Eine Zeitreise in die Anfangsjahre der Bundesliga - Das Ellenfeldstadion von Neunkirchen/Saar

Die imposante Spieser Kurve
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Wir kennen sie alle, die tollen Stadien, die anlässlich der Fußball-WM 2006 in Deutschland entstanden sind - ob in Gelsenkirchen, Hamburg, Frankfurt oder Köln. Man kennt auch die danach gebauten „Standardkisten“ nach dem Baukastenprinzip auf der grünen Wiese in Mainz, Augsburg oder Sinsheim und die schönen Stadien nach englischem Vorbild in Dortmund, Bochum oder Kaiserslautern, die bereits in den 70ern gebaut oder in den letzten Jahren erweitert oder renoviert wurden. Wer aber mal wieder den Charme der Anfangsjahre des Deutschen liebsten Kind -der Fußballbundesliga- spüren will, der sollte sich auf den Weg in den Südwesten der Republik machen, genauer gesagt nach Neunkirchen/Saar ins dortige Ellenfeldstadion.

Ehemaliger Bundesligist

Insgesamt drei Spielzeiten verbrachte die heimische Borussia von 1964 bis 1968 in der höchsten deutschen Spielklasse, bevor es in den folgenden Jahren langsam, aber stetig bergab ging. Derzeit kickt der VfB Borussia Neunkirchen e.V. in der 5. Liga, der Oberliga Rheinland-Pfalz/Saarland.
Vom eindrucksvollen Charme dieses Grounds konnten wir uns bei der Begegnung gegen die Drittligareserve vom SV Elversberg überzeugen.

Interessante Anekdoten und Neunkircher Gastfreundlichkeit

Schon beim Betreten des Stadiongeländes waren wir begeistert. Wir waren dank Pünktlichkeit der Bahn und dem Wochenendticket bereits 2,5 Stunden vor Spielbeginn die Ersten am Ellenfeld und als wir uns vor dem Stadion etwas umschauten und Fotos machten, wurden wir von einem Mann (Michael Krebs) mit Borussia Neunkirchen-Schal angesprochen. Schnell kamen wir ins Gespräch und es begann eine Fachsimpelei auf hohem Niveau. Als sich dann auch noch Stadionsprecher Dirk Honecker zu uns gesellte, wurde uns plötzlich das Stadion geöffnet und wir gingen gemeinsam auf den Rasen. Neben beeindruckenden Fotos, die ich machen durfte, wurden uns von den beiden Borussen interessante Geschichten rund um die Borussia und das Stadion erzählt:
Hier machten die späteren Stars Berti Vogts, Günter Netzer und Jupp Heynckes am 14. August 1965 mit der später weitaus erfolgreicheren Borussia aus Mönchengladbach ihr erstes Bundesligaspiel. Die alten Duschen und Umkleidekabinen unter der Haupttribüne, die nicht mehr genutzt werden, sind noch aus dieser Zeit und wurden seit den 60er Jahren nicht mehr renoviert.
Zum 100. Geburtstag der Borussia im Jahr 2005 war sogar Uwe Seeler geladen und als er das Stadion nach über 35 Jahren wieder betrat, sagte er verwundert: „Hier ist ja alles noch so wie damals…!“
Stefan Kuntz, Europameister von 1996, und der Nigerianer Jay Jay Okocha starteten ihre Profikarriere als Spieler von Borussia Neunkirchen im Ellenfeldstadion. Auch das erste „Phantomtor“ im deutschen Profifußball fiel nicht etwa 1994 durch Thomas Helmer in München, sondern 1978 hier in Neunkirchen im Zweitligaspiel gegen die Stuttgarter Kickers (4:3). Das Spiel wurde damals wiederholt.

Baufälliges Stadion

Aber wir erfuhren auch weniger Erfreuliches: Die Stadt Neunkirchen unterstützt den Traditionsverein kaum noch und über einen derart potenten Sponsor wie der nur 4 km benachbarte Drittligist SV Elversberg verfügen die Borussen leider nicht. Daher ist es nicht verwunderlich, dass das Stadion mittlerweile ein tristes Dasein führt. Die imposante „Spieser Kurve“ (in Anlehnung der in dieser Richtung liegenden Nachbargemeinde Spiesen-Elversberg) hinter einem der beiden Tore ist seit einigen Jahren wegen Baufälligkeit gesperrt und erinnert zumindest im Außenbereich eher an die Geisterstadt Prypjat bei Tschernobyl, als an ein Fußballstadion, denn die Vegetation schlägt hier gnadenlos zu.
Der derzeitige Hauptsponsor der Borussia -ein Industriedemontage- und Abbruchunternehmen- dessen Geschäftsführer auch Vorstandsvorsitzender von Borussia Neunkirchen ist, möchte das Ellenfeld erhalten und sanieren und hat der Stadt Neunkirchen als Besitzer ein entsprechendes Angebot zur Übernahme unterbreitet.
Das letzte Highlight mit 23.400 Zuschauern war das DFB-Pokalspiel gegen Bayern München im August 2003 (0:5). Der daraus resultierende Geldregen rettete den Verein seinerzeit vor dem Bankrott.
Die offiziell höchste Zuschauerzahl (31.000) wurde am 26. Mai 1971 gegen den 1. FC Nürnberg erreicht.

Sprung in die Regionalliga?

In der urigen Stadionkneipe „Zum Doris“ vertieften wir mit Michael Krebs die Gespräche und trafen dann später auf dem Weg zum Spiel, neben dem früheren Bundesligatorwart Willi Ertz, noch die beiden guten Seelen des Vereins, Raimund Eich und dessen Frau Rosi, die vor dem Stadion in einem „Fußball“ den Fanshop betreibt. Dieser Verkaufsstand in Form eines Lederballs stammt von der WM ´98 in Frankreich und kam in Lyon zum Einsatz.
Im Spiel gegen Elversberg II konnte die Mannschaft vor 470 Zuschauern mit einem 3:1 überzeugen, ist nun seit 12 Spielen ungeschlagen und belegt aktuell den 4. Platz in der Oberliga Rheinland-Pfalz / Saar.
Es bleibt dem Verein zu wünschen, dass er zumindest mal wieder in der 4. Liga (Regionalliga Südwest) auftaucht, dann wäre mit Spielen gegen Hessen Kassel, den Offenbacher Kickers, Wormatia Worms und Homburg 08 zumindest wieder Zweitligaflair im Ellenfeldstadion garantiert und auch der Zuschauerschnitt von derzeit knapp 400 dürfte wieder ansteigen.
Dafür muss natürlich auch das Stadion noch einer Renovierung unterzogen werden, denn auch Flutlichtmasten sucht man hier vergeblich.
Tolle Bilder und Informationen über das Stadion findet der Fußballfan in diesem Buch, welches zum 100. Geburtstag des Stadions in 2012 erschien:
100 Jahre Ellenfeldstadion

Das Ellenfeld – Ein Weltkulturerbe?!

Wir waren begeistert vom Ellenfeldstadion, das gerne als "blaue Mauritius" unter den Groundhoppern bezeichnet wird und der Gastfreundlichkeit der Neunkircher. Schön, dass es solche Oasen noch abseits der Hektik und des Kommerzes im Fußballgeschäft gibt. Wir werden das Ellenfeld mit Sicherheit mal wieder besuchen, nicht zuletzt auch wegen der schmackhaften Stadionbratwurst und wie sagte mein Kumpel „Pauker“ zu Michael Krebs: „Ihr müsst unbedingt versuchen, dass das Stadion als Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen wird…!“

Bürgerreporter:in:

Berti Bonacker aus Kirchhain

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