Narrenberger Knallfroschsuppe

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Hin und wieder komme ich in Narrenberge vorbei. An Narrenberge könnt ihr euch bestimmt erinnern. Das ist das aufstrebende Moordorf, das mitten im Moor liegt. Da meine Busenfreundin Elke mich eingeladen hatte, dachte ich so bei mir, fahr da mal wieder hin und kuck, was sich in der Zwischenzeit so alles getan hat.
Also habe ich schnell ein paar Sachen in meine Luxuskarosse gepackt, Mila unter den Arm geschnallt und bin losgefahren. Kaum angekommen, werde ich von Elke herzlich begrüßt. Sie hat einen Kuchen gebacken und Tee und Kaffee bereitgestellt. Während sich Mila mit unserer freundlichen, nein, äußerst freundlichen Gastgeberin festquatscht, seile ich mich ab, um den Narrenbergern mal wieder aufs Maul zu kucken.
Schon nach wenigen Minuten treffe ich auf die wohl bekannte zweibeinige Dorfzeitung und werde umfassend informiert.
Herr Bürgermeister Einrenk hat sich von seiner winzigen Unpässlichkeit, die ihm die Spielfrauen des Spielfrauenzuges zugefügt hatten, längst erholt und ist weiterhin im Amt. Er hat dermaßen im Rathaus aufgeräumt, dass sich keine andere Partei getraut hat, einen Gegenkandidaten aufzustellen. Jetzt bleibt den Narrenbergern nur die Wahl zwischen einem unbeliebten Bürgermeister oder gar keinem Bürgermeister. Ich bin gespannt, wie sie das Wahlvolk entscheiden wird.
Der Banker ist kein Filialleiter mehr, sondern arbeitet nun als Berater in der Hauptstelle. Seine Weihnachtseskapaden im Rotlichtviertel haben ihm nicht wirklich geschadet. Schließlich schlägt jeder Mal über die Stränge. Seine Vorgesetzten wollten ob der Stränge nicht gar so streng sein. Jeder kann ja mal abstürzen, zu viel trinken und dann Dinge tun und sagen, die nicht in diesen Artikel passen, nä?
Na ja, zumindest ist er nun seine Frau für immer und ewig los. Die lebt jetzt mit der Postbotin, Tochter und deren Ehefrau im geerbten Haus und freut sich ihres Lebens. Hin und wieder, so munkelt man, seien eindeutig zuzuordnende Geräusche zu hören, die bei gutem Wind bis auf den Bürgersteig zu hören wären. Diese Aussage macht mich natürlich neugierig und so suche ich schnellstens diesen Abschnitt des Bürgersteiges auf. Allerding herrscht in dem Moment absolute Stille und ich traue mich nicht, mein Ohr direkt an die Tür zu legen. Jeder braucht schließlich ein wenig Privatsphäre, nä?
Das Ufo hat einigen Schaden angerichtet. So hat man seit dessen Rücksturz ins All keinen Blauhelmfrosch mehr im Moor gesehen. Auch das Priemelveilchen ist seitdem verschwunden. Seit damals ist eine Beobachtungsstation direkt am ehemaligen Landeplatz installiert worden, in der nun Tag und Nacht ein Wächter hockt, um sofort Alarm zu schlagen, sollten sich Blauhelmfrosch oder Priemelveilchen wieder blicken lassen.
Omma kurvt nach wie vor mit ihrem Mercedes, den sie gekauft hat, um ihren toten Mann nachträglich zu ärgern, durchs Dorf. Allerdings kann man den Typ kaum noch erkennen, da das arme Auto inzwischen rundum zerdetscht ist. Den Sinn des Funktüröffners hat sie noch immer nicht kapiert. Aber ihre Nachbarn haben sich inzwischen an den ständigen Alarm gewöhnt und schlafen durchweg mit Ohrstöpseln sanft und lange.
