Fototipps: Was ist das ideale Porträtobjektiv?

Vom Bildausschnitt zwar kein Porträt im klassischen Sinne: Aber wer die Umgebung mit im Foto zeigen möchte, muss schon zu einem weitwinkligen Objektiv greifen.
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  • Vom Bildausschnitt zwar kein Porträt im klassischen Sinne: Aber wer die Umgebung mit im Foto zeigen möchte, muss schon zu einem weitwinkligen Objektiv greifen.
  • hochgeladen von Jens Schade

Bestimmt werden jetzt einige Leser lächeln und sagen „Was soll denn diese Frage in der Überschrift? Das ist doch ganz klar!“ Und dann verweisen sie auf eine Brennweite so zwischen 70 und 80 mm (auf Kleinbild bezogen). Schreiben schließlich viele Fotografen so im Netz, dass dies die optimale Objektivbrennweite für Personenaufnahmen ist.

Damit könnte man es hier nun belassen. Die Antwort ist ja eindeutig. Wirklich? Ich würde eher sagen: „Es kommt darauf an.“ Betrachten wir die Sache doch einmal näher.

Zwei Vorbemerkungen: Zum einen beziehen sich die Brennweitenangaben immer auf das Kleinbildformat bzw. im Digitalzeitalter auf das Vollformat. Nutzer einer Kamera mit APC-C-Sensor oder noch kleineren Sensor müssen den Crop-Faktor berücksichtigen und die Brennweitenangaben entsprechend für ihren Fotoapparat reduzieren. Zum anderen schreibe ich von Weitwinkel-, Normal- und Teleobjektiven, aber man muss nicht unbedingt ein ganzes Sortiment davon mit sich herumschleppen. Selbstverständlich lässt sich statt mehrerer Festbrennweiten auch ein entsprechendes Zoomobjektiv (kennt eigentlich noch jemand den alten Begriff „Gummilinse“?) einsetzen.

Meine These: eine wirklich ideale Porträt-Brennweite für alle Fälle gibt es so nicht. Ausschlaggebend für die Auswahl unserer Objektive ist immer in erster Linie das zu erreichende Ziel, hier also die Umsetzung unserer Bildidee. Wir müssen uns fragen: „ Was will ich eigentlich darstellen und wie kann ich das gewünschte Ziel am besten erreichen?“. Wie so oft im Leben, wird man auch in der Fotografie sein Ziel nur erreichen können, indem man Kompromisse eingeht.

Aber nun einmal ganz langsam. Die ersten Überlegungen sind ja noch ganz einfach und nachvollziehbar.

Die Menschen, die uns wärmsten ein Objektiv um die 80mm Brennweite ans Herzen legen, verweisen wegen der ungünstigen Weitwinkel- und Teleperspektive anderer Objektive gerne darauf.
Jetzt sind zwei Stichworte gefallen, die wir einmal genauer betrachten sollten. Vorsicht ist bei dieser Argumentation allerdings angebracht. Denn die Perspektive in einem Bild folgt nicht (sehen wir vom Fischaugenobjektiv einmal ab) aus der verwendeten Brennweite, sondern ergibt sich aus dem Standort des Fotografen zu seinem Motiv.

Ein Versuch: Wir fotografieren eine Person mit Weitwinkel, Normal- und Tele, immer vom gleichen Standort. Beim Weitwinkel ist der Mensch ganz drauf, beim Normalobjektiv mit 50 mm gibt es wahrscheinlich ungefähr ein Brustbild und beim leichten Tele dann nur ein Bild vom Kopf unseres Models. Wenn wir jetzt aber die Köpfe aus dem Weitwinkel- und Normalobjektiv-Aufnahmen herausvergrößern und mit dem Kopfbild unseres Teles vergleichen, werden wir (vielleicht abgesehen von Qualitätseinbußen wegen der Ausschnittsvergrößerung) keinen Unterscheid sehen. Die Perspektive ist gleich.

