Abwechslungsreiches Frühjahr mit TransBorderLes e.V.

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Elisabeth Keller im Gespräch mit der neuen ersten Vorsitzenden Margaretha Main

EK Hallo, Retha! Schön, dass du Zeit für mich hast.

MM Du weiß doch, wenn es mir zeitlich möglich ist, bin ich gerne für dich da.

EK Wie kam es eigentlich dazu, dass du dich hast aufstellen lassen?

MM Brigitte Winkel hatte dem Verein seit zehn Jahren vorgestanden und vieles organisiert. Da blieb es manchmal nicht aus, dass eigene Interessen in den Hintergrund treten mussten. Zehn Jahre sind eine lange Zeit und ich kann sie verstehen. Sie musste in der Zeit viel aushalten. Es hat gedauert, bis sich die Wogen einigermaßen glätteten. Unser Verein war nicht überall gern gesehen. Das ist zwar besser geworden, aber weg noch lange nicht.

EK Das heißt, ihr werdet nach wie vor angegriffen?

MM Na ja, angegriffen hört sich jetzt ein bisschen hart an. Ich würde es mal so sagen: wir sind nicht überall wohl gelitten. Leute, die Opfer von Kindesmissbrauch und häuslicher Gewalt unterstützen und für die Rechte Homo-, Trans- und Intersexueller eintreten, werden nicht überall mit offenen Armen empfangen. Täter und Ewiggestrige gibt es ja genug. Homophobie ist nach wie vor weit verbreitet. Selbst wissenschaftliche Erkenntnisse, die klar beweisen, dass Homo-, Trans- und Intersexualität angeboren sind, werden ignoriert – und das mit Absicht. Mann oder Frau braucht eben ein Feindbild. Und wer ein Feindbild braucht, dem kann frau mit der Logik nicht kommen.

EK Warst du denn von Anfang an dabei?

MM Als sich um Hansi (Anmerkung der Moderatorin: Schmerztherapeut, Lebensberater, Autor und Herausgeber Hans Georg van Herste) herum die ersten Selbsthilfegruppen in den frühen Achtzigern bildeten, kannte ich ihn noch nicht. Das muss für ihn und seine Mitstreiterinnen eine böse Zeit gewesen sein. Damals wurden Transsexuelle noch durch die Straßen gejagt. Das ist dem Himmel sei Dank vorbei. Ich denke, dass viele gar nicht mehr wissen, dass wir, und da schließe ich mich mit ein, nicht so frei leben könnten, hätte es Leute, wie Hansi, nicht gegeben.
Ich bin ja erst viel später dazugekommen. Eine Freundin erzählte mir, sie würde hin und wieder Bücher lektorieren. Das hat mich interessiert und so habe ich sie mal begleitet, als eine Verlagskonferenz angesetzt worden war. Ich fand das interessant. Dabei habe ich dann Hansi, die Verleger und ein paar andere Autorinnen kennen gelernt.
Nach der Konferenz hat jeder einen Schwank aus seiner Jugendzeit erzählt. Nachdem ich dran gewesen war, meinte Hansi, ich solle meine Geschichten aufschreiben. Die wären so lustig, dass auch andere darüber lachen könnten.
Tja, und da nahm das Schicksal seinen Lauf.

EK Warst du denn damals schon Feuer und Flamme?

MM Nein, zuerst nicht. Das mit dem Bücherschreiben war nach ein paar Startschwierigkeiten eigentlich kein großes Ding, aber mit seinen Selbsthilfegruppen hatte ich nicht viel am Hut. Natürlich wusste ich, dass ich lesbisch bin. Das war mir schon seit späten Kindertagen klar. Aber musste frau darüber reden? Erst durch Hansi und seine Leute wurde mir klar, wie versteckt ich bisher gelebt hatte, wie ich mich täglich verdrehte, um nicht aufzufallen, um nicht gekündigt, nicht ausgegrenzt zu werden. Mila (Anmerkung der Moderatorin: Ehefrau Michaela Main) und ich hatten uns so in unsere Rollen eingefügt, dass für uns dieses Versteckspiel völlig normal war.

EK Das hat sich ja gründlich geändert.

MM Als ich erfuhr, dass Lesben gar nicht krank sind, sondern dass es erstens viele und zweitens ganz viele gibt, die ihre angeborene Neigung verstecken müssen, habe ich mir gedacht, dass geht so nicht weiter. Als ich obendrein hörte, wie mit Lesben, und noch viel schlimmer, mit Transsexuellen umgegangen wird, habe ich mitgemacht. Seitdem sind Mila und ich dabei.

