Demonstration und Maifest zum Tag der Arbeit 2014

1. Mai 2014
11:30 - 14:30 Uhr
Marktlaubenstraße, 35390 Gießen
Unter dem Motto "Gute Arbeit, soziales Europa" demonstrierten mehre hundert Menschen zum Tag der Arbeit durch die Gießener Innenstadt
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Auch in diesem Jahr fand zum traditionellen Tag der Arbeit wieder eine Demonstration mit anschließendem Maifest, organisiert vom DGB und den Einzelgewerkschaften, in Gießen statt. Unter dem Motto "Gute Arbeit. Soziales Europa" zogen mehrere hundert Menschen vom Brandplatz über Walltorstraße, Kennedyplatz, Nordanlage, Oswaldsgarten, Neustadt, Marktplatz und Kirchenplatz zur Marktlaubenstraße, wo in diesem Jahr die Abschlusskundgebung mit Kulturprogramm stattfand. Bereits während der Demonstration gab es mehrere Redebeiträge. Hauptschwerpunkt fast aller Redner war die aktuelle Situation der Menschen in Deutschland und Europa vor dem Hintergrund der derzeitigen Krise und der anstehenden Europawahl sowie der geplante Mindestlohn. Begrüßt wurden die Teilnehmer vom DGB-Kreisvorsitzenden Klaus Zecher, der fast ausschließlich die heimischen SPD-Politiker und Abgeordneten namentlich erwähnte, nicht jedoch ohne ihnen einen "Arbeitsauftrag" der Gewerkschaften mit auf den Weg zu geben. So forderte er ein Ende der Sonntagsöffnung von Geschäften in Gießen, die Wahrung der vollen Rechte für die Landesschülervertretung in Hessen, einen Mindestlohn für alle ohne Ausnahme sowie den Stopp der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP.

Der erste Wortbeitrag von Oberstleutnant a. D. Dr. Lothar Liebsch (Vereinigung kritischer Soldaten "Darmstädter Signal") vor dem Kriegerdenkmal am Landgraf-Philipp-Platz befasste sich jedoch mit dem hochaktuellen Thema Krieg und Frieden, genau 100 Jahre nach Beginn der 1. Weltkrieges und 75 Jahre nach Beginn des 2. Weltkrieges. Er erinnerte dabei an die Millionen von Toten und die Zerstörung der Stadt Gießen am 06. Dezember 1944. Als einen Moment der Zeitenwende charakterisierte er den 06. August 1945, als die erste Atombombe auf Hiroshima abgeworfen wurde. Seitdem sei der Menschheit bewusst, dass sie jederzeit vollständig vernichtet werden könne. Seit 1953 lagerten Atomwaffen in Deutschland und bis 1988 seien Wasserstoffbomben im Gießener US-Depot stationiert worden. Er zitierte den späteren Bundeskriegsminister Franz-Josef Strauß, der 1949 noch gesagt hatte, "Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen!". Unsummen von Billionen von Dollars würden weltweit für Rüstung und Kriege ausgegeben. Dies müsste schleunigst beendet werden, so Liebsch abschließend.

Vor der Arbeitsagentur am Kennedyplatz sprach eine Vertreterin der DGB-Jugend zum Thema "Generation Prekär" und erklärte, die aktuelle Wirtschaftskrise in Europa sei keine Entschuldigung für niedrigere Löhne für Jugendliche im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern. Praktika müssten endlich reguliert und vernünftig entlohnt werden, da derzeit 80 Prozent hinterher nicht übernommen würden und mehr als 40 Prozent aller Praktika unbezahlt seien. Nur durch Rechentricks sei es möglich, dass eine immer niedrigere Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland verkündet werde. Das Hautproblem für Jugendliche sei nach wie vor die unzureichende Zahl an Ausbildungsplätzen. Die Rednerin forderte gute Arbeit in Deutschland und weltweit, was von den Demonstranten mit dem mehrfachen Ruf "Hoch die Internationale Solidarität!" beantwortet wurde.

