter unserer Realschule und unseres Gymnasiums hervorragend kooperieren und die Gymnasiumshalle optimal ausnutzen. Ein Teil des Realschulsports findet außerdem auf der Freianlage statt, solange das Wetter dies zulässt. Ein kleinerer Teil der Sportstunden kann schließlich auch in unseren städtischen Hallen wie zum Beispiel der Dreifachturnhalle Am Eichenwald aufgefangen werden. Ich kann aber leider nicht ausschließen, dass es auch zu Einschränkungen bei der Hallennutzung für den Vereinssport kommt. Unsere Liegenschaftsverwaltung ist deshalb in Verbindung mit den Vereinsverantwortlichen, um hier Lösungen zu erarbeiten.

mh bayern: Werden weitere Flüchtlinge zu uns kommen?

Bgm. Richard Greiner: Sicher ist, dass die Tiefenbacher-Stiftung im Auftrag des Landkreises an der Siemensstraße in Alt-Neusäß Holzhäuser für weitere 64 bis 80 Flüchtlinge errichten wird. Die Arbeiten haben begonnen und ich rechne mit einem Bezug der Unterkünfte Anfang 2016. Zur Betreuung dieser Menschen wird uns der Landkreis einen sogenannter „Kümmerer“ zur Verfügung stellen, der in Vollzeit in der Unterkunft arbeiten wird. Angesichts der bekannten Zahlen ist davon auszugehen, dass weitere Flüchtlinge nach Neusäß kommen werden.

mh bayern: Wie gestaltet sich das Zusammenleben bisher in Neusäß?

Bgm. Richard Greiner: Erfreulich gut. Es hat sich bewährt, dass wir auf kleinere, überschaubare Einheiten setzen, die dezentral im ganzen Stadtgebiet verteilt sind. Es herrscht zwischen Flüchtlingen und Nachbarn im Wesentlichen ein reibungsloses, angenehmes Miteinander. Dabei ist ganz wichtig, dass wir in der glücklichen Lage sind, in Neusäß an jeder Unterkunft hilfsbereite Menschen zu haben, die sich ehrenamtlich um die Betreuung der Flüchtlinge kümmern. Ihnen gilt mein herzlicher Dank für die wertvolle Unterstützung.

mh bayern: Was wird hier zum Beispiel für die Betreuung getan?

Bgm. Richard Greiner: Ganz unterschiedlich, das reicht von den Deutschkursen, die unter anderem von pensionierten Lehrkräften geleitet werden, über die Begleitung bei Behörden- oder Arztbesuchen bis zum Fahrradreparaturkurs. Wichtig sind auch Übungsstunden auf dem Verkehrsübungsplatz (weil mancher Flüchtling unsere Straßenverkehrsordnung erst kennenlernen muss), Schwimmkurse oder einfach nur gemeinsames Kochen, Essen und Fußballspielen. In Täfertingen haben wir auch Flüchtlingsfamilien mit Kindern und hier gibt es inzwischen für jede Familie einen „Paten“, der die Integration unterstützt.

mh bayern: „Wir schaffen das“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einigen Wochen und hält nach wie vor daran fest. Laut Landrat Marin Sailer sind jedoch bereits alle „über dem Limit“. Wie sehen Sie die Flüchtlingssituation?

Bgm. Richard Greiner: Wir müssen in ganz Deutschland anständig mit den Menschen umgehen, sie gut versorgen und integrieren. Wir müssen das schaffen, weil wir gar keine andere Wahl haben und sonst Parallelgesellschaften und Verhältnisse wie zum Beispiel in den französischen Vorstädten entstehen könnten. Und das wollen wir nicht.

Gleichzeitig muss die Politik Instrumente entwickeln, um den Zuzug von derzeit rund 6.000 Menschen am Tag gerechter zu verteilen und notfalls zu begrenzen. Wir dürfen unsere Gesellschaft nicht überfordern, denn wenn wir die Leistungsfähigkeit unserer Bevölkerung überdehnen, ist ja auch den Flüchtlingen irgendwann nicht mehr geholfen. Jeden Tag allein in Bayern eine Menschenzahl in Größe einer mittleren Kommune aufzunehmen – diese Kraftanstrengung schafft eine verantwortungsbewusste und solidarische Gesellschaft wie die unsrige sicher für ein oder zwei Jahre. Aber in dieser Dynamik nicht auf Dauer.

mh bayern: Wie kann das in Neusäß funktionieren?

Bgm. Richard Greiner: Erstens durch das Bemühen um eine Steuerung, soweit das möglich ist: Wir brauchen überschaubare kleinere Unterkünfte im Sinne der betroffenen Asylbewerber. Zu viele Menschen in zu großen Einheiten – das kann zu Problemen führen. Zweitens versuchen wir, die Unterbringung über alle Stadtteile zu verteilen. Das erleichtert die Integration. Zu dieser gehört auch, dass insbesondere Flüchtlingskinder in unseren Kindergärten und Schulen schnell gut aufgenommen werden. Drittens: Die aktuelle Situation ist für uns aber auch eine doppelte Herausforderung, weil wir darauf achten müssen, dass die Versorgung für unsere gesamte Bevölkerung gewährleistet ist. Wir müssen immer die ganze Bevölkerung im Auge behalten und daher investieren wir in ausreichend Betreuungsplätze, gute Bildung und eine optimale Infrastruktur für alle Generationen. Und schließlich treiben wir auch die Schaffung von qualitätvollem, bezahlbarem Wohnraum für junge Familien und unsere älteren Mitbürger voran.

mh bayern: In Steppach gab es Widerstand gegen eine geplante Unterkunft mit 97 Plätzen. Der Stadt wurde daraufhin unsolidarisches Verhalten vorgeworfen. Wie sehen Sie das?

Bgm. Richard Greiner: Es wurde so dargestellt, dass Neusäß jedwede Asylbewerberunterkunft in besagter Gewerbehalle abgelehnt hätte. Das ist falsch; Fakt ist: Der Stadtrat hat die Unterkunft in der Größenordnung von 100 Personen kritisch gesehen – übrigens auch im Sinne der betroffenen Flüchtlinge. Er hat aber einer Größenordnung von rund 50 Personen mehrheitlich zugestimmt.

mh bayern: Was erhoffen Sie sich für den Umgang mit den Flüchtlingen in Zukunft?

Bgm. Richard Greiner: Dass es uns gelingt, diese große Herausforderung weiterhin so gut zu meistern wie bisher und wir alle miteinander gut zusammenleben.

Bürgermeister Richard Greiner stand im Interview Rede und Antwort | Foto: Stadt Neusäß
Podiumsdiskussion zum Thema Flüchtlinge in Neusäß | Foto: Stadt Neusäß
myheimat-Team:

Tanja Wurster aus Augsburg

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