GTI-Affe ist etwas älter geworden, was an seiner Reife nichts geändert zu haben scheint, da er nach wie vor, wie ein Bekloppter, durchs Dorf rast und hin und wieder Oppas dazu bringt, Hut und Stock wegzuwerfen, wenn sie sich auf einem Zebrastreifen befinden. Wie nicht anders zu erwarten, bremst er quietschend ab, kommt aber stets erst etwa zwei Zentimeter vor dem betreffenden Oppa zum Stehen.
Frau Blausprit, die Tankstellenpächterin, hat sich vor ein paar Monaten eine Hilfe dazu geholt und man munkelt, dass sich abends, also nach Feierabend, seltsame Dinge im dunklen Verkaufsraum abspielen sollen. Während die eine Dorfhälfte davon überzeugt ist, sie würde mit ihrer Mitarbeiterin rumturteln, ist die andere Dorfhälfte nicht davon abzubringen, ein paar Aliens aus dem Ufo wären bei ihr untergekrochen. Allerdings konnte ich nicht feststellen, ob mit untergekrochen nun der Abstellraum gemeint ist oder der Minirock von Frau Blausprit.
Frau Stempelgern, die Frau von der Post, ist keine Frau von der Post mehr. Während ihr Mann, Herr Stempelgern-Tütensupp, nach wie vor den Supermarkt betreibt, ist seine Frau ausgezogen. Beide sind sich mit ihrer Herzlichkeit gegenseitig dermaßen auf den Geist gegangen, dass ein weiteres Zusammenleben nicht mehr tragbar erschien. Sie leitet nun die Hundefutterabteilung in einer fernen Gemeinde, um sich auch räumlich nicht mehr den Herzlichkeiten aussetzen zu müssen.
Frau Großkreuz, die Lehrerin, hat sich in der Zwischenzeit mehrfach mit der Frau vom Abschlepper geprügelt und der Auto-Scooter-Betreiber zieht nach wie vor von Dorf zu Dorf.
Die Frauen vom Spielfrauenzug bringen bei jeder Festivität die Gläser zum Klingen und die Feuerwehrfrauen spritzen jeden nass, der ihnen vors Rohr kommt.
Der Herr Ministerpräsident ist schon lange kein Ministerpräsident mehr. Kurzzeitig war er sogar zum Bundespräsidenten aufgestiegen, ist allerdings auf einigen Urlaubsunklarheiten ausgerutscht und zum Rentner degradiert worden. Nun kann er immer wieder gefahrlos Narrenberge aufsuchen, um sich in den starken Armen der drallen Bäckereifachverkäuferin mit neuer Lebenskraft zu versorgen.
Als ich nach nur drei Stunden wieder bei Elke am Tisch sitze, sind Elke und Mila immer noch tief im Gespräch verquickt. Um die beiden nicht zu stören, gehe ich in den Garten. Dort treffe ich auf Elkes Mann, der für einen Mann recht angenehm auszuhalten ist. Von ihm erfahre ich, dass die beiden uns beiden zu einer großen Silvesterparty eingeladen haben.
Kurz vor zwanzig Uhr schaffe ich es, Elke und Mila kurz mit einem Einwurf zu erreichen. Als ich sage: „Es ist gleich acht“, springen beide gleichzeitig auf, um mit einem lauten „Ach, du liebes Lottchen!“ in den jeweiligen Schlafzimmern zu verschwinden. Gegen zehn können wir aufbrechen, nachdem Mila mehrere Frisuren-Röcke-Blusen-Kleider-Stiefel-Pumps-Kombinationen durchgespielt hat. Erst jetzt wird mir klar, warum meine liebste Liebste unbedingt drei große Koffer für den Dreitagestripp mitnehmen wollte.
