Alte Geschichten: Vor 150 Jahren wurde in Kirchhain ein wütender Elefant erlegt

Der Kirchhainer Elefant
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In Marburg steht auf den Lahnbergen im großen Gebäude des Fachbereichs Biologie im Eingangsbereich als mächtiger Blickfang das Skelett eines Elefanten. Der Elefant wurde vor 150 Jahren in Kirchhain erschossen.

Von dem Hergang der Erschießung des Elefanten gibt es mehrere Versionen. Doch die meisten Berichte wurden erst mehrere Jahrzehnte nach dem damals sensationellen Vorfall aufgeschrieben. Nicht in allen Einzelheiten stimmen die Berichte überein.

Die nette und anschauliche Schilderung, die Sie an dieser Stelle lesen können, entstand 70 Jahre nach der Tat. Die damalige Tötung des Elefanten ist ein trauriges Kapitel. Das Ganze würde heute so nicht mehr geschehen. Der Elefant hatte im 19. Jahrhundert ein gewaltsames und unwürdiges Ende gefunden. Doch in seinem Skelett hat bis ins 21. Jahrhundert überlebt und wird wohl noch lange Blickfang bleiben.

Doch was geschah vor eineinhalb Jahrhunderten in Kirchhain? Hier ist die Version aus dem Jahr 1934:

„Kirchhainer Elefantenjäger vor 70 Jahren

In der zoologischen Sammlung des hiesigen Zoologischen Universitätsinstituts auf der Ketzerbach erregt besonders das mächtige Skelett eines Elefanten die Aufmerksamkeit der Besucher. Es sind jetzt gerade 70 Jahre her, als in Marburg eine Schauspielertruppe gastierte, welche u. a. auch einen 25jährigen Elefanten mit sich führte.

"Jack", so wurde das Tier genannt, hatte sich in letzter Zeit seinem Führer gegenüber äußerst bösartig gezeigt, so dass sich die Truppe zu seiner Tötung veranlasst sah. Da die Marburger Polizei die Erschießung des Elefanten nicht erlaubte, nahm ihn die Truppe zu ihrem nächsten Gastspielort Kirchhain mit, wo sie die behördliche Genehmigung zur Tötung des Tieres erwirken konnte.

Etwa ein Dutzend Herren nahmen die seltene Gelegenheit wahr, sich auch einmal als „Elefantenjäger“ betätigen zu können. Man brachte den Elefanten, der sich in einem überbauten Wagen ohne Boden fortbewegte, in den Hirschhof, wo die Prozedur vor sich gehen sollte.

Da auch die Kirchhainer Bürgerschaft das seltene Schauspiel nicht verfehlen wollte, hatte man von mehreren um den Hof herum stehenden Scheunen die Dachziegel abgedeckt und konnte von dort aus den Hof sehr gut überblicken. Jüngere Leute ließen sich wie die Spatzen auf einer Hofmauer nieder.

Den Elefanten nunmehr aus seinem Wagen zu befreien, erschien den Jägern als wohl zu gefährlich. Sie kreideten die Stelle der Wagenwand, wo sich der Kopf des Elefanten befand, an, verriegelten den Wagen nach vorne und hinten mit starken Stämmen und gaben dem Elefanten vor Beginn der „Jagd“ noch ein vergiftetes Brot, das aber ohne Wirkung blieb.

Mit Titanenkräften zersplitterte der Elefant, als die Schießerei losging, seinen Käfig samt Stämmen und bewegte sich dann in königlicher Freiheit auf dem Hofe herum. Scheinbar empfand er die unaufhörlich auf ihn einprasselnden Bleikugeln aus Vorderladern nur als Nadelstiche.

Mehrere beherzte Burschen suchten den Elefanten dadurch umzuwerfen, dass sie ihm einen starken Strick um ein Hinterbein warfen und dann anzogen. Sie mussten jedoch ihr Vorhaben bald aufgeben, denn jedes Mal, wenn der Elefant einen Schritt machte, lagen sie auf der Nase.

Als sich der Elefant einmal am die vom den Zuschauern besetzte Mauer legte und diese stark erschütterte, sprangen die Zuschauer entsetzt ab. Lustig knallten die Jäger weiter auf den Elefanten – man schätzt die Zahl der auf ihn abgegebenen Schüsse auf über 100 – bis ihn ein Schuss eines Herrn Brandau niederstrecken konnte.

Mehrere Tage bildete der im Hof liegende tote Elefant noch das Ziel zahlreicher Besucher aus den umliegenden Orten. Er wurde dann von dem Zoologischen Institut der Universität Marburg erworben. skelettiert und das Skelett in der zoologischen Sammlung aufgestellt, wo man noch heute die Treffer der Kirchhainer „Elefantenjäger“ an den Knochendurchschlägen feststellen kann.“

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Andere Darstellungen der Tötung des Kirchhainer Elefanten:

Er wird durchgängig mit dem Namen „Jack“ geführt. Berichtet wird allgemein, dass der Elefant wild geworden und nicht mehr zu bändigen war. Heute muss man davon ausgehen, dass der Elefant in der Mast war. In diesem Fall kann nur sein meist lebenslanger Betreuer den Elefanten beruhigen. Dieser zugehörige Elefantentreuer soll jedoch krank oder nicht anwesen gewesen sein.

Zuerst wollte man den Elefanten erschießen. Dies gelang nicht. Die Einschüsse im Skelett sind noch heute zu sehen. Dann wurde berichtet, man hätte aus allen umliegenden Apotheken Gift geholt und dieses in Mengen dem Elefanten eingegeben – ohne Wirkung.

Schließlich sei ein Jäger aufgetaucht, der bereits an einer Jagd in Afrika teilgenommen hätte. Dieser konnte darlegen, dass ein Elefant nur durch einen Schuss ins Auge getötet werden konnte. Der Schuss gelangte dadurch in sein Gehirn. So muss es letztlich geschehen sein.

Den Kadaver kaufte das Zoologische Institut in Marburg. Der damalige Präparator Eduard Heppe zog den toten Elefanten mit drei Pferden von Kirchhain nach Marburg. Auf einen Wagen konnte der Elefant nicht geladen werden.

Das Präparieren, Abschneiden des Fleisches und Zurechtfügen der Knochen dauerte in Marburg ein ganzes Jahr. Danach wurde das Skelett im Institut auf der Ketzerbach aufgestellt. Es blieb dort über hundert Jahre bis zur Eröffnung der Bauten des Fachbereichs Biologie auf den Lahnbergen. Den Transport des Skelettes von der Ketzerbach auf die Lahnberge übernahm die Firma Heppe/Marburg.

Eine Version des Geschehens hat Lehrer Ludwig Kräling aus Mardorf aufgeschrieben. Lehrer Kräling hatte mit seiner Schulklasse – zu Fuß selbstverständlich – einen Tagesausflug nach Marburg unternommen, um die Attraktion eines Zirkus´ mit einem echten Elefanten seinen Kindern zu zeigen.

Von diesem Schulausflug hatte der Lehrer später einen Bericht verfasst mitsamt der Darstellung der Erschießung des von ihm und seinen Schülern bewunderten Tieres wenige Tage später in Kirchhain.

Nachlesbar ist der Bericht unter:

http://www.gimbel-mr.de/s2-pferdebahn.htm

(Veröffentlicht im Buch „Die Marburger Pferdebahn“, herausgegeben von Karl-Heinz Gimbel)

Bürgerreporter:in:

Karl-Heinz Gimbel aus Marburg

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