Rund um das Schlachteschwein des kleinen Mannes, Erinnerungen an die 1950er Jahre

Zwergschwein
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Als der zweite Weltkrieg zu Ende war, hatte man große Sorgen, das tägliche Brot zu beschaffen. Wer von uns „kleinen Leuten“ die Möglichkeit zur Schweinehaltung besaß, mästete ein Schwein, je schwerer und fetter, desto besser.
Die gewichtigen Tiere wurden per Hausschlachtung verarbeitet. Man sprach vom „Schlachtefest“. Es lohnt sich, dessen Ablauf in einer gesonderten Abhandlung darzustellen.
Mit der Verbesserung der Versorgungslage nahm die Zahl der Hausschlachtungen ab. Inzwischen gehören sie weitestgehend der Vergangenheit an.

Ferkel kaufte man auf dem Lafferder Markt (am letzten Mittwoch im September). Sie wurden meistens im Winter des darauffolgenden Jahres geschlachtet. Somit konnten sie, im Gegensatz zu heute, Geburtstag feiern.
Ferkel wurden aber auch bei den örtlichen Viehhändlern erworben. In Groß Lafferde gab es in jener Zeit
mehrere dieser Zunft: Loges (Gallasch), Laffers, Schweine-Ritter, Vieh-Cramm, Sturm-Heinemann, Bank/Hachmeister. Sie kauften die Ferkel meist in Syke/Hoya auf.
Wenn die Händler eine neue Lieferung anboten, tummelten sich die niedlichen Ferkel mit ihren kurzen Ringelschwänzen im Stall. Das Kürzen der Schwänze war damals noch nicht üblich.

Ganz allgemein hatten die Viehhändler einen Ruf wie heutzutage die Gebrauchtwagenhändler. Deshalb suchte sich der Käufer einen Händler seines Vertrauens. Mein Vater kaufte bei Hachmeister. Ich ging immer gerne mit.
Die Auswahl des Ferkels dauerte eine geraume Zeit, denn das Tier war eine wichtige Anschaffung. Es musste gesund, robust, frohwüchsig und ein guter Futterverwerter sein. Ob es ein Kämpschwein (kastriertes männliches Ferkel) oder ein Sauschwein sein sollte, war eine Glaubensfrage.
Wenn das Auswahlverfahren zu lange dauerte sagte Hachmeister „Fritze, dissen mosste niehmen, dai art up mick (Fritze, diesen musst du nehmen, der wird wie ich). Hachmeister war damals wohlbeleibt. Nach getroffener Auswahl wurde noch um den Preis gefeilscht. Kam es zur Einigung, wurde das Ferkel eingefangen, in einen Jutesack gesteckt und nach Hause transportiert.

Meine Eltern mästeten meistens 2 Schweine. Eines diente dem Eigenbedarf, das andere fungierte als Sparkasse und wurde verkauft.
Aber die Rechnung ging nicht immer auf. Die Schweine konnten krank werden und damit für den menschlichen Verzehr unbrauchbar sein oder sterben. Das war dann ein herber Verlust, denn ein schlachtreifes Schwein stellte in den 1940er / 1950er Jahren für den kleinen Mann einen beträchtlichen Wert dar.
Glücklicherweise gab es in Groß Lafferde einen „Schweineversicherungsverein auf Gegenseitigkeit“, kurz Schweinekasse genannt. Nach Zahlung einer Aufnahmegebühr und eines Beitrages waren die Schweine versichert. Trat der Schadensfall ein, bekam der Schweinehalter einen Teil des Schadens ersetzt. Dadurch war der Verlust eher zu verschmerzen.

Gefüttert wurde mit Gerstschrot und gekochten, zerstampften Kartoffeln. Kartoffeln bauten meine Eltern im Garten an, Schrot mussten sie kaufen. Zu diesem Zweck schickte mich meine Mutter mit Handwagen und Jutesack in die Bierstraße zu Müller Lütgering, Gläsicker genannt. Das richtige Sackaufhalten hatte mir die Mühleninhaberin Lisa beigebracht: Den Sack vor den Körper halten, dabei den oberen Sackrand mit der linken oder rechten Hand rechts bzw. links der Sacknaht festhalten. Der Handballen zeigt nach oben. Die andere Hand fasst in einem Abstand von ungefähr 20 bis 30 cm in gleicher Weise zu. Dann lässt man den gegenüberliegenden Sackrand etwas tiefer sinken. Auf diese Weise entsteht eine Öffnung, in die das Schrot bequem eingeschaufelt werden konnte. Das liest sich sehr kompliziert, ist in der Praxis aber ganz einfach zu handhaben.
Die Müllerin wusste genau, wieviel Schaufeln Schrot sie für einen Zentner benötigte. Auf der Waage waren nur noch geringe Korrekturen nötig. Gängiges Gewicht war in den 1950er Jahren noch der Zentner zu 100 Pfund (50 kg). In Dezitonnen (Doppelzentnern) und Kilogramm wurde kaum gerechnet.
Wenn die Haushaltskasse nur spärlich gefüllt war, aber unbedingt Schweinefutter gekauft werden musste, kam es nicht selten vor, dass ich statt eines Zentners nur ein halben holte.
Mit dem beladenen Handwagen zog ich dann über die Klagesstraße nach Hause. Die war damals nicht asphaltiert und in schlechtem Zustand. Dennoch reichte das geringe Staßengefälle aus, um den Handwagen von selbst rollen zu lassen. Das wurde genutzt: In den Handwagen setzen, mit den Füßen beschleunigen, Beine nach vorn ausstrecken, Deichsel zur Steuerung zwischen die Füße klemmen und ab die Post. Das funktionierte aber nur, solange man nicht in Schlaglöcher geriet. Konnte man wegen eines Hindernisses das Schlagloch nicht vermeiden, war die Fahrt zu Ende und es musste auf Schusters Rappen umgestiegen werden.

Regelmäßig wurde die Gewichtszunahme des Schweines kontrolliert. Da wir keine geeignete Waage besaßen, hat mein Vater die Schweine gemessen. Dazu legte er ein Sackband in die Falte zwischen Bauchansatz und Vorderbeine und zog beide Enden senkrecht nach oben über die Schultern des Schweines bis zu der Stelle, wo der Anfang des Bandes und das Band zusammentrafen. Diese Länge wurde mit dem Zollstock gemessen. Die ersten gemessenen 100 cm ergaben ein Grundgewicht von 150 Pfund und jeder weitere Zentimeter erhöhte das Gewicht um 5 Pfund. So jedenfalls habe ich die Maß- und Gewichtsangaben in Erinnerung. Irrtum nicht ausgeschlossen. Eine Nachprüfung am lebenden Tier wäre sicherlich interessant. Jedenfalls lässt sich auf diese Art und Weise das Prinzip darstellen.
Da Schweine keine Normmaße haben, sondern sehr kurz oder besonders lang sein können, breite oder schmale Schultern haben, kleine oder ausgeprägte Schinken besitzen, waren diese Messungen sehr ungenau. Aber man konnte die Gewichtszunahme feststellen und ein ungefähres Gewicht ermitteln. Experten waren unter Berücksichtigung dieser Werte in der Lage, das Gewicht eines Schweines relativ gut zu schätzen. Das hieß dann „taxieren“.

Bürgerreporter:in:

Wilhelm Heise aus Ilsede

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