Der Schwarze Herzog Friedrich Wilhelm und Johann Franz Boettcher vom Posthof in Groß Lafferde

Skizze aus der Boettcherschen Familiengeschichte
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„Ut de Franzosentid“ heißt eine Erzählung, die Fritz Reuter im 19. Jahrhundert über die napoleonische Herrschaft in deutschen Landen schrieb.
„Auf dem Weg nach Waterloo“ lautet der Titel des lesenswerten Buches, welches Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel zur Erinnerung an Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig-Oels herausgegeben hat (ISBN 978-3-932313-86-8, Matrix-Media Verlag).
Aber nicht nur in Literatur und Geschichtsschreibung hat diese Zeit ihren Niederschlag gefunden, sondern auch im eng begrenzten lokalen Bereich von Groß Lafferde.

Friedrich Wilhelm (*9.10.1771 †16.6.1815) und dessen Vater Herzog Carl Wilhelm Ferdinand (* 9.10.1735 †10.11.1806) von Braunschweig nahmen an der für Preußen so verhängnisvollen Doppelschlacht von Jena und Auerstedt teil (14.10.1806).
Der Vater Carl Wilhelm Ferdinand, Generalfeldmarschall und Oberbefehlshaber der preußischen Armee, wurde gleich zu Beginn der Schlacht bei Hassenhausen an den Augen schwer verwundet. Diese Verwundung führte nach wenigen Tagen zum Tode.
Obwohl Friedrich Wilhelm der jüngste Sohn war, ernannte ihn der Vater noch auf dem Krankenlager zum neuen Regenten. Der eigentliche Thronfolger war bereits ohne Erben verstorben und die beiden folgenden Brüder galten wegen körperlicher Gebrechen als regierungsunfähig.

Da Friedrich Wilhelm ursprünglich nicht für die Thronfolge vorgesehen war, ließ ihn der Vater zielgerichtet auf die militärische Laufbahn vorbereiten. Das sollte sich insofern nachteilig erweisen, als er wegen dieser einseitigen Fachausbildung zum Regenten wenig geeignet war. Allerdings hatte er in seiner kurzen Regierungszeit kaum Möglichkeiten, das Gegenteil zu beweisen. Seine Fähigkeiten lagen eindeutig im Bereich des Militärischen, auch wenn er gelegentlich gravierende Fehler machte, wie in der Schlacht von Lübeck am 16.11.1806.

Carl Wilhelm Ferdinand, ein fortschrittlicher und aufgeklärter Fürst, voller Verdienste um sein Herzogtum, hatte bei der Erziehung des Sohnes keine glückliche Hand. Er machte ähnliche Fehler wie seinerzeit der Preußenkönig Friedrich-Wilhelm I (Großvater mütterlicherseits von Carl Wilhelm Ferdinand) bei der Erziehung des Sohnes Friedrich (späterer König Friedrich II, der Große). Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war ähnlich zerrüttet.

Obwohl das Herzogtum Braunschweig im Krieg gegen Napoleon neutral war, annektierte es Napoleon nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt in demütigender Weise. Der Grund lag in unbedachten Äußerungen des Herzogs Carl Wilhelm Ferdinand aus dem Jahre 1792, Paris zerstören zu wollen. Das Territorium des Herzogtums wurde Bestandteil des per Dekret vom 18.8.1807 geschaffenen französischen Satellitenstaates „Königreich Westfalen“.

Der junge Herzog Friedrich Wilhelm war jetzt ein Reichsfürst ohne Land. Er besaß zwar noch das Herzogtum Öls in Schlesien, aber das war hoch verschuldet und von Franzosen besetzt. Die gesamte Fürstenfamilie befand sich auf der Flucht. Er sah in Napoleon seinen größten und unversöhnlichen Feind. Die Verbitterung des Herzogs wurde noch gesteigert, als seine Frau Marie im Jahre 1808 nach der Totgeburt einer Tochter, des dritten Kindes, im badischen Exil starb.

Da es Friedrich Wilhelm wegen mangelnder Unterstützung nicht gelang, Napoleon wirksam zu bekämpfen, schlug er sich im Jahre 1809 mit seiner „Schwarzen Schar“ von 1500 bis 2000 Freikorps-Soldaten in einem aufsehenerregenden, 500 km langen Marsch von Böhmen bis Elsfleth durch, um von dort aus nach England überzusetzen. Durch diesen Marsch wurde er bei den Zeitgenossen populär. Seine Soldaten kämpften dann in englischen Diensten in Spanien, Südfrankreich und auf Sizilien. Die Namen „Schwarzer Herzog“ und „Schwarze Schar“ sind auf deren schwarze Uniformen zurückzuführen.

