Landschaftsschutzgebiet Alte Bult – Grünanlagen in und um Hannover (Fotos Kurt und Christel Wolter)

Ein Landschaftsschutzgebiet inmitten einer Großstadt.
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  • Ein Landschaftsschutzgebiet inmitten einer Großstadt.
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Das Landschaftsschutzgebiet Alte Bult verdankt seiner Entstehung eigentlich einem Kuriosum. Man kann es auch einen Schildbürgerstreich nennen. Anfang der siebziger Jahre wollte dort die amerikanische Firma IBM ein riesiges Werk zur Herstellung von Computerteilen errichten. Doch das war ein schwieriges Unterfangen, und das für alle Beteiligten. Schließlich war dieses Gelände kein freies Land, befand sich doch dort die hannoversche Pferderennbahn.

Niedersachsen ist ein Pferdeland. Und natürlich braucht ein solches auch eine Pferderennbahn. Ab 1867 wurden auf der Mecklenheide Pferderennen veranstaltet. Allerdings nur von Offizieren und vor einem ausgewählten, exklusiven Publikm. Doch nur wenig später zog der Rennverein um. Die Kleine Bult auf dem heutigen Stadthallengelände wurde bezogen, wo die Exerzierplätze des Militärs lagen. Und nun fanden die Rennen dort auch für die Öffentlichkeit statt.
Doch 1907 wurde dann auf der Großen Bult am Rande der Südstadt eine moderne und zeitgemäße Pferderennbahn eröffnet, die vom Hannoverschen Rennverein betrieben wurde. Höhepunkt waren damals die Jagdrennen, von deren zahlreichen Hindernissen noch heute Reste übriggeblieben sind. Damals wurde noch in schmucken Uniformen hoch zu Ross gesessen, und es wurden verschiedenste Reiterspiele durchgeführt. Amazonen und Herrenreiter zeigten Kraft- und Gewandtheitsübungen. Selbst Kaiser Wilhelm II. war dabei. Da er von Berlin mit der Eisenbahn gern zu den Pferderennen nach Hannover kam, wurde für ihn extra der Bismarckbahnhof angelegt. Noch heute zeugen auch die einstigen Pferdetränken zu beiden des Tunneldurchgangs an der Lindemannallee von dieser Zeit.
Aber auch Kunstflugveranstaltungen wurden durchgeführt. So drehte damals der tollkühne Pilot Ernst Udet über der Bult seine Loopings und wurde dafür wie ein Held gefeiert. Und 1912 wurde ein Zeppelintag veranstaltet. Das Luftschiff Victoria-Luise landete vor den Augen eines begeisterten Publikums. Zehntausende Zuschauer jubelten bei diesen eindrucksvollen Veranstaltungen.

Das alles hatte also Tradition, und es entbrannte damals ein Kampf darum, ob die Bult aufgegeben werden sollte. Es gab ein Für und ein Wider. Doch schließlich siegte, wie so oft, der schnöde Mammon. Durch das IBM-Werk sollten der Stadt enorme Steuereinnahmen in die klammen Kassen gespült werden. Allein die Kaufsumme des Geländes sollte 20 Millionen Mark betragen. Dieser damals großen Summe konnten die Stadtoberen nicht widerstehen, denn Geld regiert nun mal die Welt. Und so entschieden sie sich schließlich für die Ansiedlung des IBM-Werkes und die Verlegung der Rennbahn nach Langenhagen. Für den Hannoverschen Rennverein war das allerdings ein Glücksfall. Denn nun bekam er ein hochmodere Rennbahn, die erste, die seit 1913 in Deutschland angelegt wurde. Nach dem Vorbild der Bahn in Cagnes an der französischen Riviera.

