„Pennywise“ und Charlie Rivel: Ein Westfale zwischen Microsoft und den Tränen der Clowns

Clown-Art: Ihr Arbeitsplatz ist in der Regel die Manege, nicht der Himmel. Bestrebungen dieser Art, von A nach B zu gelangen, sind unter den grell geschminkten Spaßmachern eher die Ausnahme | Foto: Jörg Häschel
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  • Clown-Art: Ihr Arbeitsplatz ist in der Regel die Manege, nicht der Himmel. Bestrebungen dieser Art, von A nach B zu gelangen, sind unter den grell geschminkten Spaßmachern eher die Ausnahme
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Nein, es geht hier nicht um den „Tod eines Clowns“, den Dave Davies, der immer etwas im Schatten seines großen Bruder Ray stehende Leadgitarrist der „Kinks“; in seiner 1967 auf die (Zirkus-)Welt verholfenen gleichnamigen Rockballade unsterblich gemacht hat: http://www.youtube.com/watch?v=CK-Po-IGY8k. Die hier gezeigte rote Knollen-Papp-Nase ist quietschfidel und wird es auch bleiben. Wobei wir immer noch auf der Suche sind, in welche klassifizierende, künstlerisch-stilistische Schublade man diese Arbeit wohl stecken könnte. „Clown-Art“ vielleicht? Aber das wäre zu kurz gefasst.
Der Mann, der diese Rasanz und Lebensfreude vermittelnde Szene in Acryl auf der Leinwand eingefroren hat, heißt Jörg Häschel. Normalerweise treibt der Westfale ja etwas völlig anderes. Er ist Software-Trainer und als solcher europaweit auf Seminar-Tournee. Dies, um seine Eleven in die Geheimnisse des Microsoft-Universums einzuweihen. Aber auch ein solcher braucht jenseits aller Programme, Tools und Programm-Suiten nach Feierabend etwas Ausgleich und Entspannung. Und die findet der pinselschwingende IT-Berater in seinem Atelier. Und zu selbigem haben nur solch schrill geschminkte Figuren Zutritt, deren primäre Kunst darin besteht, andere Menschen zum Lachen (oder Nachdenken) zu bringen: eben Clowns. Im Englischen bedeutet dieser Begriff übrigens „Bauer“. Erst später wurde (ein) „Tölpel“ daraus.

Vom Hanswurst zu Oleg Popov

Deren Stammbaum führt ja von der griechischen und römischen Komödie direkt zur Commedia dell'arte. Die Spaßmacher begegnen uns im Laufe der Geschichte als Harlekin und Hanswurst, Pedrolino, Pulcinella oder Pagliaccio. Molière glückte Mitte des 18. Jahrhunderts mit „Goldoni“ eine innovative Weiterentwicklung der Charakterzeichnung. Aktuell personifiziert sie Oleg Popov, der Grand Seigneur des russischen Staatscircus. In Andrej Nikolajev hat dieser großartige Performer ja inzwischen einen kongenialen Erben gefunden. Da wäre auch noch der unvergessene Charlie Rivel. Von Grock, der sibirischen Clownesse Antoschka, Pic, Jango Edwards und Peter Shub ganz zu schweigen. Ach ja, Tom Belling, den „Dummen August“, dürfen wir in dieser Auflistung nicht vergessen. Philip Astley, Dario-Bario und Fratellini auch nicht. Aber das sind nur die prominenten Speerspitzen. Dahinter sammelt sich ein oft namenloses Heer Gleichgesinnter.
Und wenn dann bei Günter Jauch die Frage, was ein Clown eigentlich im Büro macht, auftauchen sollte, kann man ja immer noch den Telefonjoker setzen. Die Antwort: Faxen! Und etwas komisch sollen sie ja auch schmecken, stellte der Kannibale fest….
Reden wir nicht von all den Nebenlinien, den Comedians, Brachial-Humoristen und gestenreichen Flachwitz-Erzählern. Auch nicht von den karnevalistisch angehauchten Pappnasen. Aber es sind letztlich die Clowns und Pantomime-Künstler, die die klassische Tradition der Zunft bewahren, inhaltliche und zielgerichtete Weiterentwicklungen inklusive. Da gibt es inzwischen, analog zu Médecins sans frontières (Ärzte ohne Grenzen), beispielsweise auch die „Clowns ohne Grenzen“. Eine international tätige Organisation, deren ehrenamtlich tätige Mitglieder in Krisengebiete reisen, um dort für die Menschen zu spielen und Workshops zu geben. Nicht immer und überall gilt die moralische Integrität der „Kollegen“ aber als zweifelsfrei. Da wäre beispielsweise „Krusty“ aus der Kultserie „Die Simpsons“. Der Kerl raucht, säuft, neigt zu Tablettenmissbrauch, ist sexsüchtig und macht beim Glücksspiel einen schnellen Euro-Dollar. Aber auch hier gilt: Wie gewonnen, so zerronnen. Und da gibt es ja auch die Schurkenfigur des „Joker“ im DC-Universum, ein Bruder im Geiste von „Captain J. T. Spaulding“ aus dem Horrorfilm „Haus der 1000 Leichen“. Aber das sind die Ausnahmen. Es gilt immer noch das klassische Rollenbild und -verständnis.
Sie sind von ihrem Naturell her gesehen nicht unbedingt und per se ausgewiesene Frohnaturen. Hinter der Maske der Fröhlichkeit verbirgt sich nicht selten eine ernste Grundhaltung. Die Autorin Christine Telker hat dies in ihrem Gedicht „Der Clown“ treffend und pointiert formuliert:
Der Clown, er bringt dein Herz zum Klingen.
Der Clown will fröhlich mit dir singen.
Du lachst, siehst nur die Welt im Spaß,
den Mensch im Clown, du ganz vergaßt.
Der Clown, er lacht den ganzen Tag,
der Clown, er kennt fast jeden Spaß,
doch legt er seine Maske ab,
auch er so manchen Kummer hat.
Der Clown wird niemals traurig sein,
er strahlt heiter wie Sonnenschein.
Doch ist die Schminke vom Gesicht,
oft traurig unser Clown dann blickt.
Er ist ein Mensch wie jedermann,
der auch nicht immer lachen kann.
Vielleicht denkst du auch mal daran,
dass auch ein Clown mal weinen kann.
Und deshalb hat die Erkenntnis des Schriftstellers Robert Kroiß Bestand: Die Vorstellung, dass selbst das lustigste und fröhlichste Gesicht eines Clowns vordergründig aus Schminke und Maske besteht, entbehrt nicht einer gewissen Ernsthaftigkeit. „So ist das Leben“, sagte der Clown und malte sich mit Tränen in den Augen ein strahlendes Lächeln ins Gesicht.

