Mein Yom Ha Shoah von Tiqvah Bat Shalom....

Viele haben darüber schon geschrieben: Überlebende, Kinder von denen, die zurück kamen… die Täter, deren Kinder und Enkel … bis hin zu unseren muslimischen Feinden, die eben auch angeblich Bescheid wissen…. Ja… ich rede von der Shoah… von der Katastrophe unseres Volkes! Die Katastrophe der Menschheit , weil sie schlechthin da gezeigt hat, dass die meisten ihrer Art nur Kreaturen sind, aber nicht würdig der Bezeichnung "Mensch"!

Ich bin 1949 geboren.. also kurz nach der Katastrophe… Es war damit scheinbar zu Ende… doch nur zum Schein… Dass wir nicht ausgerottet wurden, hat man uns bis zum heutigen Tag nicht verziehen! Die Nazis haben ihre braune Uniform ausgezogen und andere Flaggen ergriffen .. doch im Herzen blieben sie, wie sie waren…

Als ich zur Schule ging, war es am gleichen Ort, wo mein Vater , meine Tanten und Onkel auch schon die Schule besuchten … Damals waren noch viele Juden da… jetzt war ich ganz alleine in der Klasse…

mein Vater war aus Mauthausen zurückgekommen … ganz alleine.. Sein Vater (mein Großvater) war mit ihm, und er erlebte es ganz jung, als sein Vater starb… er kam zurück mit knapp 40 Kilo… Seine Mutter und all die Geschwister wurden in Auschwitz umgebracht… Meiner Mutter blieb eine Schwester…ihre Familie ist auch in Auschwitz vernichtet worden… und sie selbst wurde von ihrer Mutter, ihrer Großmutter und den jüngeren Geschwistern - außer einer - getrennt…. Tagelang mussten sie im kalten Regen in der Reihe stehen und darauf warten, dass sie in die Gaskammer kommen…

Meine Eltern lernten sich 1946 kennen… Zwei Wesen, die leer und einsam waren, hofften einfach, dass es besser würde…dass ihre Einsamkeit nicht mehr da sei… und dass der Schmerz, der ihr Leben ausfüllte, entleert würde… aber so kam es doch nicht.. sie wurden zwei einsame Wesen.. und zwei schmerzvolle Hüllen…

Da dachten sie, dass wenn sie Kinder haben würden, dies ihren Schmerz nehmen könnte… und wir alle vier kamen schnell hintereinander … Ich bin die Nummer 2! Wir haben alle z w e i Namen bekommen… e i n e n von der Familie unserer Mutter, den a n d e r e n von der Familie unseres Vaters… Namen der Ermordeten…

Meine Eltern dachten, dass sie durch uns ihre ermordeten Angehörigen ein wenig lebendig machen… doch auch dies gelang nicht… Auch ich gab mir sehr viel Mühe, ihre verlorenen Lieben zu ersetzen.. aber auch das ging nicht… Noch bevor ich zur Schule kam, kannte ich keine Märchen.. keine Geschichten, doch wusste ich, wie es in Auschwitz zuging .. kannte die Wörter, die da zum Ordnung machen verwendet wurden… Meine Mutter erzählte mir immer und immer wieder, was so alles geschehen war, da ich ihr zugehört habe… ich konnte nicht anders… ich hoffte auch, dass es ihr dadurch besser gehen würde … Mein Vater schwieg… er konnte nicht davon reden… er schwieg… er konnte nicht anders… und ich saß mit ihm.. und schwieg mit…

Es waren keine schöne Zeiten… ich dachte, dass ich zerbreche… und meine Mutter sagte immer wieder, dass G“TT ihr in mir ein Stück ihrer Mutter wiedergab… aber sie litt ebenso weiter wie auch mein Vater …

So gingen die Jahre vorbei… und jetzt ist wieder Yom HaShoah… Es ist für mich bis heute schwer, daran zu denken, wie sehr es mir immer und immer wieder gefehlt hat, dass ich keine Oma hatte, die mich mal in den Arm nahm… keinen Opa, der etwas erzählt hat….

