Mecklenburg-Vorpommern hat gewählt

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Ein parteiischer Kommentar

Die Wähler_innen haben gesprochen. Und ihr Urteil gefällt.

Dieses Urteil fällt für die bisher im Landtag vertretenen Parteien vernichtend aus. In Scharen liefen ihnen die Wähler_innen davon und bescherten der AfD einen großen Erfolg. Manch einer bei der AfD mag bis zur Prognose noch klammheimlich von einem besseren Ergebnis geträumt haben. Immerhin: Platz zwei hinter der SPD.

Die Sozialdemokraten im Willy-Brandt-Haus gebärdeten sich, als wäre der Namensgeber wieder auferstanden und soeben zum dritten Mal zum Bundeskanzler gewählt worden. Dabei stand auf der Bühne nur Sigmar Gabriel. Der freute sich wie ein Schneekönig über den Verlust von fünf Prozent der Wählerstimmen. Klar, Erwin Sellering wird weiterhin Ministerpräsident bleiben, so viel steht fest. Der entblödete sich nicht, selbst am Wahlabend noch einmal die AfD-Argumentation zu übernehmen, das Land sei wegen der Geflüchteten an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt.

Hallo Herr Sellering, Mecklenburg-Vorpommern hat im letzten Jahr gerade mal 24.000 Geflüchtete aufgenommen. Und Mecklenburg-Vorpommern ist nicht wegen der Geflüchteten in der Bredouille, sondern wegen einer verfehlten Wirtschafts-, Steuer- und Fiskalpolitik zu Gunsten der oberen 10 Prozent der Bevölkerung und zu Lasten der große Mehrheit. Und: Für diese Politik ist die SPD maßgeblich mitverantwortlich.

Als zweites gerupftes Huhn des Abends entpuppte sich die CDU. In der Heimat der Kanzlerin rutschten die Christdemokraten hinter ihre Brüder und Schwestern im Geiste von der AfD auf Rang drei der parlamentarischen Hackordnung ab. Brüder und Schwestern im Geiste - ein zu harsches Urteil? Die AfD beschwert sich jedenfalls lauthals, die Innenminister der Parteien mit dem „C“ übernähmen ungeniert ihre Positionen. Leider entspricht dies den Tatsachen.

Ob der Spitzenkandidat Lorenz Caffier - für seinen Job als Innenmister vom Ministerpräsidenten Sellering am Wahlabend hoch gelobt – eines der schlechtesten Landtagswahlergebnisse der CDU seit Bestehen der Bundesrepublik überhaupt, politisch überlebt, scheint fraglich. Gibt es in Mecklenburg-Vorpommern ein „Weiter so“ mit einer großen Koalition, ist dies dennoch nicht ausgeschlossen.

Schwer gerupft auch DIE LINKE. In Prozenten hat die Partei 5,2 Punkte verloren. In absoluten Stimmen rund 20.000, ein Sechstel der Wähler_innen von 2011. Das Statement der Berliner Parteiführung „Wir hatten uns mehr erhofft“, spiegelt die Realität nicht annähernd wieder. Spitzenkandidat Helmut Holter wollte trotzdem am liebsten schon am Wahlabend Koalitionsverhandlungen für Rot-Rot-Grün aufnehmen. Vielleicht sollte er demnächst zumindest das vorläufige Endergebnisse abwarten.

Für DIE LINKE können die Wahlabende künftig viel erfreulicher verlaufen, wenn sie es schafft, als tatsächliche politische Alternative für Deutschland von den Wähler_innen wahrgenommen zu werden. Die inhaltlichen Positionen dafür sind vorhanden. Wobei bei den wirtschaftspolitischen Aussagen für einen sozial-ökologischen Umbau - trotz Sahra Wagenknecht – ein wenig Nachhilfe durch Heiner Flassbeck nicht schaden könnte.

Tödlich für DIE LINKE in den neuen Bundesländern ist das Brandzeichen „Altpartei“, das ihr die AfD - zwar wahrheitswidrig, aber erfolgreich - verpasst hat. Bodo Ramelow als Ministerpräsident von Thüringen und den Brandenburger Genoss_innen kommt eine Schlüsselrolle zu, dieses Brandzeichen zu tilgen. Sie müssen zeigen, dass auf Landesebene ihre Politik nicht einfach ein Abklatsch der "Altparteien" ist. Und: Dass ein grundlegender Politikwechsel auf Bundesebene möglich ist.

Zudem: Wenn einer linken Partei kein besseres Wahlkampfmotto einfällt als "Aus Liebe zu M-V", sorry, da sollte als erstes die Werbeagentur zum Teufel gejagt werden, die das verbrochen hat. Und zweitens sollte ein parteiöffentliches Brainstorming über linke Werte veranstalten werden. Sollte die Liebe zu einem Bundesland dabei immer noch auf den ersten Plätzen landen, bin ich wahrscheinlich in der falschen Partei.

Die Grünen, 2011 von der Flutwelle in den Schweriner Landtag gespült, haben es nicht geschafft sich in dem Bundesland fest zu verankern.

Die NPD ist untergegangen. Gut so. Ihre Wähler_innen sind zu einem großen Teil zur AfD gewandert. Nicht so gut.

Die AfD ist der Gewinner des Wahlabends. Wer es schafft, mit dem Thema „Flüchtlinge“ in dem Bundesland zur zweitstärksten Kraft aufzusteigen, in dem 2015 noch nicht einmal 24.000 Geflüchtete aufgenommen wurden, Respekt. Kein Respekt vor der politischen Konkurrenz und der veröffentlichten Meinung, die es nicht schaffen, der Bevölkerung ein realistisches Bild dieses Bundeslandes zu vermitteln. Kein Respekt vor der politischen Konkurrenz und der veröffentlichten Meinung, die die Ursachen der tiefen ökonomischen und sozialen Krise in diesem Land nicht benennen wollen oder können. Ja nicht einmal die Krise als solche wahrnehmen.

„Deutschland geht es gut“, diese Aussage der Kanzlerin ist eine Falschaussage. So lange Sozialdemokraten und ein grüner Ministerpräsident dieser Falschaussage nicht entschieden widersprechen, so lange diese Falschaussage von der übergroßen Zahl der Redaktionen dieser Republik gestützt wird, so lange wird der Aufstieg der AfD unaufhaltsam sein. Fürchte ich.

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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