Satire unterliegt immer dem gesellschaftlichen Wandel

Sein Schmähgedicht auf einen ungeliebten Staatspräsidenten hat Jan Böhmermann über Nacht zur heiligen Madonna der Meinungs- und Satirefreiheit in unserem Land gemacht. Und weil sich nun auch noch die Justiz darum kümmern soll, vernimmt man den Aufschrei von zwei Dritteln unserer Bevölkerung, die um die Grundrechte im Land fürchtet. Auch ein Türke sollte schließlich den Schweinskram von Herrn Böhmermann aushalten können, so wie unsere Demokratie gleichermaßen. Satire darf schließlich alles!

Doch man stelle sich nur einmal vor, in besagtem Gedicht würde das Wort ‘Erdogan‘ durch ‘Flüchtlinge‘ ersetzt. Ein Satiriker, der pauschal Flüchtlinge auf derart obszöne Weise herabwürdigen würde, könnte seinen Job binnen Minuten an den Nagel hängen. Und in allen Medien würde nicht das hohe Lied der Satire gesungen, die grundsätzlich alles dürfe, sondern die bange Frage gestellt, wie weit es mit dem Rassismus hierzulande gekommen ist, wenn derart schamlos Grund-, Menschen- und Persönlichkeitsrechte mit Füßen getreten werden. Oder?

Ein absurder Vergleich? Schauen wir uns noch einmal das Bild der CDU-Politikerin Erika Steinbach mit einem weißen Jungen im Kreis von fremdländischen Kindern an. Den Text "Woher kommst Du denn?" wollte die kritisch zur aktuellen Flüchtlingspolitik eingestellte Politikerin als zugespitzte Satire verstanden wissen. Dafür erntete sie wüste Beschimpfungen, viele forderten wegen dieser Geschmacklosigkeit gar ihren Rücktritt als menschenrechtspolitische Sprecherin. Nur eines war nicht zu vernehmen: die Solidarisierung mit Steinbach unter der Überschrift "Satire darf alles".

Natürlich darf sie nicht alles. Jedenfalls nicht, wenn der eine Nachbar sich als Satiriker versteht, während er über den anderen Nachbarn den Güllekübel mit Genital- und Sexualpraktik-Passagen á la Böhmermann ausleert. Und auch die rassistische Verunglimpfung von Flüchtlingen erhält vom demokratischen Rechtsstaat Grenzen aufgezeigt.

Doch wo liegen die Grenzen? Da haben Bundeswehrsoldaten auch schon ihre Erfahrungen gemacht. Mögen sie auch noch so sehr für den Schutz der Bevölkerung ihr Leben riskieren, sie müssen sich gefallen lassen, nach dem Tucholsky-Zitat als "Mörder" verunglimpft zu werden. Das darf Satire urteilten sogar die Verfassungsrichter.

Wer wie viel Satire auszuhalten hat, lässt sich nicht aus einer einfachen Formel errechnen oder ableiten. So wie sich Gesellschaften verändern, so ändert sich auch das Empfinden für Provokationen und deren Grenzen. Das im Lichte der Menschen- und Persönlichkeitsrechte für jeden Einzelfall und die Grundfreiheit der Demokratie immer wieder neu auszutarieren, kann in einem Rechtsstaat nur die Justiz leisten, auch wenn es oft schwer fällt ihre Entscheidungen nach zu vollziehen. Auch Frau Merkel hat bemerken müssen, dass sie als Politikerin einen Schritt zu weit gegangen war.

Bürgerreporter:in:

Karl-Heinz Töpfer aus Marburg

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