Das Wandern ist des Müllers Lust.

Emblem und Gruß der Müller
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Jeder kennt es auch heute noch, dieses schöne, von Johann Ludwig Wilhelm Müller (!) 1821 gedichtete und von Carl Friedrich Zöllner 1844 komponierte Volkslied.
Heinrich Wilhelm Behrens aus Groß Lafferde könnte es schon gesungen haben. Er erblickte am 24. April 1832 als ehelicher Sohn von Conrad Behrens und Sophie, geb. Cramm, in Groß Lafferde, Nr. 131 (abgerissen, jetzt "Neue" Schule, Bernwardstr. 8) das Licht der Welt (KB Groß Lafferde 15/1832).

Wilhelm war 24 Jahre alt, 5 Fuß 9 Zoll groß (1 Hannoverscher Fuß = 29,21 cm, 1 Zoll = 2,43 cm, insgesamt 1,68 m), schlank, blond, mit runder Stirn, hellblonden Augenbrauen, blauen Augen, gewöhnlicher Nase, gewöhnlichem Mund und gesunder Gesichtsfarbe. So steht es im Wanderbuch, das er sich im Juli 1856 vom Königlich Hannoverschen Amt Steinbrück ausstellen ließ. Er war ledig, ungebunden und von Profession Müllergeselle. Somit erfüllte er alle Voraussetzungen, um auf Schusters Rappen hinausziehen zu können.

Egal, ob Wind- oder Wassermüller, wer Meister werden wollte, musste sein Handwerk verstehen.
Ein gutes Mehl erforderte 7 Mahlgänge. Dazu musste das Mehl nach jedem Mahlgang wieder nach oben getragen werden. Mühle und Haus waren ständig von Mehlstaub zu säubern, denn eine Mehlstaubexplosion konnte Existenz, Gesundheit und Leben vernichten.
Wenn sich die normalen Mühlgeräusche (rütteln, schütteln, knarren, knirschen, klopfen) veränderten, hörte das geschulte Ohr des Müllers schon frühzeitig, dass Unheil drohte. War das Mehl in der Gosse alle, ertönte der Klingelmann.
Ließ die Qualität des Mehles nach, mussten die Mühlsteine nachgeschärft oder ausgewechselt werden. Mühlsteine konnten sich im schnellen Lauf erhitzen und auseinanderreißen.
Sturm, Gewitter, Überschwemmung, Eisgang und Feuer konnten die Mühle beschädigen oder zerstören, Flaute und Wassermangel den Mahlbetrieb beeinträchtigen.
Immer wieder musste darauf geachtet werden, dass die Windmühlenflügel richtig im Wind standen oder bei Wassermühlen die Wasserzufuhr stimmte. Wann gemahlen wurde und wann Feierabend war, bestimmten der Wind oder das Wasser.
Neben der Instandhaltung der Mühle und neben dem technischen Mühlenbetreib hatte sich der Müller noch um die Buchführung über angeliefertes Korn und abgelieferte Mühlenprodukte (Mehl, Schrot, Kleie) zu kümmern.

Bei diesen vielen Gefahren und Tätigkeiten war es schon angebracht, dass sich angehende Müllermeister auf die Walz begaben, um Erfahrungen zu sammeln und Neues zu lernen. Der Müllergruß „Glück Zu“ war denn auch in jeder Hinsicht angebracht.

Vor diesem Hintergrund packte der Müllergeselle Wilhelm Behrens im Juli 1856 sein Bündel, zog die Kluft an (das Aussehen der Müllerkluft ist nicht bekannt), stieg in Schusters Rappen, setzte seinen schwarzen Deckel (Hut) auf, nahm den Stenz (Knotenstock) in die Hand und stiefelte los.
Der Reiseweg ist in seinem Wanderbuch genau dokumentiert: Kassel – Münster – über Dülmen, Düsseldorf nach Köln – Aachen – Frankfurt/Main – Dresden - Gotha – Chemnitz – Dresden - Oederan – Freiberg - Dresden – Meißen –Leipzig - Wurzen – Halle – Berlin – Stettin - Stralsund – Wismar – Ribniz - Rostock – Schwerin – Lübeck – Stockelsdorf - Hamburg – Altona - Harburg über Lüneburg und Celle – Hannover. Von dort ging es zurück nach Groß Lafferde.

