Soziale Ungleichheit ist zu groß

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Über 80 Prozent der Bundesbürger halten laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) die soziale Ungleichheit in der Bundesrepublik mittlerweile für zu groß - und sogar FDP-Anhänger befürworten zu über zwei Dritteln höhere Steuern für Reiche.

Die FES hat eine repräsentative Bevölkerungsbefragung von TNS Infratest Politikforschung zur "Zukunft des Wohlfahrtsstaates" und zu den Präferenzen der Bevölkerung bei der Ausrichtung und Finanzierung des Sozialstaates veröffentlicht. Befragt wurden 2.000 Personen, die repräsentativ für die wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren sind.

Interessant ist an dieser Untersuchung, dass nicht nur die Einschätzung der Ungleichheit ermittelt wurde (Abb. 19247), sondern zugleich auch, welche Wege die Menschen für Verbesserungen sehen. 2.000 Interviews mag dafür eine schmale Basis sein. Außerdem sind die Fragen mit wenig Differenzierung relativ einfach gehalten und tragen damit der sozialen und wirtschaftlichen Komplexität nur begrenzt Rechnung. Dennoch lohnt es sich, die Ergebnisse der Befragung zur Kenntnis zu nehmen und darüber weiter nachzudenken.

Zustimmung in allen Bevölkerungsteilen

Vor allem die Wahlstrategen der politischen Parteien sollten sich für die Wahlkampfplanung 2017 Gedanken machen, wie sie die Ergebnisse der Umfrage in ihre Kampagnen einbauen. Ist es bisher doch nur DIE LINKE, die in ihrer Programmatik und in den bisherigen Wahlkämpfen auf Abbau der sozialen Ungleichheit setzt. Eine größere Steigerung von Löhnen und Gehältern, sowie höhere Steuern für Reiche, Superreiche und große Unternehmen schlägt DIE LINKE vor.

Die ganz überwiegende Zustimmung zur Notwendigkeit der Vermeidung weiter steigender Ungleichheit zieht sich durch alle Geschlechter, Bildungsabschlüsse, Parteipräferenzen, Schichten, wirtschaftliche Lagen und Einkommensgruppen (Abb. 19248). Selbst Vertreter der Mittleren Oberschicht und Oberschicht oder mit einem monatlichen Haushaltseinkommen von über 4000 Euro sind zu fast drei Vierteln dieser Ansicht, diejenigen in sehr guter Wirtschaftslage immer noch zu 72 %.

Nur bei den Parteipräferenzen hängen Wähler der FDP mit 59 % erheblich zurück. Überraschenderweise liegt bei den angeblich gebildeten und gutinformierten Menschen mit Abitur und Fachholschulreife die Zustimmung mit nur 79 % viel niedriger als bei Haupt- und Volkschuldabgängern mit 84 %, vermutlich weil Bildung vom eigenen Portemonnaie überlagert wird.

Konkrete Maßnahmen sind umstritten

Bei der Bewertung der Eignung von Maßnahmen zur Verringerung sozialer Unterschiede - dem Hauptteil der Umfrage - scheiden sich allerdings sofort die Geister je nach Geldbeutel. Die besser Betuchten halten weniger von höheren Steuern und vergessen dabei offensichtlich die vielen Steuervorteile, die ihnen in den vergangenen Jahrzehnten eingeräumt wurden. Die Zustimmung fällt hier bei der oberen Mittel- und Oberschicht auf 47 % aller Befragten, bei den höheren Einkommen auf 53 % und bei den FDP-Wählern auf nur noch 41 % (Abb. 19250).

Ähnlich verhält es sich bei der Anhebung der Löhne und Gehälter, wo die Zustimmung bei der oberen Mittel- und Oberschicht sowie bei den höheren Einkommen auf 53 % bzw. 54 % fällt und bei denen in sehr guter wirtschaftlicher Lage sogar auf nur noch 42 % (Abb. 19251). Dabei scheint nicht zur Kenntnis genommen zu werden, daß Löhne und Gehälter seit dem Jahr 2000 real meist stagnierten, während die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen steil angestiegen sind. Interessant ist hier die deutlich größere Zustimmung der Ostdeutschen und der Frauen.

