Die Wahrheit eines wirklich alten Menschen.....

Die Wahrheit eines wirklich alten Menschen.
Der Traum war zu Ende. Ich wurde schon früh durch die Sonnenstrahlen geweckt, die mir ihre Wärme entgegenbrachten. Die Strahlen reflektierten auf meiner Fensterscheibe und es war als ob ein Regenbogen geboren würde. Ich hatte eine anstrengende Woche hinter mir und wollte eigentlich das ganze Wochenende nur ausspannen und mich wieder einmal richtig erholen. Doch als ich die Wärme des Lichtes langsam in meinem Körper spürte, fühlte ich mich ausgeruht und frisch zugleich.
Als ich mich gewaschen und angekleidet hatte, trank ich eine Tasse Kaffee und drehte mir dazu eine Zigarette, wobei ich den Rauch, den ich einzog nur sehr langsam wieder aus meinen Lungen blies. Ich wußte zwar noch nicht, was mir der Tag bringen würde, wollte aber unbedingt heraus aus meiner Wohnung, um die frische Luft und den Sonnenschein geniesen zu können. Ich lebte in einer Kleinstadt, die noch viele Fachwerkhäuser aus alter Zeit, darunter zwei sehr alte Kirchen, aufzuweisen hatte. Das einzige was mir an dieser idyllischen, romantischen Stadt nicht gefiel, waren die Neubauten, die in letzter Zeit mehr und mehr das Gesicht dieser Stadt zu prägen versuchten. Ich ging eine Weile am Fluß spazieren, ohne irgendeine vorgegebene Richtung zu beachten und zu befolgen. Am Nachmittag, als ich merkte, daß ich schon weit außerhalb der Stadt angelangt war; denn ich war den ganzen Vormittag nur vor mir hergewandelt und hatte den Weg und die Gespräche meiner Mitmenschen, an denen ich vorbei ging, den Lärm der alten Holzfabrik, das Plätschern des Flußes, das Spielen der Kinder voller Freude und Geduld, das Pfeiffkonzert der Spatzen, die vorbeiflogen, nur im Unterbewußtsein aufgefangen und wahr genommen. Ich war in ein kleines Dorf gelangt, daß noch genauso schien wie vor hundert Jahren. Das Dorf bestand aus etwa zehn sehr alten, zum Teil schon sehr eingefallenen Häusern. Einige der Fensterscheiben waren zerbrochen, einige lose Glasscheiben lagen zerbrochen auf dem Boden und waren mit Moos überwachsen, sodaß man sie kaum erkennen konnte; die Löcher in den Fenstern waren mit Stroh ausgestopft und ließen so nur wenig Kälte in die Häuser eindringen. Ich sah nur eine alte Frau, die ein Kleid aus beständiger, warmer, brauner Wolle anhatte. Sie trug ein Kopftuch und grüßte mich freundlich. In diesem kurzen Moment der Begrüßung sah ich ihr in die Augen, die wie ein blaues Meer schimmerten, wie ein uraltes dickes Buch, in dem hunderte von Geschichten aufgehoben wurden und voller Wärme, die aus ganzer Güte und Herzlichkeit kam. Dieser Augenblick nahm mich so angenehm gefangen, daß ich die alte Frau kurzentschlossen am Arm nahm und mit ihr einige Schritte gemeinsam durch vergangene und gegenwärtige Zeiten ging.
Ich begleitete sie nach Hause und als sie mir eine Tasse Tee und ein großes selbstgebackenes Stück Brot anbot, konnte ich nicht nein sagen; und ich wollte es auch nicht, denn dieses Angebot einer kleinen Gabe kam aus ganzem Herzen und offener Gastfreundlichkeit, die mich sehr beeindruckten und bewegten. Ich trank und aß mit Genüßlichkeit. Nach einer Weile kamen weitere alte Menschen, Frauen und Männer, hierher. Sie begrüßten mich mit der selben Herzlichkeit wie die alte Frau und wir plauderten ein wenig. Sie erzählten mir, daß in diesem Dorf nur noch sehr alte Menschen lebten und daß die