Gifhorn, die Mühlenstadt in der Südheide

Der 170 Jahre alte originale Kellerholländer „Immanuel“ aus Dithmarschen, ein Geschenk des Verlegers Axel Springer | Foto: Tourismus Gifhorn-Südheide
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  • Der 170 Jahre alte originale Kellerholländer „Immanuel“ aus Dithmarschen, ein Geschenk des Verlegers Axel Springer
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Die Stadtführerin schwelgt in Lobeshymnen. „Celle hat über 500 Fachwerkhäuser, aber keins, das aus solch soliden, 50 Zentimeter breiten Eichenstämmen gebaut ist wie das `Kavalierhaus` aus dem Jahre 1540 in Gifhorn.“ Allerdings wurde dem Haus eine Steinfassade mit Veloutengiebel und „Auslucht“, einem Erker, im Stil der Frührenaissance vorgebaut. Vormals Gästehaus des Wasser- und Jagdschlosses der Welfenherzöge, dient das Kavalierhaus heute als Museum. Die in schlichtem Barock erbaute Nikolaikirche daneben weist die Besonderheit eines Kanzelaltars auf. Wie eine Theaterloge lugt die Kanzel aus dem Hochaltar hervor. Der gesamte Marktplatz spiegelt den ehemaligen Reichtum der über 800 Jahre alten Stadt wider. Das Rathaus aus Fachwerk mit den vorkragenden oberen Stockwerken und den bebilderten Füllhölzern steht ähnlich wuchtig und breit da wie das älteste Kaufhaus, 1570 errichtet. Während abseits des Marktes die Häuser schmale Fassaden haben, weil damals günstiger im Grundstückspreis, laden sie nach hinten bis zu 200 Meter aus.
Zwei wichtige Handelswege kreuzten sich in Gifhorn: die „Salzstraße“ aus dem Lauenburgischen und die „Kornstraße“ aus der Magdeburger Börde. Beide wurden ab 1569 zusätzlich Poststraßen. Die „Postkomtur“ im Hotel „Deutsches Haus“, jetzt Bar, zeugt noch von dieser Zeit. Zudem genoss Gifhorn als Residenzstadt von Herzog Franz (1539-49) Brückenzoll über Aller und Ise.

Heutzutage kommen weniger Handelsleute als Touristen nach Gifhorn, der „Mühlenstadt in der Südheide“. Wie der Beiname andeutet, lockt sie zweifach. Im Gegensatz zur Wacholderheide um Lüneburg ist die um Gifhorn eine Kiefernheide. Die Feinsanddünen hat sich die Besenheide oder Erika erkoren. In die moorigen Dünentäler, Schlatt genannt, sind Glockenheide und Pfeifengras zurück gekehrt. Die Rückgewinnung ist menschlichem Eingreifen zu verdanken: Für zwei bis drei Stunden werden Schnuckenherden zum Fressen in die Heide geschickt. Zum Verdauen müssen die hübsch Gehörnten mit weißgrauem Fell und schwarzen Beinen und die weißen Moorschnucken ohne Hörner auf Wiesen abseits der Heide, damit sie nicht überdüngt wird und regenerieren kann. Dank EU-Unterstützung haben die Schäfereien ein Auskommen. Besuchern ist eine Führung zu empfehlen, die ein lustiges Schnuckenseminar einschließt. Da darf „Schnuckenblut“ aus dem Schnuckenhorn nicht fehlen und wird mit einem dreifachen „Mäh“ getrunken.
Auch Mühlen-Romantiker sind in Gifhorn richtig. Einzigartig in Westeuropa ist das „Internationale Wind- und Wassermühlenmuseum“. Zwischen Teichen und Seen in ein Biotop eingebettet ziehen 16 Mühlen aus 14 Ländern die Aufmerksamkeit auf sich, etwa eine durch den Fluss angetriebene Schiffsmühle aus Ungarn, eine Bockwindmühle aus Gifhorn, eine mit Pferdestärken gedrehte Rossmühle von 1797, ein ukrainischer Galerieholländer, wie ein Wohnhaus verziert, ein Nachbau der berühmten Mühle von Sanssouci, eine Wassermühle für Getreide aus der koreanischen Provinz Gangwon-do und der 170 Jahre alte originale Kellerholländer „Immanuel“ aus Dithmarschen, ein Geschenk des Verlegers Axel Springer. Mittendrin eine russisch-orthodoxe Holzkirche mit acht goldenen Kuppeln und täglichem Gottesdienst. In der schottischen Windmühle namens „Lady Devorgilla“ können sich Paare trauen lassen.
Der Boden vor dem Niedersachsenhaus ist fantasievoll mit nachgearbeiteten Mühlsteinen belegt. Aus dem historischen Steinbackofen im Innern schmecken Brot und Streuselkuchen.
In einer 800 Quadratmeter großen Halle sind 50 maßstabgetreue Modelle aus 17 Ländern ausgestellt – ein faszinierender Spiegel der Mühlengeschichte: eine persische Ölmühle, eine Schnupftabakmühle aus Rotterdam, eine Pfahlmühle vom Schwarzen Meer, Wasser- und Holzsägemühlen. Rembrandts Bockwindmühle in Leiden diente zum Ölschlagen aus Wacholderbeeren, um daraus Schnaps herzustellen. Das Mühlengehäuse dreht sich mit den Flügeln um eine senkrechte Achse.
1838 wurde der fünfflügelige Holländer in Wendhausen an der Autobahn Braunschweig-Wolfsburg errichtet. Zu dieser Zeit durften die Bürger ihre Häuser nur so hoch bauen, dass der Mühle der nötige Wind blieb.
Schon vor rund 1000 Jahren ließen die Perser Windmühlen für sich arbeiten. Eine aus der Provinz Karasan im Nordosten Persiens schafft 3000 Kilo Weizen in 24 Stunden.
Die Bauart einer im Modell dargestellten Getreidemühle mit acht Segelstangen und vier dreieckigen Segeln ist typisch für Portugal und den gesamten Mittelmeerraum. Eine Besonderheit sind die „Buzinas“ oder „Buzios“ genannten Tongefäße. Beim Drehen bläst der Wind hinein und erzeugt unterschiedliche Pfeiftöne. Am Klang erkennt der Müller die Drehgeschwindigkeit und kann danach die Segeltücher ein- oder ausrollen.
Eine seltene Kombination zeigt ein Modell der Mühle von Hüven: Sie ist Wind- und Wassermühle zugleich.
Ein Modell aus der spanischen Provinz La Mancha steht als Beispiel für jene dreißig Mühlen, gegen deren Flügel der spanische Dichter Cervantes (1547-1616) seinen Helden Don Quichotte hat ankämpfen lassen.

Der nach dem Heide-Dichter benannte „Löns-Krug“ - er weilte gern dort - lädt jedes Wochenende zum Schlemmen ein. Zur Spargelzeit kann man den frisch gestochenen Meinersener Spargel von der „Niedersächsischen Spargelstraße“ mit heim nehmen.

Info:
Das Mühlenmuseum ist bis 31. Oktober täglich 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 9 (ermäßigt 4) Euro.
Pauschale: 2 Ü/F im DZ und Mühlenpark-Eintritt kosten zwischen 72 und 112 Euro pro Person.
Auskunft: Südheide Gifhorn GmbH., Marktplatz 1, 38518 Gifhorn, Tel. 05371/88175, E-mail: info@suedheide-gifhorn.de, www.suedheide-gifhorn.de, www.muehlenmuseum.de

Bürgerreporter:in:

Elke Backert aus Hamburg

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