Mindestlohn bei Mittel- und Oberschicht nicht sehr beliebt

Bei der Anhebung des Mindestlohns über das derzeitige im Westeuropa-Vergleich relativ niedrige Niveau von 8,50 Euro fällt die Zustimmung bei der oberen Mittel- und Oberschicht auf 50 % und bei den höheren Einkommen auf nur noch 46 % sowie bei CDU/CSU-Wählern auf 49 % (Abb. 19252). Das zeigt, wie unpopulär der Mindestlohn immer noch in diesen Kreisen ist, obwohl gerade er sich in den meisten westeuropäischen Ländern als ein besonders wirkungsvolles Mittel zum Abbremsen des Trends in immer mehr Ungleichheit erwiesen hat.

Klar weniger negativ stehen die besser Betuchten dagegen zu Steuererleichterungen für untere und mittlere Einkommen. Bei der oberen Mittelschicht und Oberschicht sind es 66 %, bei den Haushaltseinkommen über 4.000 Euro 65 % und bei denen in sehr guter wirtschaftlicher Lage ebenfalls 64 %. Auch SPD-Wähler kommen hier auf hohe 77 % Zustimmung (Abb. 19249). Dagegen sind es bei den Befragten mit weniger als 1.000 Euro nur 64 %, obwohl die Maßnahme angeblich gerade auf sie abzielen soll.

Doch diese Befragten haben wahrscheinlich häufig verstanden, daß Steuererleichterungen für untere Einkommen nichts bringen, weil hier ohnehin kaum Steuern anfallen. Und wenn auch mittlere Einkommen von Steuern entlastet werden sollen, so würden dann Steuereinkommen in größerem Umfang ausfallen und müßte der Staat die Sozialleistungen oder andere Leistungen für die Allgemeinheit absenken, was wiederum die soziale Ungleichheit erhöhte.

Ebenso zeigt dann das Gesamtergebnis durch alle Bevölkerungsgruppen eine Präferenz für die steuerliche Entlastung unterer und mittlerer Einkommen (83 %) und auf der anderen Seite weniger Neigung zu einem höheren Mindestlohn (71 %) oder Lohnerhöhungen (72 %, Abb. 19256), das Ergebnis der hier besonders ausgeprägten Ablehnung durch die sozial Bevorteilten. Beachtlich ist allerdings, daß immer noch 76 % zu höheren Steuern bereit sind, was ich in diesem Ausmaß nicht erwartetet hatte.

Vermögenssteuer zustimmungsfähig

Wird speziell nach den Möglichkeiten zur Finanzierung der sozialen Sicherung und der öffentlichen Dienstleistungen gefragt, so zeigt sich ebenfalls weitgehend nur Ratlosigkeit oder Ablehnung. Lediglich höhere Vermögenssteuern finden mit 68 % der Befragten relativ viel Zustimmung (Abb. 19253). Immerhin sind auf der anderen Seite immer noch 17 % für eine weitere Kürzung der Sozialleistungen. 37 % meinen sogar, staatliche Leistungen, wie beispielsweise im Rahmen der Arbeitslosenversicherung oder Gesundheitsversorgung, seien kein Beitrag für mehr Gleichheit in der Gesellschaft (Abb. 19254).

Im Ergebnis stoßen bei dieser Umfrage gerade die Maßnahmen, die wahrscheinlich am ehesten die Ausbreitung sozialer Ungleichheit bremsen würden, nämlich höhere Steuern auf höheren Einkommen, höhere Löhne und ein höherer Mindestlohn, auf Widerstand der politisch besonders einflussreichen Bevölkerungsteile, die selbst nicht sozial benachteiligt sind. Daher wird es in Deutschland weiterhin sehr schwer werden, einen Weg aus der Ellbogengesellschaft mit wachsender sozialer Ungleichheit zu finden.

Die Grafiken und die Vorlage für den Text stammen vom Infoportal Deutschland & Globalisierung, das Joachim Jahnke unter www.jjahnke.net betreibt.

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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