Traditionelles Textilhandwerk wiederentdeckt

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Das Textilhandwerk hat an der Ostsee eine lange Geschichte. Einen Ausschnitt daraus zeigt die Heimatstube Freest. Im Jahr 1928 brachte der Wiener Textilkünstler Rudolf Stundl den durch die Weltwirtschaftskrise verarmten pommerschen Fischern die Teppichknüpferei bei. Dabei nutzte er die vorhandene Tradition des Knüpfens von Netzen und eröffnete den Fischern für die Wintermonate eine zusätzliche Einnahmequelle. Schnell entwickelten sich die Freester Fischerteppiche mit Motiven der Fischerei und aus der Boddenlandschaft in stilisierter Form.

Aus reiner Schurwolle entstanden auf hölzernen Knüpfstühlen wertvolle Teppiche. Ein besonders eindrucksvolles Werk hängt bis heute in der Krösliner Kirche. Helga Grabow aus Spandowerhagen beherrscht das Handwerk bis heute und führt es in der Heimatstube gelegentlich vor. „Pro Quadratmeter braucht man 57.600 Knoten. Das ist rund ein Monat Arbeit“, erklärt die 65jährige die einstige Norm bei der Teppichproduktion. Wer heute einen Teppich mit traditionellen Motiven aus der Heimat wie Dreifisch, Flunder, Kogge und Wappen bestellt, bekommt ein echtes Unikat, ist Helga Grabow doch eine der wenigen verbliebenen Teppichknüpfer überhaupt. Neben den Teppichen zeigt die Heimatstube eine Sammlung von Alltagsgegenständen aus dem vergangenen Jahrhundert.

Um das Weben, Spinnen und Stricken dreht sich alles bei „De Spinndönz“ in Usedom Stadt. Inhaberin Annelene Lühmann-Jesewski hat es vor 12 Jahren aufgegeben mit ihrer Ware von Markt zu Markt zu ziehen und ist auf der Insel heimisch geworden. „Bei mir hat alles Geschichte“, begrüßt sie Besucher in ihrem Geschäft und erzählt sogleich von den von ihr entwickelten Usedomer Regenbogenläufern. Diese groben Teppiche aus Wolle mit Jutekern sind bunt gefärbt und erinnern sie an die Farben des Regenbogens auf der Insel. Pro Tag entsteht auf dem 200 Jahre alten Webstuhl im Eingangsbereich des Geschäfts rund ein Meter Teppich in Handarbeit. Dort können die Gäste von „De Spinndönz“ das alte Handwerk nicht nur sehen, sondern bei Workshops auch selbst ausprobieren. Die Kosten der Schnupperkurse werden dabei nach Materialeinsatz und Ergebnis berechnet. In der oberen Etage geht es filigraner zu. Dort entsteht an eigenen Webstühlen Usedomer Pommernleinen passend zur Keramik aus der Region. Blaue und türkise Bänder durchziehen das gebrochene Weiß des Halbleinenstoffs, den zu weben dreimal so aufwändig ist wie die Produktion des Regenbogenläufers. Mit ihrer Schauwerkstatt möchte die 63jährige Inhaberin, die in ihrem beruflichen Vorleben Altenpflegerin und Bürokauffrau war, das alte Handwerk erhalten.

Einen engagierten Mitstreiter hat sie in ihrem Mann Harry Jesewski. Der ehemalige Maschinenschlosser widmet sich nicht nur der Beratung zu Farben, Mustern und Materialien, sondern sitzt auch mit Geduld und Zufriedenheit am Spinnrad. Dort entstehen in vier bis sechs Stunden aus 100g Wolle strickfertige Fäden. „Für einen Pullover braucht man ein Kilogramm Wolle. Das heißt mehr als eine Woche Spinnen“, informiert der 61jährige und erklärt damit auch, warum ein handgesponnener und -gestrickter Pullover je nach Muster „nur“ 180 – 360 Euro kostet. Erfunden wurde das Spinnrad erst im 11. oder 12. Jahrhundert, so dass Dornröschen sich wohl an einer Handspindel gestochen haben muss. Bei „De Spinndönz“ gibt es nur reine Naturprodukte, was nicht nur für hohe Qualität spricht, sondern auch für Allergiker wichtig ist. Während in jeder Bauernstube ein Webstuhl stand, sind diese heute selten geworden. Wer das alte Handwerk lernen und für sich nutzen möchte, kann im Laden an Schnupperkursen im Weben, Spinnen und Stricken teilnehmen. Einmal im Jahr findet gleich vor der Haustür der traditionelle Lämmermarkt statt. Wann der nächste Termin ist? Dafür greift Annelene Lühmann-Jesewski als moderne Handwerkerin zum Tablet und nennt dann mit dem 7. Mai 2016 den nächsten Termin.

Bürgerreporter:in:

Christian Kolb aus Essen

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