EK Bist du nicht manchmal zurückgeschreckt?

MM Natürlich war es anfangs gewöhnungsbedürftig. Einmal stand ich plötzlich mit den Büchern in der Öffentlichkeit und zum Zweiten mit dem Lesbischsein. Ich hätte mir im Traum nicht einfallen lassen, was auf mich zukommen würde. Ich kann mich noch gut an eine Lesung erinnern. Ein ganzer Frauenclub hatte sich dazu angemeldet und die ersten drei Sitzreihen in Beschlag genommen. Während der gesamten Lesung lachten und klatschten diese Frauen. Sie forderten sogar lautstark eine Zugabe.
Als mich dann ein paar Zuschauerinnen aus den hinteren Reihen darum baten, ihnen meine Frau Mila vorzustellen, da die häufig in meinen Büchern vorkommt, erhob sich in den ersten drei Reihen lauter Protest. Die Anführerin des Frauenclubs schimpfte mich aus. Sie war der Meinung gewesen, ich hätte mich in meinen Büchern als Lesbe bezeichnet, um einen weiteren Gag einzubauen. Als sich nun herausstellte, dass Mila alles andere als ein Gag ist, standen die Frauen vom Frauenclub geschlossen auf und verließen den Saal. Ich muss ja zugeben, ich war geschockt. Die meisten blieben da und unterstützten mich. Das hat den Abend gerettet. Ähnliches musste ich in anderen Leseorten erleben. Nein, nein, das passiert nicht jedes Mal, aber hin und wieder schon. Und das finde ich schade.

EK Liest du jetzt gar nicht mehr?

MM Doch, aber ich habe daraus gelernt und gehe seitdem noch offensiver mit meinem Lesbischsein um. Leute, die mich oder meine Geschichten deswegen nicht mögen, werden dadurch von vornherein abgehalten, meine Lesungen aufzusuchen. Es schockt mich nicht mehr. Aber ich finde es schade, wenn andere Zuschauer durch ein solches Verhalten gestört werden.

EK Bist du denn mit Hansi und seinen Leuten immer gut ausgekommen?

MM Natürlich ist es zuerst mal hart, wenn frau mit ihrer eigenen Feigheit konfrontiert wird. Hansi ist da sehr direkt. Aber irgendwann habe ich begriffen, dass mir das Versteckspiel keinen Spaß macht, dass auch ich, als Lesbe, das Recht auf ein freies und offenes Leben habe. Ich musste erst lernen, dass Hansi nicht böse zu mir ist, dass er mich nicht angreift, sondern nur Hinweise gibt. Er interessiert sich für Betroffene. Er hilft, wo er kann. Und ich habe nicht nur einmal erlebt, wie weit er sich aus dem Fenster lehnt, wie er unsere Belange über die Meinung der anderen stellt, und sich dafür verleumden lassen muss.

EK Was meinst du, warum tut er das?

MM Er hat eine alles andere als rosige Kindheit gehabt. Ich denke, er will nicht nur körperliche Schmerzen lindern oder beheben, sondern auch psychische. Er meint, dass alle Menschen ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben, auf uneingeschränktes Glück haben. Und ich denke, das treibt ihn an. Jeder andere hätte wahrscheinlich schon vor dreißig Jahren das Handtuch geschmissen. Ich kenne keinen, der freiwillig ein solches Martyrium auf sich genommen hätte, um uns zu helfen. Und obwohl ihn einige, denen er aus dem Dreck geholfen hat, hinterher in die Pfanne gehauen haben, hat er seinen Optimismus nicht verloren. Jeder andere hätte sich wahrscheinlich längst dankend verabschiedet.
Hätte er uns nicht dauernd gepuscht, wären wir heute nicht da, wo wir sind. Er sagt uns immer wieder, dass er sich freuen würde, wenn wir ihn eines Tages überholen, ein größeres Auto fahren können, als er selbst, wenn wir ihn z. B. im Kegeln übertrumpfen können. Wenn das passieren würde, hätte er als Berater alles richtig gemacht. Wir sind nahe dran. Und das hätte ich früher nie für möglich gehalten.

EK Hat sich nicht viel geändert in den letzten Jahren?