Für uns Südstädter war das natürlich sehr schade. Wir Kinder gingen an den Renntagen regelmäßig zur Pferderennbahn, wurden doch zu den letzten Rennen die Tore geöffnet. Und wie eindrucksvoll war das alles für uns. Natürlich die vorbeigaloppierenden, schnaufenden Pferde mit den buntgekleideten Jockeys auf deren Rücken. Der Blick vom Dach einer Zuschauertribüne auf das bunte Treiben und über das gesamte Gelände. Aber einfach auch die ganze Atmosphäre eines solchen Renntages mit dem Führring, mit den Wettschaltern und allen anderem was so dazugehört. Und auch im Winter konnten wir die Pferderennbahn nutzen. Denn die Tribünen lagen auf erhöhtem Gelände, und so gab es an einer Stelle einen steilen Berg, den wir zum Rodeln nutzen konnten. Zig Kinder versammelten sich dort an kalten Wintertagen und hatten mächtig viel Spaß, bevor sie bei Einbruch der Dunkelheit nass und durchgefroren mit ihren Schlitten durch den Schnee nach Hause stapften. Doch das sollte nun alles vorbei sein. Im Oktober 1970 fand der letzte Renntag statt.
Kurz darauf wurden die Tribünen abgerissen, Baracken für die Arbeiter wurden errichtet, ein See wurde zugeschüttet und das Gelände wurde für den Bau des Werkes vorbereitet. Doch dann stockten die Arbeiten und kamen schließlich ganz zum Erliegen. Was war geschehen? Der Computergigant IBM wollte nun doch kein Werk errichten, und das war unglaublich. Der Grund dafür war die Bahnstrecke, die über den Bismarckbahnhof Hannover Richtung Süden verlässt. Sie war damals die meistbefahrenste Bahnstrecke Deutschlands. Im Abstand von nur wenigen Minuten kamen Züge vorbeigerauscht, die Richtung Süddeutschland, zum Deister oder zum Hauptbahnhof unterwegs waren. Und diese nun sorgten für Vibrationen. Wir kennen das auch von unseren Straßenbahnen her und können es fühlen, wenn eine Bahn an uns vorbeifährt. Und wegen dieser Vibrationen war eine Herstellung von empfindlichen Computerteilen nicht möglich. Eine andere Begründung sagt heute, dass Transistoren, die dort gefertigt werden sollten, durch die Einführung von Mikroprozessoren überflüssig wurden. Was nun der wahre Grund war, weiß ich nicht. Aber dieses Szenario gleicht einem Schildbürgerstreich erster Klasse, und man kann sich nur wundern darüber.
Wie dem nun auch sei. Immerhin wurde das Gelände nur zu einem knappen Drittel bebaut. Unter anderem durch das Kinderkrankenhaus und eine Förderschule. Der Rest wurde brach liegengelassen. Und daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit, begünstigt durch das Grasen von Schafen, ein wertvolles Biotop, das schließlich 1998 zum Landschaftsschutzgebiet erklärt wurde. Sandmagerrasen, aber auch Borstgrasrasen prägen das Bild. Kaninchen haben ihre Wohnhöhlen gebuddelt und seltene Heuschreckenarten, Wildbienen und am Abend Fledermäuse aus der Eilenriede fühlen sich auf diesem Gelände wohl. So ist eine Natur für viele und auch seltene und bedrohte Arten entstanden.
Und natürlich fühlt sich auch der Mensch dort wohl. Zum einen sind es die Reiter vom Reitstall Stolberg, der immerhin erhalten geblieben ist. So trifft man immer irgendwo Pferde an, die im langen Gras weiden oder zu einem Ausritt in die Eilenriede unterwegs sind. Für Kinder ist natürlich das Ausreiten auf Ponys sehr beliebt. Auch eine längere Galoppstrecke ist noch geblieben, die an alte Zeiten erinnert. Und wer die Bult noch von damals kennt, der weiß auch noch wo die Tribünen waren, wo sich die Rennstrecke befand. Und die Reste etlicher Hindernisse sind noch heute durch ihr begrenzendes Gesträuch erkennbar.

Ein Eldorado aber ist das Gelände für Hundebesitzer. Dort trifft man oft ein Gewusel von Hunden an, denn die dürfen den Großteil des Jahres frei laufen und sich mal so richtig austoben. Dann sind sie längst nicht so aggressiv, als wenn sie an der Leine geführt werden und lernen soziales Verhalten. Und im Großen und Ganzen vertragen sich Spaziergänger, Reiter, Hunde, Jogger und Radfahrer, auch wenn es das eine oder andere Mal zu Schreckmomenten kommt. Wenn jeder auf die anderen etwas Rücksicht nimmt, dann klappt das Nebeneinander.
Besonders schön ist das offene Grasgelände an Sommerabenden. Wenn die Sonne tief steht, wird die weite Landschaft mit dem hohen Gras in ein warmes, rötliches Licht getaucht. Es erweckt dann fast den Eindruck einer nordamerikanischen Prärie, und man würde sich kaum wundern, wenn dort Bisons grasen würden oder Indianer auf ihren Mustangs angeprescht kämen.

Auch wenn es damals schade war, dass die Pferderennbahn verlegt wurde, so ist doch im Laufe der Jahre eine schöne Landschaft daraus entstanden, die mehr als nur einen weiten Blick zu bieten hat. Und es macht einfach Freude, dort inmitten der Großstadt und in ruhiger Umgebung seine Runden drehen zu können. Und wenn man an den Reitställen vorbei kommt, dann schaut man auf Pferdeboxen, große Misthaufen und der typische Pferdegeruch liegt in der Luft, der an damalige Zeiten erinnert. Auch freut man sich im Frühsommer über die Schwalben am Himmel, die es dort dank der Pferdeställe tatsächlich noch gibt. Und wir wollen hoffen, dass nie wieder irgendjemand auf die Idee kommt, dort etwas bauen zu wollen. Und ich denke, dass es die Bürger dieser Stadt ein zweites Mal auch nicht zulassen würden.

Siehe auch: Parkanlagen und Grüngebiete in und um Hannover

Bürgerreporter:in:

Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode

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