DARWIN-Jahr: Bürgerjournalismus & Video-Reporter (Paparazzi-Tum) - Medien-EVOLUTION?

27.September 2009 - Bundestagswahl: Kehren neue Besen gut?
  • 27.September 2009 - Bundestagswahl: Kehren neue Besen gut?
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Wer im JOURNALISMUS Fuß fassen will, arbeitet anfangs oft als „freie/r Mitarbeiter(in) bei einer Zeitung oder beim Funk und macht anschließend ein VOLOntariat. „VOLO“ ist eine - im Gegensatz zur Lehre - gesetzlich nicht genau geregelte Ausbildung eines Volontärs. Ein Volontariat soll den Volontär systematisch auf die spätere Tätigkeit als Redakteur vorbereiten. Es dauert, je nach Vorbildung und/oder Eignung, zwischen 12 und 24 Monaten. Während dieser Ausbildungszeit gehört der Volontär einer oder abwechselnd mehreren Redaktionen an. Der Volontär muss das objektive Recherchieren lernen und nicht bloß subjektive Eindrücke vermitteln wollen. Bei Lokal-Nachrichten in der Heimat-Presse wird gerne ein „freier Kollege”/eine „freie Mitarbeiterin“ geschickt; selbst über Kunst-Ausstellungen dürfen sie berichten, wenn sie auch keine Ahnung über die „Materie“ haben, was zu Konflikten mit dem Künstler führen kann, die die Chef-Redaktionen später „auszubaden“ haben. Bei wichtigen Ereignissen (oft zur Politik) bemüht sich ein(e) Redakteur(in).

Der Volo-Ausbildungsweg ist zumeist der klassische Weg in die Medien. Als ein „Lokalreporter“ lernt der/die Auszubildende Macht & Ohnmacht im regionalen stressigen Journalismus kennen: Organisieren, Redigieren, Recherchieren vor Ort, Artikel-Schreiben. Wichtig: Lokale und überregionale JournalistIinnen müssen täglich den Spagat zwischen Nähe und Distanz zur POLITIK üben. Journalist(in) wird man, weil der Beruf eben sehr viel Spaß machen kann. Auch Außenstehende (Leser/User) verlangen von Journalisten, dass deren Blatt (Medium) bürgernah ist sowie aktuell, profiliert, korrekt, verlässlich arbeitet; Kriterien für QUALITÄTs-Journalismus.

Unter „WAS IST MYHEIMAT?“ wurde mir in einer EINLADUNG zur Mitwirkung an der Plattform erläutert: „Auf myheimat.de veröffentlichen (…) Bürgerreporter aus ganz Deutschland Beiträge und Fotos zu all dem, woran sie in ihrem Heimatort Anteil nehmen. myheimat.de arbeitet mit zahlreichen renommierten Partnerverlagen wie (…) zusammen und ermöglicht dadurch seinen Nutzern zusätzliche Reichweite in zahlreichen Printprodukten wie Tageszeitungen und Monatsmagazinen. Jeder kann mitmachen und selbst Fotos hochladen und eigene Beiträge veröffentlichen zu allem, was er erlebt und entdeckt oder worauf er andere aufmerksam machen will.“ (1) MYHEIMAT ist eine Gründung aus dem Verlagsbereich (gogol medien) und gehört zur Madsack Verlagsgesellschaft (u. a. „Hannoversche Allgemeine”). Ausgewählte Inhalte werden auch in gedruckter Form als Stadtmagazin veröffentlicht. Mit Druck lassen sich offenbar auf lokaler Ebene immer noch deutlich mehr Menschen erreichen als Online.

Die Plattform MYHEIMAT.de bietet ihren Lesern und Usern einen Service, der auf einer (technischen) Plattform beruht, die stetig weiterzuentwickeln ist. Die myheimat.de Plattform ist „powered by gogol medien“, d. h. deren Webseiten - und auch eine gedruckte Zeitung: vgl. z.B. giessener-zeitung.de in Hessen -, werden komplett auf der webbasierten Publishing-Lösung von „gogol medien“ produziert. Und: GOGOL Medien is „powered by WordPress“ – dies ist eine vielseitige und leicht zu bedienende Websoftware. WordPress ist in erster Linie eine Blog-Plattform, doch auch persönliche und geschäftliche Websites lassen sich damit sehr leicht realisieren. WordPress legt Wert auf Ästhetik, Webstandards und Bedienbarkeit. WordPress „ist kostenlos und unbezahlbar zugleich“, liest man in blog.gogol-medien.de.