Dier Perspektive verändert sich erst, wenn sich die Kamera (vielmehr der Fotograf mit dem sauteuren Ding, das wir Fotoapparat nennen, in der Hand) bewegt.
Daher der 2. Versuch: mit allen drei Objektiven wollen wir nur den Kopf formatfüllend fotografieren. Ausgehend vom Normalobjektiv müssen wir mit dem Tele weiter weg und mit dem Weitwinkel näher heran, um den gleichen Bildausschnitt zu erreichen. Betrachten wir das Ergebnis sehen wir drei unterschiedliche Perspektiven auf den Fotos. Ganz klar, denn wir haben uns ja bewegt, sind vor oder zurückgegangen.

Was wir jetzt auf den Weitwinkel- und Teleaufnahmen auch sehen, ist das, was im normalen Sprachgebrauch als Weitwinkelverzerrung bzw. Weitwinkelperspektive und Teleperspektive bezeichnet wird. Beim Weitwinkel wirken die Gesichtsproportionen irgendwie ungünstig, beim größeren Tele wirkt das Antlitz unseres Models möglicherweise einfach nur „platt.“

Hintergrund: Ein Objektiv bildet Dinge, die näher am Objektiv sind, größer ab als Dinge, die weiter entfernt sind. Eigentlich ganz logisch. Nun ist, wenn wir mit einem Weitwinkelobjekt ganz nah an unser Model heran gehen, die Nase eben bedeutend näher am Objektiv als etwa die Augen. Bei der geringen Aufnahmeentfernung spielt das schon eine bildwirksame Rolle. Also hat unser Model, wenn wir ihm das Weitwinkel direkt vor die Nase halten, wahrscheinlich einen übergroßen Riecher. Umgekehrt: Bei Verwendung eines Teles sind wir viel weiter vom Motiv entfernt. Und je weiter wir entfernt sind, umso weniger sind die wenigen Zentimeter zwischen Nasenspitze und Nasenansatz von Belang. Damit besteht die Gefahr, dass das Gesicht und damit unser Bild „flach“ wirken. Der Effekt, den wir als typische Teleperspektive bezeichnen.

Kommen wir auf die Ausgangsfrage zurück. Bei Verwendung eines Objektivs mit der Brennweite so um die 70 bis 85 mm (wie oben schon gesagt: die Brennweiten beziehen sich alle auf das digitalen Vollformat) haben wir ungefähr den richtigen Abstand zum Model, damit die Gesichtsproportionen auf dem Foto natürlich erscheinen. Das spricht erst einmal sehr stark für den Einsatz einer derartigen Brennweite.

Hinzu kommt, dass ein solches Objektiv stolz auf noch weitere Vorteile bei der Personenfotografie verweisen kann. Jedenfalls im Vollformatbereich können wir bei entsprechend großer Anfangsöffnung schon sehr hübsche Bokehs erzielen.
Positiv ist daneben, dass wir damit unserem Model nicht ganz so nah auf die Pelle rücken. Gerade, wer mit neuen, unerfahrenen Models arbeitet, sollte für die ersten Aufnahmen einen gewissen Abstand halten. Natürlich nicht allzu weit weg (wer sich nur noch durch lautstarkes Rufen mit seinem Model verständigen und Regieanweisungen geben kann, hat es wahrscheinlich ein bisschen übertrieben), aber eine gewisse „Fluchtdistanz“ sollte doch eingehalten werden. Erst wenn wirklich ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Fotograf und seiner Muse entstanden ist, kann man auch enger zusammenarbeiten, sprich mit der Kamera näher herangehen.

„Also ist ein Objektive um die 80 mm Brennweite doch das ideale Porträtobjektiv; die vielen Stimmen im Netz haben recht“, mögen nun einige denken und sich fragen, wozu denn dieser ganze Beitrag?

Um es noch einmal zu widerholen. Es kommt ganz darauf an, wie wir den Menschen, den wir fotografieren, darstellen und was wir mit dem Bild dem Betrachter erzählen möchten. Und hierbei ist doch schon etwas mehr zu bedenken als die schlichte Entscheidung, was nun von der Umgebung unseres Models noch mit auf das Bild soll und was nicht.

Wollen wir etwa die aufgenommene Person in einer bestimmten Umgebung zeigen, fängt es schon beim sogenannten Normalobjekt mit 50 mm- Brennweite an, kritisch zu werden. Hier müssen wir zwangsläufig ungeachtet aller Bedenken im Netz (siehe oben: fotografieren bedeutet, Kompromisse eingehen) am besten schon zu einem leichten Weitwinkel greifen. Denn wollten wir stattdessen mit einem Tele die Umgebung miteinfangen, müssten wir ziemlich weit von unserem Model wegrücken. Und das wäre wohl doch etwas ungünstig für die Kommunikation zwischen Model und Fotograf.

