150 Jahre Psychiatrie in Langenhagen bei Hannover

Park der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt, um 1912. Rechts der Festsaal...
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Es begann alles im Jahr 1862. Am 2. Januar wurde die „Heil- und Pflegeanstalt für geistesschwache und blödsinnige Kinder (Verzeihung, aber so lautet die offizielle Bezeichnung) zu Langenhagen bei Hannover“ mit zunächst 20 Zöglingen gegründet. Als Verwaltungs- und Aufsichtsbehörde fungierte das Komitee zur Errichtung von Idiotenanstalten in Hannover. In den ersten Jahren ihres Bestehens stand die Anstalt unter rein pädagogischer Leitung, aber schon bald übernahm ein Arzt die Leitung der Einrichtung. Vom 1. Oktober 1866 bis 1. Juli 1868 wirkte hier als Assistenzarzt Robert Koch, der, wie wir alle wissen, später als Bakteriologe zu Weltruhm kam. Am 1. Oktober 1868 übernahm Dr. med. Kind die Leitung, studierter Pädagoge und Arzt.
Bereits Ende 1862 musste Raum für 72 Zöglinge geschaffen werden. Weitere Grundstücke wurden erworben, zumeist Areale von früheren Bauernhöfen.
Land veräußerten:
1.) Großkötner Wilhelm Bestenbroer, Langenhagen,
2.) Vollmeier Heinrich Christian Borchling, Langenforth Nr. 1
3.) Gutsbesitzer Alexander Cordemann, Langenforth
4.) ehem. Lehnsgut des Kammerherrn Graf August von Rohde auf Rohdenburg in Langenforth
5.) Vollmeier Wilhelm Ehlers, Langenforth, hatte auch Besitzungen in Bothfeld
6.) Vollmeier Georg Schaumann, Langenforth
Am 1. April 1897 übernahm die Provinz Hannover die Anstalt. Neuer Name:
“ Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Langenhagen“. Am Ende desselben Jahres, am 21. Dezember, „klopfte“ ein Mann an die Pforten der Anstalt, der als Massenmörder in die Geschichte Hannovers eingehen sollte. Wenige Wochen nach seiner Überstellung aus der Heilanstalt Hildesheim flüchtete Fritz Haarmann aus Langenhagen und wurde auch nicht wieder „eingefangen“. Dieser verhängnisvolle Fehler der Verantwortlichen kostete Anfang der 1920-er Jahre 24 Menschen das Leben.
Im Jahr 1902 beschloss der Provinzial-Landtag eine Reihe von Neubauten und einen umfassenden Umbau der alten Gebäude.
Der Heidedichter, Journalist und Verleger Hermann Löns äußerte sich in einem Artikel, der am 29. März 1903 in der Hannoversche Allgemeine Zeitung (Herausgeber: Hermann Löns und Richard Hamel) erschien, sehr negativ über die Anstalt. „Die Anstalt ist ein hässliches Sperrfort zwischen den Gemeinden Brink und Langenforth“ polemisierte Löns und weiter: “die physisch Kranken müssen weit ab von belebten Plätzen isoliert untergebracht werden, um den braven Bürger von dem schlimmen Anblick bemitleidenswerter Kreaturen zu schützen“.
1906 wurde, trotz Löns, eine „Beobachtungsstation für Geisteskranke“ in einem sehr geräumigen Neubau eingerichtet. Im ersten halben Jahr wurden dort 110 Männer und 48 Frauen aus Hannover und der Region aufgenommen.
8 Wärter und 6 Wärterinnen, sowie ein Oberwärter und eine Oberin beaufsichtigten die Patienten. 1910 hatte sich die Anzahl der „Beobachteten“ bereits verdoppelt.
Im Jahr 1935 betrug die Krankenzahl in der Hauptanstalt 842 Personen (413 männliche und 429 weibliche). Eingeteilt in Zöglinge und Pfleglinge waren die Zweitgenannten mehr oder weniger bildungsfähig, allerdings zum Teil körperlich hinfällig und dauernder Pflege bedürftig. Die Zöglinge wurden, nach Erreichung des Erwachsenenalters, in den Betrieben der Einrichtung beschäftigt. Neu hinzu kam in jenen Jahren die Außenfürsorge für entlassene Geisteskranke, zumeist ehemalige Insassen der Beobachtungsstation. Anstaltsärzte besuchten sie regelmäßig
Der gesamte Grundbesitz betrug Mitte der 1930-er Jahre einschließlich Pachtland rund 796 Morgen (1 Morgen = 2621 Quadratmeter, hannoversches Maß), von denen 368 Morgen zu Ackerland, 160 Morgen zu Wiesen und Weiden und 66 Morgen für die Gärtnerei bestimmt waren. Der Rest entfiel auf Gebäude, Anlagen, Forsten und Wege. Die Anstalt nannte sich jetzt: “Landes-Heil- und Pflegeanstalt Langenhagen“.
Am 1. April 1938 übernahm die Stadt Hannover für einen Kaufpreis von 2,25 Millionen Reichsmark die bisherige Heilanstalt als zentrales Pflegeheim mit einer Abteillung für Geistesschwache (830 Betten) und eine Spezialeinrichtung für Nervenkranke. Ein anderer Bereich, bislang als Beobachtungsstation bekannt, wurde in „Nervenklinik Langenhagen“ umbenannt.
In der Zeit des Nationalsozialismus gab es zwar Zwangssterilisierungen in der Nervenklinik Langenhagen, an den sogenannten „planwirtschaftlichen Verlegungen“ zu Tötungsanstalten im Rahmen des Euthanasie-Programms war die Anstalt Langenhagen nicht direkt beteiligt. Aber es gab am 17. Juni 1940 einen Sonder-Transport nach Wunstorf in die dortige Anstalt. Am 27. September 1940 meldete Wunstorf einen Transport* nach Brandenburg/Havel in das dortige "Alte Zuchthaus", das, weil nicht mehr belegt, zu einer sogenannten "Tötungsanstalt" umfunktioniert wurde. Die ankommenden Patienten wurden sofort nach ihrer Ankunft in die Gaskammern geleitet und anschließend verbrannt.
* Sammeltransport von 158 JudenInnen mit einem gesundheitlichen Handykap aus dem norddeutschen Raum.

