Wie es mir vor zwanzig Jahren gelang, den Südturm der Marburger Elisabethkirche zu besteigen

Auf dem Schlussstein des Südturmes
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Zwanzig Jahre ist es her, dass ich mir einen Kindheitstraum verwirklichen konnte: den Aufstieg bis zur äußersten Spitze der gotischen Elisabethkirche, der im Mittelalter von den Thüringischen Landgrafen zum Andenken an die Heilige Elisabeth in Marburg erbauten Grabeskirche. Im Jahr 1995 gelang es mir tatsächlich bei Ausnutzung des am Turm angebrachten Gerüstes, bis auf den auf der Turmspitze befindlichen Reiter zu gelangen. Der Reiter krönt den Südturm, einen der beiden 80 Meter hohen Zwillingstürme.

Bereits 1954/55 waren die Türme eingerüstet und ausgebessert worden. Damals konnte ich nur den Arbeitern von unten zusehen. Aber die Ausbesserungen damals hatten einen Nachteil. Sie waren nicht sachgerecht ausgeführt worden. Es war für mich sozusagen eine Fügung, dass der damals verwandte Mörtel nicht über Jahrhunderte die Haltbarkeit hatte wie das Material aus dem Mittelalter. Der Mörtel des 20. Jahrhunderts, der bei Erneuerung der Fugen zwischen den Sandsteinen verwandt wurde, bröckelte schon nach wenigen Jahrzehnten.

Es zeigte sich, dass die Fertigkeiten und Kenntnisse der Meister des 13. Jahrhunderts verloren gegangen waren. Der Mörtel dieser Künstler hatte Jahrhunderte überdauert. Chemische Analysen ergaben, dass die Baumeister des Mittelalters die Haltbarkeit und Festigkeit ihres Mörtels mit Hilfe eines hohen Anteils an Eiern und Quark erreicht hatten. Diese Zusammensetzung wählte man danach 1995 bei der Erneuerung der Türme. Es ist zu hoffen, dass moderne Erkenntnisse der Erhaltung förderlich sind und erst wieder in vielen Jahrzehnten Ersatz bedürfen.

Bei den Arbeiten im Jahr 1995 fand man im Schlussstein an der Spitze des Südturms eine Bleikassette. Sie enthielt Nachlässe aus der Renovierung von 1955, aber vor allem auch Berichte der im 18. Jahrhundert schon einmal vorgenommenen Arbeiten am Turm.

Dort hieß es, dass 1764 der Nordturm „frisch verspeiset“ worden sei und der „Knopf des Südturms“ (wohl der am oberen Ende des Turms aufgesetzte Abschlussstein), der „versenket war“, wieder gerichtet worden sei. Dies alles geschah in der Regierungszeit von Josef II. Zudem war der Nordturm mit einer neuen Galerie versehen worden. Zur Erinnerung: Damals hatten die beiden Türme eine Holzverbindung etwa in Höhe der Glocken. Hiermit war es möglich, leicht von einem Turm zum anderen zu gelangen.

Eine Anmerkung zum heutigen Zustand sei gestattet: Ein Foto, das diesem Artikel beigefügt ist, aufgenommen aus der Höhe bei Augustenruhe in gleicher Höhe wie die Abschlusssteine, zeigt bereits heute eine kleine Absenkung des Schlusssteins des Südturms. Und dies bereits nach zwanzig Jahren!

Wenn ich zum Schluss dieses Berichtes noch einmal auf meine persönliche Beziehung zu den Türmen der Elisabethkirche kommen darf.

Bereits 1945/55 waren wir als Konfirmanden mit unserem damaligen Pfarrer Bücking als Krönung unseres Konfirmandenunterrichts erstmals auf den Turm der Elisabethkirche gestiegen, allerdings nur bis zu den Glocken. Dort gab es noch eine hohe, steile Leiter, mir der man in den noch weiter höher liegenden abgeteilten Bereich unterhalb der Spitze gelangen konnte. Doch dort gab es nur kleine Öffnungen nach außen – und viele Dreck der dort nistenden Vögel, damals viele Dohlen und wohl auch Taubenmist.

Interessiert hatte ich immer zu den beiden (Friedens-)Tauben hoch geschaut, die sich an zwei der vier Ecktürme des Nordturms in Höhe der Glocken befinden. Diese Figuren aus Kupfer hatte mein Vater hergestellt. Er war Kupferschmied gewesen und hatte den Auftrag in den 1920er/30er Jahren wohl als Arbeiter der Firma Klee, Firmensitz am Roter Graben, erhalten. In dieser Firma war er als Installateurmeister tätig gewesen.

Es ist abschließend zu hoffen, dass die Erneuerungsarbeiten Ende des 20. Jahrhunderts lange Bestand haben werden. Allerdings bedeutet dies auch gleichzeitig, dass es wohl viele Jahrzehnte dauern wird, bis aufgetretene Schäden es bedingen, wieder die 80 Meter hohen Türme der der gotischen Kirche bis zur Spitze einzurüsten. Bis dahin wird es nur den fliegenden gefiederten Zeitgenossen, unter die sich in den letzten Jahren auch ein Uhu gesellt hat, vorbehalten bleiben, den Reiter und den Stern auf den Abschlusssteinen des Doms aufzusuchen.

Bürgerreporter:in:

Karl-Heinz Gimbel aus Marburg

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