Andererseits: Wollen wir einen Charakterkopf oder ein hübsches Gesicht für sich allein wirken und den Hintergrund in Unschärfe versinken lassen, wären wir mit einem Weitwinkel nicht wirklich gut beraten. Um ein schönes Bokeh zu erhalten, brauchen wir wahrscheinlich schon ein leichtes Tele ab 70 mm aufwärts, möglichst mit großer Öffnung.

Was von der Umgebung mit aufs Bild kommen soll und was nicht, ist eine Frage. Wie wir unser Model darstellen wollen, eine andere. Damit meine ich jetzt nicht - jedenfalls nicht nur - den absichtlichen Einsatz eines starken Weitwinkels bei der Partyfotografie, um dank der „Weitwinkel-Verzerrung“ eben mal „lustige“ Bilder seiner Mitfeiernden aufzunehmen. Ich meine auch nicht den Fotoreporter, der eine Bildstrecke von einem von ihm ungeliebten Politiker absichtlich mit Weitwinkel ganz nah fotografiert, um diesen Politiker mit ungünstigen Gesichtsproportionen herabwürdigen zu können. Nein, ich meine etwas anderes.

Es macht in der Perspektive einen Unterschied, je nachdem, ob mit einer kürzen Brennweite vom nahen fotografiert wird oder ob das Motiv von einem entfernten Standort herangezoomt wurde. Klar, wir haben als Fotograf ja unseren Standpunkt verändert. Und dieser Unterschied in der Perspektive ist auf dem Foto zu erkennen und wird vom Betrachter wahrgenommen. Denn im Großteil der Fälle registriert der Bildbetrachter unbewusst die Perspektive und zieht daraus seine Schlüsse. Daraus folgt, auch für die gewünschte Bildaussage kann der Standort des Fotografen von großer Bedeutung sein.

Konkret: wollen wir Bilder, die beispielsweise Nähe, Sympathie, Intimität oder Freude vermitteln, müssen wir zu Objektiven mit kürzerer Brennweite greifen. Denn diese Eindrücke können wir nur im Bild richtig rüberbringen, wenn auch die Bildersprache „Nähe“ ausdrückt. Das geschieht aber nur dann, wenn der Fotograf tatsächlich relativ nah am Model arbeitet. Bei diesen Aufnahmesituationen kommt es übrigens auch ganz gut an, wenn das Model direkt in die Kamera blickt.

Zu einem Objektiv mit einer Brennweite sogar weit unter 70 mm sollten wir greifen, wenn wir zeigen wollen, dass nicht nur unser Model, sondern auch der Fotograf (und damit der spätere Bildbetrachter) ebenfalls „mittendrin im Geschehen“ steht. Mit einem Teleobjektiv ist es schwierig, diesen Eindruck zu erwecken.

Umgekehrt: Soll der Betrachter das Gefühl des distanzierten, vielleicht sogar heimlichen Beobachters oder gar eines Voyeurs haben, müssen wir halt auch etwas weiter weggehen und den passenden Bildausschnitt mittels eines geeigneten Teleobjektives wählen. Und bei diesen Motiven wirkt es in den meisten Fällen übrigens besser, wenn unser Model nicht direkt in die Kamera sieht (sonst wird eher eine Situation wie „Hab ich Dich ertappt!“ vermittelt).

Es gibt daneben noch weitere Aspekte, die Einfluss auf die Wahl des Objektives haben. Ein volles, rundes Gesicht wirkt im Weitwinkel eher noch voller und runder, was oft beim Betrachter nicht gut ankommt. Andererseits: jemand mit einem zu schmalen Gesicht wird diesen Effekt (Gesicht wirkt breiter) vielleicht gerade begrüßen. Ein weites Feld, das den Rahmen dieses - jetzt doch schon sehr lang gewordenen - Beitrages sprengen würde. Vielleicht komme ich in einem späteren Artikel darauf noch einmal zurück.

Bürgerreporter:in:

Jens Schade aus Hannover-Döhren-Wülfel-Mittelfeld

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