Nach der folgenschweren Niederlage Napoleons in der Völkerschlacht bei Leipzig am 16., 17., 18. und 19. Oktober 1813 rückten bereits am 6.11. braunschweigische Truppen in das Herzogtum ein und am 13.11. nahm Major Olvermann das Land für den Herzog in Besitz. Friedrich Wilhelm kehrte am 22.12.1813 aus dem englischen Exil zurück. In feierlicher Begeisterung wurde ein von dem Edukationsrat Johann Peter Hundeiker (geboren in Groß Lafferde) eigens zu diesem Zwecke gedichtetes „Herr Gott, Dich loben wir“ gesungen.*)
Die unbändige Freude seiner Landsleute wurde bald dadurch getrübt, dass er die drückenden militärischen Lasten der westfälischen Zeit nicht verringerte, sondern seine Truppen auf 10.000 Mann verstärkte, was für den Staatshaushalt bei einer Bevölkerungszahl von knapp 200.000 Einwohnern eine erhebliche Belastung bedeutete.

Diese Armee ermöglichte es ihm aber, nach der Rückkehr Napoleons von der Insel Elba wirksam in den Endkampf einzugreifen und mitzuhelfen, die später so genannte napoleonische „Herrschaft der 100 Tage“ zu beenden.
Friedrich Wilhelm setzte seine Armee in Marsch. Laut Tagebuch des Feldwebels Schwalbe war er am 24.4. 1815 in Gadenstedt, zog weiter über Wilkenburg/Hann., Lindhorst, Osnabrück , Rheine in Richtung des heutigen Belgien (siehe Seite 173 des Buches „Auf dem Weg nach Waterloo“). Dort kam es am 16. Juni 1815, zwei Tage vor der Schlacht von Waterloo, zum Treffen von Quatre-Bras, bei dem Friedrich-Wilhelm das Leben im Dienste des Vaterlandes verlor. Seine Uniformjacke mit dem Einschussloch und seine persönliche Ausrüstung sind heute noch im Braunschweigischen Landesmuseum vorhanden. Die größte Tragik dieses Todes lag wohl darin, dass der Schwarze Herzog die kurz bevorstehende endgültige Niederlage seines größten Feindes nicht mehr erleben konnte. Sein heldenhaftes Verhalten festigte über Jahrzehnte hinaus das Braunschweigische Nationalgefühl. Davon zeugen noch heute zahlreiche Denkmäler. Das größte wurde ihm in unmittelbarer Nähe des Ortes seiner tödlichen Verwundung im Jahre 1890 errichtet.

Wenn in dem Schwalbeschen Tagebuch Gadenstedt, aber nicht Groß Lafferde, erwähnt ist, so ist doch als sicher anzunehmen, dass die Marschkolonne von Braunschweig über Groß Lafferde nach Gadenstedt zog. Einen anderen Weg anzunehmen, wäre unlogisch.

Dem Herzog war der Weg nach Groß Lafferde nicht unbekannt.
Auch seine Zeitgenossen König Friedrich Wilhelm III von Preußen (*3.8.1770 †7.6.1840) und König Jerome von Westfalen (*15.11.1784 †24.6.1860) waren in Groß Lafferde auf dem Posthofe des Johann Franz Andreas Boettcher (*27.4.1771 †7.12.1839) zu Gast. Das lässt sich der Familiengeschichte der Posthalterfamilie Boettcher aus Groß Lafferde entnehmen, deren Niederschrift von Pastor Heinrich Boettcher in den 1870er Jahren begonnen und von dessen Enkel, dem Generalleutnant Hermann Boettcher, Beiname Eifelwolf, (*10.5.1884 †20.7.1969) vollendet wurde. Sie wird, soweit sie in diesem Zusammenhang von Belang ist, im Folgenden, zwar gekürzt, ansonsten aber wortgetreu, wiedergegeben:

1805 ist König Friedrich Wilhelm III von Preußen hier zu Gast gewesen (1803 bis 1806 war das säkularisierte Fürstentum Hildesheim preußisch), der an Johann Franz besonderen Gefallen fand. Dies bezeugen die Worte, die er beim Abschied an ihn gerichtet hat: „Söhne sollen zu mir nach Berlin kommen, kann Offiziers gut gebrauchen jetzt“.
Der Raum, den der König bewohnte, galt in der Familie als Heiligtum und hieß hinfort das „Königszimmer“, der Stuhl, auf dem er gesessen, der „Königsstuhl“.