Auf die Frage „Was können Lokal-Journalisten von myheimat.de lernen?“, lesen wir als Antwort im www: „Myheimat.de deckt viele Themen der Region ab und entlastet so den Lokaljournalist, der sich auf die Themen konzentrieren kann, die ihm Spaß machen und sein ganzes Können als ausgebildeter Journalist fordern. Zudem versorgt myheimat den Journalist mit Themenideen, weil es wie ein Radarschrim auf die Region ist. Enormes Potential lässt sich für den Journalist aus den Möglichkeiten des sog. “networked journalism” erzielen, in dem er auf gleicher Augenhöhe mit der Community zusammenarbeit und so gemeinsam Themenkomplexe erarbeitet werden.“

Der typische Autor von myheimat.de sehe so aus: Die aktiven User seien so facettenreich wie die Region. Beteiligen würden sich Bürgerreporter „von der 9-jährigen Schülerin bis hin zum 75-jährigen Rentner“. Das mache den „Charme von myheimat.de“ aus. Und ebenda zur Frage: „Wo würden Sie die aktiven Nutzer von myheimat.de zwischen Bürgerjournalismus, Hobbyjournalismus und Journalismus einordnen?: Ein Denken in einem vom Journalismus kommenden Ordnungsrahmen gehe an dem Angebot und Nutzen von myheimat.de vorbei, eine Einordnung dort würde nur Irritieren. Bei myheimat.de seien die Grenzen fließend „zwischen persönlicher Kommunikation, Gruppenkommunikation und dem Veröffentlichen von Beiträgen für ein Massenpublikum“.

Die Frage, ob man „Hobbyjournalismus“ eingrenzen sollte auf das Gebiet der Lokalnachrichten, die doch eine Domäne des Bürgerjournalismus sein müsste, kann die Antwort nur lauten: Wenn man wie ich digitale Leserbriefe, Kommentare zu Artikeln in den Online-Ausgaben von Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen schreibe und selbst längere Artikel veröffentliche, muss dies (ich bin kein ausgebildeter Journalist) zum „Bürgerjournalismus“ gezählt werden.
Für „Bürgerjournalismus“ muss natürlich ein „Verhaltenskodex“ gelten: Gegenseitigkeit, Respekt und Höflichkeit, Offenheit, Keine Urheberrechts-Verletzungen, Transparenz, Missbrauch wird geahndet (Löschen von Inhalten, die verfassungsfeindlich, strafbar sind oder „gegen die guten Sitten verstoßen“; so bei giessener-zeitung.de).
Am 12.04.2008 verfasste ich den folgenden Kommentar für FAZ.Net, der sich mit Problemen und Möglichkeiten der „Blogosphäre“ näher befasst:

Kritische BloggerInnen können Medien-Demokratisierung fördern

Die Nutzungsmotive von Weblog-Autoren sind vielfältig. Schön, wenn die Blogosphäre eine kritische Gegenposition zu den etablierten Medien vertritt. Eine Blogger-Kultur ermöglicht Medien-Demokratisierung besonders dadurch, dass BloggerInnen aus einer sicheren Position bloggen: Eine „unprofessionalisierte Bloggerkultur“ der Mitteilungsfreude mit „einfach nur quatschen“ und „Beleidigungsunkultur“ (mit „anonymen oder halbanonymen Scharmützeln“) helfen da nicht weiter. Positiv zu bewerten sind nicht-„private“ Weblogs wie sie einige Online-Medien betreiben. In solchen Blogs können User quasi als Redakteure arbeiten und z. B. (für Kommentare offene) Essays veröffentlichen. In solchen Blogs behandelte Themen (Informationen z. B. zur „Documenta-Demokratisierung“, „BUERGELiade“) können von der etablierten Presse übernommen werden. Voraussetzung sollte hier sein, dass sich Weblog-Betreiber und –User Pflichten auferlegen („journalistische Sorgfaltspflicht“). Wenn Weblog-Einträge stark verbreitet und langfristig archiviert werden (z. B. durch Permanent-Links) und Nicht-Unsinniges NICHT gelöscht wird, ermöglicht Blogger-Kultur tatsächlich eine kritische und unabhängige Gegenöffentlichkeit zu etablierten Medien (Machthabern).