Jüngeren schon lange ihr Bündel gepackt hatten, um in die Stadt zu ziehen, um etwas zu erleben, was sie nach ihrer Ansicht hier nicht finden konnten. Sie lebten hier zurückgezogen in ihrer eigenen Welt, genauso wie vor hundert Jahren; abgeschnitten von Hektik und Lärm, von Fortschritt und den Ansichten über das moderne Leben, sie lebten hier ihr eigenes glückliches und zufriedenes Leben. Sie liebten die Ruhe und wollten diese, ihre bekannte und geliebte Ruhe für nichts auf der Welt hergeben. Sie waren glücklich und nur das zählte für sie. Diese alten Menschen lebten einfach und alleine, doch sie lebten nach ihren Vorstellungen, nach ihrer Welt. Die alten Menschen in einer kleinen Stadt haben die gleichen ideen und Gefühle, aber sie haben sich angepaßt und nach anfänglicher Ablehnung haben auch sie die Vorteile und die Bequemlichkeit akzeptiert.
Die Unterhaltung, die wir geführt hatten, beendeten wir erst spät am Abend, und sie luden mich ein, auch ein einfaches und hartes Holzbett mit Ihnen zu teilen. Ich nahm auch diese Einladung dankend an, denn die Gedanken und Gefühle, die sich in dieser kurzen Zeit in mir gebildet hatten, waren schön und doch so trostlos und ich war auch sehr müde. Am nächsten Morgen weckte mich die alte Frau schon sehr früh und wir tranken den gleichen einfachen Tee und aßen das gleiche einfache Brot zusammen. Dann verabschiedete ich mich von den alten Menschen und ging wieder zurück in die kleine Stadt, die ich einen Tag lang vergessen hatte. Das Wetter war an diesem Morgen sehr schlecht. Regentropfen, die vereinzelt auf den Waldboden und auf die Blätter niederplätscherten, verursachten ein leises sich ständig wiederholendes monotones Geräusch, so lautlos und so lautstark zugleich, daß mich sich das Geräusch, das man lieber zu hören wünschte, sich selbst aussuchen konnte. Am Himmel zogen sich die Wolken zusammen und in ihrer blaugrauen dunklen Farbe zogen sie wie eine starke Macht heran. Der Wind war auch heftiger geworden und nun begann alles laut zu werden: die Bäume, die leicht hin und her schwenkten, die Blätter, die nun ununterbrochen raschelten. Ein Gewitter verursachte mit seiner Gewalt großen Lärm und die Blitze, die man sehen konnte, zogen wie glühende Schwerter der Erde entgegen. Als ich nach zwei Stunden vor meiner Wohnungstür stand, war ich durchnäßt und erschöpft, aber auch sehr ausgeglichen und glücklich. Nach einem heißen Bad fühlte ich mich wieder sehr erholt. Ich machte die Musik an, die angefüllt war mit leisen Tönen und schnelleren Zwischenpassagen. Ich legte mich auf mein Bett, daß noch genauso zerknaust und durchgewühlt dalag, wie ich es verlassen hatte. Ich machte das Licht aus und ließ den Mond in mein Zimmer hereinstrahlen, diese Strahlen waren genauso hell und düster wie der Mond selbst; geheimnissvoll und beruhigend zugleich. Auf meine Gedanken legte sich ein schwerer Schleier und ich schlief ein.
Am nächsten Morgen wurde ich nicht sanft und langsam durch die Sonnenstrahlen geweckt, daß laute Summen meines Weckers schreckte mich auf.
Als ich auf dem Weg zur Arbeit war, sah ich eine alte Frau am Fenster, die ihre Arme auf einem kleinen, weichen Kissen gestützt hatte. Sie lächelte und aus dem Ausdruck in ihrem Gesicht konnte man erkennen; sie war zufrieden.
F. Hampel im Oktober 2010

Bürgerreporter:in:

Fred Hampel aus Fronhausen

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