Wilhelm Behrens konnte zwar wandern wohin er wollte, musste sich aber bei der Ortspolizeibehörde seines Reisezieles melden. Dort gab er sein nächstes Reiseziel an. Das wurde im Wanderbuch mit dem Vermerk „Gut nach Xxxx“ eingetragen. Von diesem Ziel durfte er nur in ganz begründeten Fällen abweichen. Bei mehrere Tage dauernden Etappen wurde die Zahl der Reisetage oftmals vorgegeben. Die Reisezeit war einzuhalten. Durch diese Maßnahmen wollte man das Umhervagabundieren verhindern. Zusätzlich zu den bisher genannten Angaben enthielt jeder Sichtvermerk das Ausstellungsdatum, eine Registriernummer, einen Siegelabdruck und eine Unterschrift.
Im „Regulativ in Betreff des Wanderns der Gewerbs-Gehülfen“, erlassen in Berlin am 24. April 1833 vom Minister des Innern und der Polizei, war genau geregelt, was die Wandergesellen und die Behörden zu beachten hatten. Merkwürdigerweise steht dieses (preußische) Regulativ in einem Königlich Hannoverschen Wanderbuch. Vielleicht hatte es ja im gesamten Gebiet des Deutschen Bundes (1813 bis 1866) Gültigkeit.
Wer im Wanderbuch Fälschungen vornahm, Meldepflichten nicht beachtete, bettelte, Gewerbsgenossen oder andere Personen um Unterstützung ansprach, straffällig wurde, sich nicht anständig verhielt, nicht auf Arbeit aus war sondern nur umhervagabundierte, dem waren entsprechende Konsequenzen angedroht. Wer das Wanderbuch verlor, keine Arbeit fand (auch aus gesundheitlichen Gründen) oder der Öffentlichkeit zur Last fiel, wurde nach Hause geschickt.

Die Wanderschaft war ab dem Spätmittelalter Voraussetzung zur Erlangung des Meistertitels. Mit der beginnenden Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts lockerten sich die Vorschriften. Man sieht auch heute noch ab und zu Wandergesellen, meist Zimmerleute, in ihrer auffälligen Kluft durch die Gegend ziehen. Das geschieht aber mehr aus Traditionspflege und Abenteuerlust, als aus Notwendigkeit. Gleichwohl halten die Burschen an den überlieferten Bräuchen und dem Ehrenkodex fest.

Die Wanderschaft dauerte im Allgemeinen 3 Jahre und 1 Tag. Es wird auch von 2 Jahren und 1 Tag berichtet. Während dieser Zeit musste sich der Wandergeselle von seinem Heimatort fernhalten.

Wilhelm Behrens war laut Wanderbuch vom Juli 1856 bis November 1856, also maximal fünf Monate als „Fremdgeschriebener“ oder „Fremder“ (Fachausdrücke für zünftige Wandergesellen) unterwegs.
Bei der großen Zahl erwanderter Stationen kann er in dieser kurzen Zeit nicht viel gearbeitet haben. Möglicherweise war er finanziell so gut ausgestattet, dass er sich das leisten konnte. Vielleicht nutzte er seine Gesellenwanderung weniger zum Erwerb von Fachwissen als zum Kennenlernen von Land und Leuten und um sich frischen Wind um die Nase wehen zu lassen. Vielleicht waren es aber auch ganz andere Gründe (Krankheit, Arbeitslosigkeit, Heimweh), die ihn veranlassten, die Walz so schnell zu beenden. Ob er dennoch Meister wurde, ist nicht überliefert.

Zur Erinnerung: Der Liedtext von Johann Ludwig Wilhelm Müller:

Das Wandern ist des Müllers Lust,
das Wandern.
Das muß ein schlechter Müller sein,
dem niemals fiel das Wandern ein,
das Wandern.^
Vom Wasser haben wir's gelernt,
vom Wasser:
Das hat nicht Rast bei Tag und Nacht,
ist stets auf Wanderschaft bedacht,
das Wasser.
Das sehn wir auch den Rädern ab,
den Rädern:
Die gar nicht gerne stille stehn,
die sich mein Tag nicht müde drehn,
die Räder.
Die Steine selbst, so schwer sie sind,
die Steine,
sie tanzen mit den muntern Reih'n
und wollen gar noch schneller sein,
die Steine.
O Wandern, Wandern meine Lust,
o Wandern!
Herr Meister und Frau Meisterin,
laßt mich in Frieden weiter ziehn
und wandern.

Bürgerreporter:in:

Wilhelm Heise aus Ilsede

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