Ärztlicher Leiter in Langenhagen war zum damaligen Zeitpunkt Dr. Stefan, ein "strammer" Nationalsozialist, der 1943 sein Amt auf Drängen der Verwaltung aufgeben musste.

Im 2. Weltkrieg wurden 28 Gebäude (von 61) völlig zerstört, 10 stark beschädigt. Über 50 Heiminsassen starben.
Nach Kriegsende mussten neurologische Stationen wegen der erlittenen Kriegsschäden vorübergehend in das hannoversche Nordstadt-Krankenhaus ausgelagert werden. Auch das Landeskrankenhaus Wunstorf nahm Patienten, die eine längere Verweildauer benötigten, auf.
Ein Neubau für zwei offene Stationen mit jeweils 26 Betten sorgte im Jahr 1962 für eine spürbare Verbesserung der räumlichen Verhältnisse. Zehn Jahre später sprach sich der Rat der Landeshauptstadt Hannover für eine Beibehaltung der Nervenklinik Langenhagen aus. Dem damaligen ärztlichen Leiter der Klinik, Prof. Dr. Werner Stucke (bis 1986 Chefarzt), dürfte diese Entscheidung sehr gefallen haben, herrschte doch jetzt Planungssicherheit. Weitere Altbauten konnten nach diesem für Langenhagen so positiven Beschluss saniert werden.
Im Frühjahr 1985 wurde ein neues Zentralgebäude mit 143 Betten vollstationär und 55 Betten teilstationär eingeweiht. Im Fokus blieb weiterhin die Renovierung der alten Pavillons.
Ende 1994 wurde die „Nervenklinik Langenhagen“ in „Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie“ umbenannt.
Seit Januar 2006 ist die Klinik Teil der “Klinikum Hannover GmbH“ und nennt sich jetzt „KRH Psychiatrie Langenhagen“. Sie ist eine moderne Fachklinik zur Behandlung von psychischen Erkrankungen und trägt den Titel „Akademisches Lehrkrankenhaus der Medizinischen Hochschule Hannover“.
Textquellen:
Der Kreis Hannover-Land mit dem Deister, Kunstdruck- und Verlagsbüro Magdeburg, 1935
Internet: KRH Psychiatrie Langenhagen

Bürgerreporter:in:

Bernd Sperlich aus Hannover-Bothfeld

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