Johann Franz lebte in einer stürmischen Zeit, die schicksalsdrohend über Europa lag. Die Französische Revolution verbreitete ihre Schrecken.
Als vaterländischer „Kerndeutscher Mann“ bäumte er sich, wo er nur konnte, gegen französische Willkür auf. Er war ein glühender Verfechter jeglicher Freiheitsbestrebungen.
Die heiße Glut, die gegen den Weltbedrücker unter der Asche schwelte, hat er ständig geschürt. Mit gleichgesinnten fand er schnell den Kontakt. Dem preußischen Major von Schill, Kommandeur der 2ten (Kompanie des) brandenburgischen Husaren-Regiments, war er nahe vertraut und hat ihm mehrfach Freiwillige zugeführt.

Mit dem Herzog Friedrich Wilhelm, dem „Schwarzen Herzog“, dessen Land mit dem Kurfürstentum Hannover und preußischen Teilen (darunter das säkularisierte Fürstentum Hildesheim) zum napoleonischen „Königreich Westfalen“ verschmolzen war, und der nun heimatlos von französischen Häschern verfolgt, außerhalb seiner Länder mit seiner „Schwarzen Schar“ den Franzosen mancherlei Abbruch tat, stand er in geheimer Verbindung.
In Groß Lafferde hat er den Geächteten mehrfach beherbergt. Pferde zu seiner Verfügung hielt er ständig bereit.
Auch Fahrgelegenheit hat er ihm ebenfalls verschafft, und als einmal Eile und besondere Vorsicht geboten war, stellte er sich selbst und eine Extrapost in getarnter Aufmachung zu seiner Verfügung.
Fast immer war es gewagt, insbesondere im Zuge der Straße lauerte Gefahr. An jedem Schlagbaum standen und überwachten französische Postierungen den Postverkehr.
Um nicht erkannt zu werden, saß der Herzog, als Kutscher verkleidet, oben auf dem Bocksitz, Boettcher als harmloser Reisender, den Hut tief im Gesicht, sich schlafend stellend, in einer Wagenecke. Die Tarnung glückte. Der Herzog kam unbehelligt ans Ziel.

So war er (Boettcher) in steter Gefahr, vom Feinde entlarvt zu werden. Verrat spukte überall, jederzeit drohten Henker und Tod. Bald darauf aber schien es um ihn geschehen.
Es war im August 1809. Die Schwarze Schar war bei Ölper, nordwestlich Braunschweig, durch feindliche Übermacht zerschlagen (1.8.), ihre Teile flüchteten über Peine nach Norden der deutschen Küste zu, um dann mit englischer Hilfe nach dem Inselreich überzusetzen.
Der Herzog im dunklen Reitermantel suchte und fand zunächst bei ihm Zuflucht, nur der alte Gärtner war eingeweiht. Es dauerte nicht lange, als schwere Kolbenschläge gegen das Einfahrtstor gefahrdrohend Einlass forderten.
Französische Gendarmen fahndeten nach dem Herzog und stellten auf dem Posthof eingehende Suche an.
Mit knapper Not gelang es diesem über den rückwärtigen Garten durch die Hintertür, die ihm die 3jährige, dort spielende Tochter Wilhelmine in Erkennung seiner Absicht zeigte, ins Freie zu gelangen.
Pferde standen draußen bereit. Die einbrechende Dunkelheit verhüllte die Spur. Die Verfolger, die der Gärtner, schimpfend über das Betreten seiner Beete, in falsche Richtung gewiesen, gaben schließlich die Nachsuche auf.
Der Herzog war gerettet, aber das Misstrauen der Franzosen gegen Johann Franz war rege geworden. Er wurde überwacht. Sein Leben war von Tag zu Tag unerträglicher.
Bald darauf wurde er seiner Ämter als Posthalter enthoben. Seinen Besitz gab man feindlicher Aufsicht preis. Anweisungen seinerseits hatten keinen Nachdruck mehr. Er musste zusehen, wie seine Wirtschaft zu Grunde ging.
So verstrichen traurige Jahre. Am 12.12.1811 stand der Posthof in Flammen. Sein Patent als Reichsposthalter ging dabei verloren. Französische Mache hatte die Hand im Spiel.