(Anmerkung: Dies ist ein Kommentar zu dem FAZ-Online-Artikel „Wer bloggt so spät durch Nacht und Wind? – Eine Reise durch die Blogosphäre“ von Thomas THIEL; 14.04.2008. Bei diesem Kommentar dachte ich an die HNA, deren Blog-Mitarbeit heutzutage leider nicht mehr wie früher möglich ist. Höchst zufrieden und erfolgreich arbeite ich heute als Kulturschaffender mit DIE ZEIT „Community“; bin Mitglied seit 1 Jahr 32 Wochen; 33 Beiträge, 78 Kommentare. Bei faz.net werden die Kommentare täglich vor der Veröffentlichung von den für den Beitrag zuständigen Online-Redakteuren geprüft. Am 14.06.08 wurde durch die „Oberhessische Presse (OP)“ die myheimat-Idee nach Hessen importiert.)

Selbstkritik ist für MYHEIMAT.de (mit einem MacherInnen-Team) kein Fremdwort:

In blog.myheimat.de ist zu TAZ & SPIEGEL ONLINE zu lesen:
TAZ: Ein etwas launisch als “www.heile-welt.de” überschriebener Beitrag in der taz beschäftigt sich ausführlich mit dem Angebot von myheimat. Weil Positives gut ankommt, den Schluss zu ziehen, dass kritisches “keiner liest” ist etwas zu kurz gegriffen. Auch kritische Themen bewegen (”Blaue Tonne“, “lokale Verkehrsprobleme“, etc.) die Region und die Bürger-Reporter sowie Leser auf myheimat. Wir nehmen einfach nur wahr, dass nicht alles gleich gut ankommt und wollen da dem Leser nichts diktieren.

SPIEGEL ONLINE: “Die lokale Bindung zählt” Ja, wir sind auf den Zug aufgesprungen. Allerdings zu Zeiten wo es eher noch eine Modelleisenbahn war. 1996 mit dem “gersthofer”, einem dezentral über ein Extranet erstellten Stadtmagazin und 2003 mit der Entwicklung der myheimat Community-to-Print-Plattform. (blog.myheimat.de)

Über das Bürgerjournalismus-Portal myheimat.de der Augsburger gogol medien GmbH, bei der seit April 2008 der Madsack-Verlag mit einem "signifikanten Anteil" an gogol medien beteiligt ist, stört die taz die kommerzielle Nutzbarkeit des Bürgerjournalismus-Geschäftsmodells, das auch als "Print 2.0" bezeichnet wird.

Interessant ist die Bemerkung in dem Artikel von Karsten HÖHNKE („www.heile-welt.de“), dass aus Redaktions-Kreisen zu hören ist, Themen und Ereignisse würden teilweise viel schneller bei myheimat.de abgehandelt, als es für die Heimatzeitungen möglich ist. Man erkenne auf der anderen Seite „in der starken Resonanz auf myheimat eben auch einen entsprechenden Bedarf“. Myheimat-Macher glauben, dass „professionelle Journalisten“ im Vorteil seien, wenn es um „kritische Berichterstattung“ geht, berichtet die taz:

„Die Bürger haben eine Vorliebe für positive Nachrichten“ meinte der gogol-Geschäftsführer Martin Huber. Auf die Frage, warum myheimat kritische Berichterstattung nicht fördere, antwortete Huber: „Das liest niemand." Zu einem späteren Zeitpunkt könnten eventuell durch die Moderatoren "Themenimpulse" in die Community gegeben würden, die dann auch kritische Inhalte nach sich zögen. Auf die Idee, dass Bürger-Reporter auch kritische Berichte schreiben können (über die documenta 13 z.B., das Darwin-Jahr 2009 – Kultur-Kritik & Kunst-Kritik/Politik) kommt offensichtlich keiner. TAZ: „Bis dahin wird wohl noch so manche Kuh durchs Dorf getrieben werden.“