MM Natürlich hat sich viel geändert. Aber es gibt nach wie vor die Homophobie. Nach wie vor werden Frauen verprügelt. Nach wie vor werden Kinder missbraucht. Und, wenn frau mal ehrlich ist, wird nach wie vor vertuscht. Hansi hat schon vor vierzig Jahren darauf hingewiesen, was in Familien passiert, was in Schulen, Vereinen oder Internaten abgeht. Kein Mensch hat ihm geglaubt. Heilige Frauen und Männer haben selbst in Kinderpsychiatrien gezeigt, wie heilig sie wirklich sind. Ehemalige Opfer haben versucht, Jahre nach ihrem erlebten Missbrauch, mit den Tätern in Kontakt zu treten. Abstreiten, Abwiegeln, Kleinreden, Vertuschen aller Orten. Die katholische Kirche hat gnadenlose Aufklärung versprochen. Das ich nicht lache. Was ist davon übriggeblieben? Nichts als heiße Luft.

EK Das heißt, es gibt noch viel zu tun?

MM Unbedingt. Hansi ist da ja sehr kreativ. Wir treffen uns nicht nur wöchentlich, sondern unternehmen auch vieles gemeinsam. Allein in diesem Frühjahr haben wir schon einiges auf die Beine gestellt.
Während der gesamten Feiertage über den Jahreswechsel hatten wir täglich Programm. Weihnachtsfeier mit Bescherung, Silvesterparty mit Musicaleinlagen, Frühjahrsfest, na gut, das musste aufgrund unserer ständigen Reisen ein paar Mal verschoben werden, Harztouren mit Motorrad, hier Treffen, da Treffen, Maifeier. Langeweile kam nie auf.

EK Du fährst nach wie vor eine schwere Maschine?

MM Ja, ohne Motorrad würde mir was fehlen. Wie du ja aus meinen Büchern weißt, habe ich schon früh damit angefangen. Allerdings habe ich ein paar Jahre zwischendurch pausiert. Nachdem ein paar Freundinnen gesagt haben, was du fährst Motorrad? So was gehört sich für eine Frau nicht. Da habe ich mich doch tatsächlich irritieren lassen. Durch Hansi und seine Leute bin ich rückfällig geworden.

EK Und dann hast du dir gleich eine schwere Maschine gekauft?

MM Nein, damals hatte ich kein Geld dazu. Hansi hat mir einen 250er Motorroller geschenkt.

EK Geschenkt hat er dir den?

MM Ja, er meinte, es wäre an der Zeit, dass ich mal wieder auf zwei Rädern unterwegs sei. Ich habe ihm später das Geld zurückgegeben. Mit diesem Roller begann meine zweite Zweiradkarriere. Danach habe ich mich schnell nach oben gedient und zwei Honda Gold Wings gefahren. Nachdem die zweite mir im Harz mal umgekippt war, habe ich gedacht, dass Alter hinterlässt seine Spuren und ich sollte vielleicht doch mal langsam etwas kürzer treten. Nach einer 650er und einer 600er bin ich allerdings wieder aufgestiegen. Wahrscheinlich brauche ich doch etwas mehr Dampf unter mir. Aktuell fahre ich eine Honda CTX 1300. Die ist leichter als die Gold Wing, hat eine schön niedrige Sitzhöhe, frau wird ja schließlich nicht jünger, und bietet ähnlichen Luxus. Auch Mila fährt ja seit vielen Jahren und hat sich jetzt die CTX 700 gekauft. Die ist ebenfalls sehr bequem und hat sogar Automatik.

EK Mir ist zu Ohren gekommen, eure letzte TBL-Harztour ist ausgefallen?

MM Na ja, ausgefallen ist vielleicht der falsche Ausdruck. Wir waren ja mit zwölf Motorrädern und einem Auto zu Ostern im Harz. Die Hintour war so lala, also mal Sonne, mal Wolken, mal ein kurzes Schauerchen. Samstag und Sonntag vor Ort waren super. Wir waren beim Kyffhäuser-Denkmal, auf dem Wurmberg bei Braunlage und an der Sösetalsperre. Kurven über Kurven, also eine reine Wonne. Der Rückweg am Montag fiel buchstäblich ins Wasser. Es schüttete die ganze Fahrt über und kalt war es obendrein.
Da wir nicht alle Gäste hatten mitkriegen können, hatte Hansi gleich eine zweite Tour geplant. Nach der Walpurgisfeier und der Maiköniginwahl sollte es am ersten Mai ein weiteres Mal in den Harz gehen. Das Hotel war gebucht und wir freuten uns schon auf die nächste Kurvenparade. Allerdings kamen wir nur bis zur Raststätte Langwedel. Da wir aus verschiedenen Richtungen anreisen, treffen wir uns dort immer zum gemeinsamen Frühstück. Diesmal blieb es bei dem Frühstück. Obwohl der Wetterfrosch im Fernsehen eher durchwachsenes Wetter angesagt hatte, schüttete es ohne Unterlass. Daraufhin brachen wir die Tour ab, da keine Lust hatte, bei Eiseskälte und Dauerregen in den Harz zu fahren.