Am Oswaldsgarten sprach Matthias Schröder von der GEW-Jugend und der Aktion "Solidarity4all". Er forderte gleichen Lohn für gleiche Arbeit, egal ob jemand Deutscher oder Ausländer sei. Die Sparpolitik in Europa müsse endlich ein Ende habe, stattdessen sollte mehr in Bildung und soziale Sicherheit investiert werden. Die zunehmende Ausgrenzung immer weiterer Bevölkerungsteile von der gesellschaftlichen Teilhabe und der voranschreitende Demokratieabbau müssten gestoppt werden.

Den ersten Wortbeitrag auf der Abschusskundgebung hielt der griechische Kollege Christos Giovanopoulos vom Netzwerk Solidarity4all. Er berichtete über die aktuelle Situation in Griechenland und das von ihm mit aufgebaute Solidaritätsprojekt einer Klinik in Thessaloniki. Diese werde weder vom Staat noch von einer NGO betrieben, die ehrenamtliche Arbeit werde lediglich von der Gewerkschaft GSEE unterstützt, welche die Räume zur Verfügung gestellt habe. Er forderte ein kostenloses Gesundheitswesen für alle und rief zur internationalen Solidarität auf.

Zwischen den Wortbeiträgen gab es immer wieder Kulturprogramm, so z.B. ein paar Lieder von Sarah Lesch und ihrem Männergedeck oder dem Engländer James »Bar« Bowen. Das Laientheater der Arbeitsloseninitiative Gießen »Assi-TV« zeigte ein Theaterstück über das Schicksal von Hartz-IV Empfängern.

Zentraler Mairedner war in diesem Jahr der Erste Bevollmächtigte der IG-Metall Mittelhessen Stefan Sachs, der auf das diesjährige Motto des DGB zum 1. Mai einging und Europa als ein Wunder der Geschichte bezeichnete. Dieses müsse vor den massiven Angriffen der Troika und den neoliberalen Regierungen geschützt werden. Er warnte von dem erstarkten rechter Parteien und neuem Nationalismus in Europa. Der Leim der braunen Rattenfänger gehe schon wieder auf. Die zunehmende Perspektivlosigkeit für die Jugendlichen führe nicht gerade dazu, dass diese Begeisterung für die europäische Idee empfinden würden. Scharf kritisierte er die Politik der Troika in Griechenland und die kürzlich zu unrecht vermeldeten Erfolge. So sei es kein wirklicher Erfolg wenn man ein Haus anzünde, es bis auf die Grundmauern abbrennen lasse und dann stolz vermelde, dass das Feuer gelöscht sei. Die EU stehe derzeit für Sozialabbau und Regelungswut. Die Agenda 2010, begonnen von Bundeskanzler Schröder (SPD), sei eine Abwärtsspirale die für eine immer dramatischere Entwicklung sorge. Während die Börsen ein Kursfeuerwerk nach dem anderen feierten und die 30 DAX-Konzerne 2013 mit 30 Mrd. € soviel wie noch nie Dividende an ihre Aktionäre ausgezahlt haben, nehme die Armut in Deutschland und Europa immer mehr zu. "Armut trotz Arbeit", diese Aussage werde für immer mehr Menschen in Deutschland Realität. Solidarität und Gerechtigkeit seien keine Almosen, sondern müssten erkämpft werden, so wie 1984 in einem langen Streik den Beginn der Einführung der 35-Stunden-Woche. Seit dem habe es schon wieder einige Rückschritte gegeben. Bezüglich der geplanten Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes warnte er vor verfrühter Euphorie, da dieser noch nicht im Bundesgesetzblatt stehe und derzeit massive Gegenwehr von den Arbeitgebern erfahre. Ein Mindestlohn in Höhe von 8,50 € könne nur ein Einstieg sein und müsse ohne Ausnahme für alle gelten. Zum Schluss ging er noch auf die Wichtigkeit von Betriebsräten und die aktuellen Wahlen hierzu ein.