Am Wirtshaus angekommen, werden Elke und Norbert überschwänglich begrüßt. Mila wird ein wenig weniger überschwänglich begrüßt. In meinem Fall hält sich die Überschwänglichkeit in argen Grenzen. Wie mir im Laufe des Abends mehrfach nahegelegt wird, hat man Angst, dass alles, was gesagt oder gedacht wird, von mir aufgeschnappt und in unrealistisch übertriebener Weise wiedergegeben werden könnte. Das hat mich ehrlich empört. Als wenn ich jemals in meinem Leben etwas übertrieben unrealistisch wiedergegeben hätte. So was kann ich gar nicht. Die Narrenberger sind ein liebenswertes Völkchen, das ich tief in mein kleines Herzchen geschlossen habe. Nichts würde mir ferner liegen, als jemanden zu Unrecht ins falsche Licht zu rücken. Was kann ich dafür, dass sich dieses Völkchen einen solchen Bürgermeister wählt, hä?
Etliche Teile des Völkchens haben bereits tief ins Glas gekuckt. Wobei ich hier anmerken muss, dass es beim Kucken nicht geblieben ist. Elke und Norbert schweben übers Parkett, dass es eine wahre Freude ist. Mila und ich schweben aber ein bisschen schwebender, weil wir kaum noch Bodenkontakt haben. Selbst bei hohen Sprüngen können Elke und Norbert nicht mithalten. Allerdings sind Elke und Norbert beim Durchmarsch, also beim gewaltsamen Durchdrängeln, nicht zu schlagen. Um nicht völlig abgedrängt zu werden, halten wir zwei uns gnadenlos im Windschatten unserer Gastgeber auf. Es ist schon äußerst imposant, wie Norbert all seine Kraft in die Waagschale wirft und mitten durchmarschiert, ohne mit der Wimper zu zucken. Während er eine Spur der Verwüstung hinterlässt, folgen wir drei Frauen ihm in kurzem Abstand, um nicht über zu viele Hingefallene steigen zu müssen.
Allerdings lässt Norberts Kondition ziemlich zu wünschen übrig. Schon nach nur drei Durchmärschen lotst er uns an die Theke, um Atem zu schöpfen und das eine oder andere Kaltgetränk zu sich zu nehmen. Während Elke sich am Rotwein hochzieht, halten wir uns eher an die allseits beliebte Gerstenkaltschale. Diese Gerstenkaltschale muss äußerst schnell verkonsumiert werden, um der schalen Abgestandenheit zuvor zu kommen. Ich weiß genau, dass ich das schnelle Trinken von Gerstenkaltschale nicht mehr so gut vertrage, tue es, wider besseres Wissen, allerdings trotzdem, um nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Während Mila und ich langsam damit beginnen, umeinander zu kreisen, legen Elke und Norbert eine Durchhaltekraft an den Tag, den man ihnen so im ersten Moment gar nicht zutraut. Nach zwei weiteren Bieren warnt mich mein Magen. Nach noch zwei weiteren Bieren macht er ernst. Mila und ich haken uns geflissentlich unter und schweben dem Badezimmer entgegen. Erst nachdem wir zwei der Gerstenkaltschale ihre Freiheit zurückgegeben haben, ist uns wohler. Merke: Sperre niemals jemanden ein, denn er könnt voll Rache sein.
Mehrfach werden wir von einigen Herren zum Tanze aufgefordert und genauso mehrfach müssen wir ablehnen, da Mila ausschließlich mit mir und ich ausschließlich mit Mila tanze. Na ja, gut, einmal hatte ich eine hübsche Frau im Arm und erst beim Tanzen fällt mir auf, dass es nicht Mila ist. So was soll ja mal vorkommen, nä? Ich habe aber meinen Irrtum schnell erkannt und diese Affäre sofort beendet. Man muss sich wundern, wie viele Frauen doch mit mir oder anderen Frauen tanzen wollen, obwohl wir zwei angeblich die einzigen Lesben im Saal sind.
Um zwölf wird laut „Prost Neujahr“ geschunkelt und alle taumeln aus dem Saal ins Freie. Kaum stehen wir, mantellos fröstelnd, vor der Kneipe, werden auch schon die ersten Raketen gen Himmel gestartet.