DER SPIEGEL (04.07.08) sah es so: Heute laute die Parole im Journalismus „Online first": Erst alles ins Netz, dann kommt die Printausgabe mit dem Rest (so der Springer-Chef Matthias Döpfner 2007). Aber einfach nur um Zeitungsartikel gehe es längst nicht mehr. Gerade die regionalen Verlage würden aus gutem Grund auf Social Communities, Weblogs und Web-TV setzen. Journalisten müssen "Google-kompatibel schreiben" & "Google News ist unser Feind" wird diskutiert. Die Journalismus-Branche ist offensichtlich verärgert über ein „Volk von Hobby-Paparazzi“:

Bei BILD mutierten in einer „Wahnsinns-Marketingkampagne“ Bürger-Reporter zu „Video-Reportern“. „Nur mit Journalismus hat das überhaupt nichts zu tun“, sagte die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalisten Union, Ulrike MAERCKS-FRANZEN in der „Frankfurter Rundschau“ (12.12.08, S. 3: „Kein Journalismus“ - Interview). Befürchtet wird die Ausbreitung des Paparazzi-Tums wegen der Videokamera-Kampagne der BILD-Zeitung. Zeitungen und Journalisten würden in diesem Fall zu Recht über den „Verfall der journalistischen Sitten“ (FR) klagen. Es gehe um das „Ansehen des journalistischen Berufes“. Der werde nicht mehr mit notwendigen Qualifikationen und der Kenntnis von Verantwortung in Verbindung gebracht: „Das Verfolgen, Belauschen, Nachspüren und Filmen gilt als Reportertätigkeit“.
Das „Ansehen des journalistischen Berufes“ zu schädigen, könne nicht einfach kommentarlos hingenommen werden. Im Interview von Sebastian GEHRMANN wird in der FR darauf hingewiesen, dass von den eingesandten Fotos im Rahmen der „Bürger-Reporter-Kampagne“ von BILD, das Boulevard-Blatt einige sehr schnell wieder aus dem Netz nehmen musste, weil da Persönlichkeitsrechte verletzt wurden. Ich nehme an, dass es bei myheimat.de ähnliche Fall-Beispiele gibt.
Über „Leser-Reporter - Paparazzi statt Dichter und Denker?“ schrieb Klaus RAAB in der FR richtig:

Vor kurzem kündigte Kai DIEKMANN den nächsten Schritt einer „Medienevolution" an: „Videos von Leserreportern". Medien-EVOLUTION, das klinge „ziemlich wichtig“. Was seit dieser Ankündigung an Neuem zu sehen sei, ist auf der Webseite bild.de zu sehen: „ein wackelig gefilmter Orang-Utan, der in seinen Käfig pinkelt, und weitere Videos wie ‚Deutschlands haarigster Heiratsantrag’ oder ‚Deutschlands dümmster Hund’.“ Kaum etwas, was man nicht schon in der ARD-Sendung "Pleiten, Pech und Pannen" gesehen hätte. 1986.“

Diekmann ist der Chefredakteur von BILD, „jener Zeitung in Deutschland, die mit blödsinnigen Superlativen um sich wirft. Und wenn er von einer EVOLUTION spricht, dann muss ja irgendetwas neu sein. Neu ist jedenfalls nicht, dass Leser Inhalte liefern.“ (FR; vgl. (2).)

Literatur:

(1) HAHN, Werner (2008): Wie gut ist „myheimat.de“? In: www.myheimat.de. (12-12-2008.)

(2) HAHN, Werner (2008): Kultur der Evolution: Anmerkungen zur Jahrestagung 2008 des ZfL Berlin. ZEIT Online - Community v. 14.11.08.

Bürgerreporter:in:

W. H. aus Gladenbach

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