EK Das heißt, euer Ausflug endete nach dem Frühstück an der Autobahnraststätte?

MM So ist es. Besser achtzig Kilometer Regen, als tausend. Aber wir haben die freien Tage auch auf andere Weise gut rumgekriegt. Am Abend des ersten Mais haben wir die Reste der Feier verzehrt. Mila kocht ja immer viel zu viel. Obendrein haben wir einen Kegelabend eingelegt und ein paar kleinere Touren in der Umgebung von Stade unternommen. Langweilig war es also trotzdem nicht.

EK Wie ich gehört habe, bist du Maikönigin geworden.

MM Tja, ich bin eben die Schlauste, die Schönste und die Beste sowieso. Nein, im Ernst, ich habe das Quiz einigermaßen gut überstanden und am Ende gut gewürfelt. Anusha Pee saß mir ziemlich im Nacken. Aber natürlich habe ich mich darüber gefreut. Leider wollen nicht so viele mitmachen, da sie Angst davor haben, in die Zeitung zu kommen. Ich habe es selbst erlebt. Auch heute noch werden Lesben gekündigt. Das ist zwar nicht erlaubt, aber man findet schon einen Weg.

EK Wie geht es weiter? Wollt Ihr wieder zu den Christopher-Street-Days?

MM Ich glaube, die streichen wir aus unserer Auftrittsliste. Dort können wir kaum noch was bewegen.

EK Wie kommt es?

MM Die Leute, die da rumlaufen, sind meistens recht gut informiert. Das Internet macht ´s möglich. Obendrein gefällt mir nicht, dass die Botschaft, die ein CSD eigentlich aussenden soll, immer mehr in den Hintergrund getreten ist. Die früheren CSDs standen im Zeichen der Aufklärung, der Forderung nach Gleichberechtigung. Der Grund gerät immer mehr ins Hintertreffen. In den letzten Jahren stand das Feiern im Vordergrund. Manchmal taumelten schon mittags die ersten Leute an unserem Stand vorbei und so was macht keinen Spaß mehr. Ich habe nichts gegen das Feiern, aber wenn ein CSD zum allgemeinen Besäufnis wird und das Saufen zum Hauptgrund wird, warum Mann oder Frau dort auftauchen, muss ich den Aufwand mit einem eigenen Stand nicht mehr treiben.

EK Was wollt ihr dann machen?

MM Wir werden Veranstaltungen besuchen, deren Thematik eine andere ist. Wir haben das in Stade erlebt. Dort konnten wir noch wirklich aufklären und haben manche Diskussion geführt. Menschen, die sich normalerweise nicht für unsere Themen interessieren, kamen an unseren Stand und waren erstaunt über die Infos, die wir ihnen geben konnten. Viele sagten anschließend, dass sie viel gelernt hätten und nun Betroffene mit anderen Augen sehen würden. Das ist doch wirklich schön. Wir wollen schließlich was bewegen und ich denke, dass ist uns in Stade gelungen.

EK Hast du noch einen Buchtipp für uns?`

MM Wer über den Verein und seine Geschichte etwas erfahren will, sollte Hansis Biografie lesen. Im ersten Teil von „Am Fluss meines Lebens“ erzählt er über seine Kindheit, seine Ausbildung und einige erfahrungsreiche Irrwege, im zweiten Teil über seine Reisen, seine Erfolge und Schlappen und natürlich über das, was wir mit dem Verein erlebt haben. Ich habe selten ein so ehrliches Buch gelesen.

EK Ja, ich hab ´s mir auch reingezogen. Unbedingt lesenswert.

MM Ich habe vor Jahrzehnten mal ein Buch gelesen. Das hieß „Ein Mann, wie ein Erdbeben“. Der Ausdruck würde auf Hansi auch zutreffen.

EK Liebe Retha! Es war mal wieder äußerst kurzweilig, mit dir zu reden.

Bürgerreporter:in:

Elisabeth Keller aus Gnarrenburg

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