1995 war ich noch dabei, als in den KZ`s im Frühjahr die 50-jährige Befreiung „gefeiert“ wurde … In Ravensbrück war ich eine der Mitarbeiterinnen der Veranstaltung… Dies war in der Zeit von Pessach… und danach war ich krank von dem ganzen Theater, ich musste erkennen, wie überaus groß ab jetzt die Wende sein würde … und dann, dann machte ich mich auf den Weg.. die Zeit war für mich um… und ich durfte heimkehren.. heim in das Land, das der EWIGE uns gab…. Und die Hohen Feiertage feierte ich schon hier im Land…

Meine Schwester folgte nach kurzer Zeit nach.. und nach einem guten Jahr holte ich auch meine Eltern nachhause! Inzwischen ist mein Vater gestorben…Wir redeten oft über die Shoah… Einmal sagte ich meiner Mutter, dass ich eigentlich die, die dabei waren, zum Teil beneidenswert finde… Meine Mutter war zu erst entsetzt, bis sie dann verstanden hat, weshalb… Sie hatte Eltern, die Freude kannten, sie hatte Omas, Opas, und eine große Familie… Diese hatten eine Kindheit… wir nicht… Wir haben die Trauer im Mutterleib empfangen.. und die Angst mit der Muttermilch in uns eingesaugt…

Es gibt nicht mehr so viele Überlebende… doch wir sind geprägt durch sie- und leben die Shoah weiter…

Oft wird uns vorgehalten, dass wir nicht vergeben und vergessen können.. doch wie kann man an deren Stelle vergeben, die ermordet wurden oder die ein Leben lang gekennzeichnet sind und so auch starben - Oder vegetieren sie heute noch? Jeder kann nur das vergeben was ihm persönlich angetan wurde - aber sonst nichts! So bekomme ich immer gewissermaßen Halskrause und einen Magendruck bis zum Erbrechen, wenn irgendwelche Deutsche ankommen, um im Namen aller Deutschen Vergebung zu erlangen! Wie kann man das?? Wird vergessen, dass mehr als die Hälfte aller Deutschen heute keineswegs jüdische Nachbarn haben wollen.. usw. wie kann man dann in ihrem Namen reden? Und wie kann man erwarten, dass einem Absolution erteilt wird? Wie oft erklang schon das: "ES REICHT!" Was wollen diejenigen aber damit zum Ausdruck bringen???? . … Seit wann kann ein Täter sagen, wann das Opfer von seiner Verletzung genesen zu sein hat???

Es ist wichtig zu wissen, wie man miteinander umgeht… und ich wollte sehr, sehr lange Zeit wie eine Brücke sein… doch musste ich erkennen, dass zwischen Himmel und Hölle keine Brücke existiert… doch denen, die die Gnade haben, der Hölle zu entgehen, denen will ich die Hand geben und helfen, herauszukommen, mit Infos und vielem mehr…

DENNOCH muss ich zugeben, dass ich ausgesprochen allergisch bin, wenn jemand von Vater, Mutter, Oma, Opa, Tanten und Onkel erzählt, die bei Juden eingekauft haben, als… oder die einen Juden versteckten, auch wenn… usw. oder die ihre eigene „Heldentaten“ erwähnen… da es noch nicht vorbei ist… ich weiß es nicht, wer bestehen wird und auf welche Weise… und wer die sind, die tatsächlich ernsthaft den Weg gehen wollen, die ähnlich denken wie Schindler, der beteuert hat, dass er etwas noch zurückbehalten hatte.. sein goldenes Hakenkreuz, obwohl er auch für dieses Juden hätte freikaufen können…

Momentan ist es noch nicht so weit… doch wer nur mit seinen Lippen etwas tut, der wird es gewiss nicht schaffen, wenn es den Job, die Familie, wenn es Freunde usw. kosten wird, an der Seite von Juden zu stehen…

Ich überlegte auch, was es für einen Sinn habe, Yom HaShoah zu halten… da wir ja jeden Tag und zu jeder Zeit die Shoah weiterleben … aber doch.. doch hat es einen Sinn… an diesem herausgehobenen Tag leben unsere Ermordeten noch intensiver in unseren Gedanken und unseren Herzen, weil wir ja auch für sie leben…

Bürgerreporter:in:

Gisela Görgens aus Quedlinburg

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