Wir wissen gar nicht, wo wir hinspringen sollen, da überall Knallfrösche ihr Unwesen treiben. Ich bemerke natürlich sofort, dass mir jetzt alles heimgezahlt werden soll. Der ganze Frust der Narrenberger bricht sich nun Bahn. Nicht nur Männer, nein, auch Frauen, werfen Knallfrösche nach mir. Mir ist natürlich sofort klar, dass sie ihren eigenen Frust über ihre Bürgermeisterwahl nun an mir auslassen wollen. Da ich eine tatkräftige Frau bin, ich berichtete mehrfach darüber, lasse ich das nicht auf mir sitzen. Kaum hüpft mir ein Knallfrosch entgegen, hole ich aus und trete ihn zum Absender zurück. In solchen Momenten kann ich fürchterlich schnell sein und wenn erst mal mein Beschützerinneninstinkt durchbricht, ist sowieso alles zu spät.
Ein Mann treibt es besonders bunt. Er entzündet die Lunte, wartet einen Augenblick und wirft erst dann den Knallfrosch los, wenn er kurz vor dem ersten Knall steht. Dadurch nimmt er mir die Chance, den Knallfrosch zurückzutreten, bevor es knallt. Mehrfach versuchen diese ollen Dinger unter unsere Minikleider zu hüpfen, um dort ihr schändliches Spiel zu spielen. Als ein Knallfrosch nur wenige Zentimeter vor meinem Unaussprechlichen detoniert, reißt mir der Kragen.
Mit wildem Wutgeheul, Winnetou wäre vor Neid erblasst, stürze ich auf den Mann zu. Er hat nicht mit einem Gegenangriff gerechnet und steht wie erstarrt vor mir. Ich entreiße ihm Knallfrosch und Feuerzeug, entzünde die Lunte und lasse den Knallfrosch in seine Plastiktüte fallen, in der er seine Munition aufbewahrt. Schneller als ein Blitz je sein kann, stehe ich wieder neben Mila, Elke und Norbert.
Ich kann gerade noch dreimal ins Horn blasen, das macht man vor Sprengungen so, als auch schon alles durcheinanderfliegt. Hunderte von Knallfröschen hüpfen, Funken schlagend und fürchterlich krachend, in der ganzen Umgebung herum. Um nicht allein hüpfen und knallen zu müssen, lassen sich einige dieser Böller in weitere Munitionsplastiktüten fallen. Das wiederum führt zu einer Knallfroschsuppe, die sich gewaschen hat. Gewürzt wird dieser Silvesterschmaus mit ein paar Kanonenschlägen. Auch das Auge bleibt nicht verschont, da ein paar Raketen sich unters Volk gemischt haben und nicht, wie gewohnt, zum Himmel streben, sondern Funken sprühend, auf dem Verbundsteinpflaster hin und her segeln, um am Ende ihres Weges Leuchtkugeln ins Volk zu schießen oder furchtbar zu knallen.
Als wir vier bemerken, dass sich etliche Frösche, Böller und Raketen auch auf dem Tanzboden austoben, wünschen wir schnell noch ein paar Umstehenden ein frohes neues Jahr und verdrücken uns. Bei Elke und Norbert nehmen wir noch einen Absacker und freuen uns an der geruhsamen Stille. Nur von ganz weit her dringt noch Kanonendonner an unsere Ohren und er Himmel über Narrenberge ist rot gefärbt. Mit dem Heulen der Sirenen gehen wir ins Bett und lassen uns von unseren Träumen in eine schönere Welt katapultieren.
Als Mila und ich am Neujahrsnachmittag den Heimweg antreten, können wir klar erkennen, dass es die Narrenberger wohl ein wenig übertrieben haben müssen. Mehrere Häuser liegen in Schutt und Asche und sind somit nicht mehr bewohnbar. In der Hauptstraße klaffen kleinwagengroße Löcher und mehrere Straßenlampen lassen ihre Köpfe hängen. Meine Güte, müssen die gefeiert haben.

Buchtipp
Margaretha Main
Die Angst geht um in Narrenberge
Festtagsschmaus in Narrenberge

Bürgerreporter:in:

Elisabeth Keller aus Gnarrenburg

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