Im Zeichen der internationalen Solidarität stand auch die Rede des US-Gewerkschaftsaktivisten Daraka Larimore-Hall aus Kalifornien. Der 1. Mai als Arbeiterkampftag sei ein "Geschenk" der amerikanischen Arbeiterbewegung, wie er in seinem kleinen Exkurs auf die Entstehungsgeschichte dieses Feiertages aufzeigte. So kam es 1886 bei einer Arbeiterdemonstration auf dem Haymarket in Chicago zu einem Bombenanschlag, wofür die acht Organisatoren der Demo verhaftet und - wie sich später herausstellte - völlig zu unrecht angeklagt wurden. Sieben von ihnen wurden zum Tode verurteilt, wovon Vier hingerichtet wurden und Zwei Selbstmord begangen haben. Auf dem Gründungskongress der Zweiten Internationalen 1889 wurde zum Gedenken an die Opfer des Haymarket Riot der 1. Mai als „Kampftag der Arbeiterbewegung“ ausgerufen. (vgl. auch Erster Mai). Heute besäßen die 80 reichsten Personen der Erde mehr Vermögen wie die "untere Hälfte" der Weltbevölkerung. Die USA sei eine der am meisten ungleichen Gesellschaften, was unter anderen auch auf die gewerkschaftsfeindliche Politik des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan in den 1980ern Jahren zurückzuführen sei. Heute seien nur rund 10 Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich Organisiert und es gebe keine nationalen Tarifverhandlungen wie dies in Deutschland der Fall sei. Der durch Präsident Obama auf 10,- $ angehobene Mindestlohn sei nach wie vor völlig unzureichend und gelte aufgrund zahlreicher Ausnahmen längst nicht für alle Beschäftigten. So könnten die einzelnen Bundesstaaten eigene Regelungen treffen und für landwirtschaftliche Arbeiter und Hauspersonal gelte er grundsätzlich nicht. Daher riet Larimore-Hall seinen deutschen Gewerkschaftskollegen keinen Mindestlohn zu akzeptieren, der nicht uneingeschränkt für alle gelte. Aus eigenen Erfahrungen könne er sagen, dass das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP abgelehnt und verhindert werden müsse, da es nichts Gutes für Löhne, Sozialstandards und Verbraucherschutz bedeute. Unsere Zukunft in Deutschland sei verbunden mit der Zukunft aller Arbeiter in der Welt. Ausdrücklich dankte er der IG Metall für die Unterstützung der Kollegen von der US-Automobilgewerkschaft UAW bei ihrem Kampf im VW Werk Chattanooga (Tennessee). Bei seinem Besuch im Werk des US-Konzerns Johnson Controls in Daupthetal vor ein paar Tagen habe erfahren, dass dort Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Dies gehe auch ihn an und nur im gemeinsamen internationalen Kampf aller Arbeiterinnen und Arbeiter könne es gelingen gegen die mächtigen Herren der Konzerncheftage zu gewinnen.

Zum Abschluss der Kundgebung erhielt ein Vertreter der IG BAU das Wort der auf den aktuellen Tarifkampf in der Baubranche einging. Während die aktuelle Gewerkschaftsforderung bei 7 % Lohnerhöhung liege, böten die Arbeitgeber nur zwei mal 2 % bei einer Laufzeit von insgesamt 30 Monaten. Ein solch langer Tarifvertrag würde bedeuten, dass der nächste Arbeitskampf an Weihnachten, im Winter zu führen sei. Während die Baubranche brummt und vielerorts Fachkräfte sucht, wollen die Arbeitgeber zudem auch noch das Weihnachtsgeld kürzen und zu einer individuellen, nicht mehr durch Tarifvertrag geschützten Leistung machen, so der Kollege von der IG BAU. Das Verhalten der Arbeitgeber sei ein absoluter Hohn.

Kritik übten einige Teilnehmer der Gießener DGB-Veranstaltung zum 1. Mai an Demoroute, die nicht wirklich durch die Nordstadt führte und an der Tatsache, dass der DGB-Kreisvorsitzende in seiner Begrüßungsrede nur die anwesenden SPD-Politiker namentlich erwähnte, nicht jedoch auch die Vertreter anderer Parteien und Gruppen, die den Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung inhaltlich deutlich näher stünden. Auch die Musikbeiträge waren eher wenig kämpferisch, so die kritische Meinung einiger Anwesender.

Wie am Rande der DGB-Kundgebung in der Marktlaubenstraße mitgeteilt wurde, plant die neofaschistische NPD am nächsten Wochenende in ganz Deutschland Infostände zur Europawahl, so auch in Gießen. Dagegen ruft ein breites Bündnis unter Einschluss der Gewerkschaften zum Protest auf. Nähere Infos hierzu werden in den nächsten Tagen sicherlich noch erfolgen.

Bürgerreporter:in:

Christian Momberger aus Gießen

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