Verarmt hielt er sich in der Umgebung auf. Freunde boten ihm abwechselnd Unterkunft. Es brachen trostlose Tage an.
Von Haus und Hof verbannt musste er mit ansehen, wie in Groß Lafferde, in Sonderheit auf dem Posthof, Pferde und Fahrzeuge gewaltsam beschlagnahmt wurden, um am 6. und 7. Juli 1812 für eine Reise des Königs Jerome (genannt „Morkenwiederluschtik-Majestät“) mit seiner Gemahlin Katharina von Württemberg über Hildesheim nach Braunschweig zur Verfügung zu stehen.
Es wurden gestellt (nachträglich nach Dokumenten):
1 Wagen für die Majestäten mit Postillion 8 Pferde
4 Wagen für den Hofstaat 24 Pferde
1 für den Minister Tuer[ie] 4 Pferde
1 Kalesche für die Ärzte 4 Pferde
2 „Berliner“ für die „Valets de Chambre“ 8 Pferde
für Kuriere und begleitende Postillione 12 Pferde
und andere mehr insgesamt 122 Pferde

Nicht politische Ohnmacht des Vaterlandes, nicht der preußische Zusammenbruch, nicht die Niederlegung der deutschen Kaiserkrone durch Franz II (6.8.1806 anlässlich der Gründung des Rheinbundes), auch nicht sein eigenes Unglück war das Bedrückendste, wohl aber das Verhalten eigener Landsleute.
Liebedienerei, Kriecherei, Angeberei, ja sogar Landesverrat um des eigenen Vorteils willen, war das, was Johann Franz das Leben verekelte, den Glauben an eine bessere Zukunft beinahe verlieren ließ.
Dennoch hat er sich durchgerungen. Zähe Energie und Vertrauen auf Gott und Gerechtigkeit hielten ihn aufrecht. Bei den Seinen fand er Trost.

Langsam schleichend erschien ihm die Zeit, doch als dann die “Große Armee“ in Russlands Weiten zugrunde ging, fühlte er, dass eine Schicksalswende durch Gottes Fügung nicht lange mehr auf sich warten ließ. Bald spürte er immer stärker, dass ein neuer Geist durch die Deutschen zog. Das Nationalgefühl war erwacht.

York, Gneisenau, Scharnhorst entfachten die preußische Erhebung, und als schließlich durch die Völkerschlacht bei Leipzig (16. bis 19.10.1813) das verhasste Joch endlich gefallen war, trat er als freier Mann wieder in seine Rechte ein.

Er erlebte den jubelnden Empfang der „Schwarzen Schar“ in der Braunschweigischen Hauptstadt (22.12.1813), sah seinen geliebten Herzog wieder, der leider nach 1 ½ Jahren bereits bei Quatre-Bras auf dem Felde der Ehre blieb (16.6.1815, am „Wegweiser mit den vier Armen“).
(Ende des Auszuges aus der Chronik)

Louis Ferdinand Spehr schrieb **), dass Friedrich Wilhelm trotz ständiger Gefahr, von den Franzosen gefasst zu werden, im Jahre 1808 dreimal in Braunschweig war, um sich über die dortige Lage zu informieren und Kontakt zu halten. Jedesmal war er Inkognito in das Gasthaus „Zum weißen Rosse“ an der Peripherie Braunschweigs eingekehrt. Zuerst gab er sich als Handwerksbursche, dann als Bauer und zuletzt als Bankier Poper aus Wien aus. Bei letzterer Gelegenheit war ihm die allgegenwärtige Westfälische Polizei auf die Schliche gekommen. Nur mit Mühe gelang es Gesinnungsgenossen, unter Gefahr für das eigene Leben, ihm zur Flucht zu verhelfen.
Diese auffallenden Ähnlichkeiten mit der Boettcherschen Chronik lassen die Frage aufkommen, ob es einen Zusammenhang zwischen den Aufenthalten auf dem Posthof in Groß Lafferde und dem Gasthaus „Zum weißen Rosse“ gibt oder ob die scheinbaren Zusammenhänge zufälliger Natur sind. Es darf spekuliert werden.

Auf dem Marsch von Böhmen nach Elsfleth wurde am 2.8.1809 auch in Peine Rast gemacht (siehe Abbildung Gedenktafel). Darüber schrieb Friedrich Ludwig von Wacholtz ***): „In Peine, welches Städtchen wir mittags erreichten, stieß Leutnant von Erichsen wieder zum Korps. Der Herzog ließ jedem Husaren des Kommandos eine Bouteille Wein verabreichen. Wir rasteten alldort nur wenige Stunden und erreichten spät abends … das Städtchen Burgdorf“.

*)
Louis Ferdinand Spehr, „Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Oels, ein biographisches Denkmal“, Seite 269.
**)
Ebenso: Seite 76.
***)
Friedrich Ludwig von Wachholtz „Unter der Fahne des Schwarzen Herzogs“, Seite 89.

Bürgerreporter:in:

Wilhelm Heise aus Ilsede

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