Fröhlich, traurig, abgebrüht

Diese Ambivalenz zwischen Attitüde, äußerer Erscheinung und innerer Grundhaltung ist es, die Häschel so an diesen seinen „Figuren“ fasziniert. Sagen wir: Er hat einen Narren an ihnen gefressen. Und es wird künstlerisch nie langweilig, das auszuleben. Für ihn selbst nicht, und für den Betrachter seiner Werke auch nicht. Die thematische Reduktion ist keine Ein- und Selbstbeschränkung. Sie schöpft bei näherem Hinsehen aus einem nie versiegenden Quell. Bei Häschel kommen die schrill angemalten Jungs (und Mädelinen) in den unterschiedlichsten Ausprägungen daher. Sie sind, das volle Programm, fröhlich und traurig, zornig und frustriert, nachdenklich, zweifelnd, optimistisch, lebensbejahend oder abgebrüht. Das kann man sich dann aussuchen.
Und deshalb darf es ab und an auch etwas völlig Abgedrehtes und Abgefahrenes sein. Wie es diese „Verrückten“ zu tun pflegen, die sich in 4000 Metern Höhe aus einem intakten Flugzeug fallen lassen, um in Folge mit Tempo 300 dem Erdboden entgegen zu rasen. Die Fallschirmspringer. Um das zu praktizieren, muss man/frau entweder bekloppt sein oder eben aus dem Chromosomenpool jener geschöpft haben, die in so unvergleichlicher Weise seit Jahrhunderten den Hofnarren mit Niveau geben. Eben dem der Clowns. Versuche dieser Art, vertikal von A nach B zu gelangen, sind unter ihresgleichen allerdings weniger verbreitet. Unter Otto-Normal-Verbrauchern ja auch nicht.
Die krankhafte Angst vor Clowns kennt die Wissenschaft übrigens als Coulrophobie. Stephen King, der Altmeister des subtilen Horrors, hat diese ja durch seine Figur des „Pennywise“ in einem seiner bekanntesten Werke, „Es“, beflügelt. Was beweist, dass diese bunten Kerlchen durchaus auch ihre dunkle Seite haben können. Wie die unheimliche, entsprechend angemalte Puppe, die in „Poltergeist“ nach Einbruch der Dunkelheit gnadenlos Jagd auf Kinder macht, die Zombie-Variante aus „Zombieland“ oder die drei geisteskranken Mörder, die sich, entsprechend maskiert, in „Clownhouse“ durch die Stadt metzeln. Ein Plot, der in „Clownstrophobia“ aus dem Jahr 2009 unter der Regie von Geraldine Winters noch entsprechend ausgewalzt wird. Überhaupt werden Clowns auf Kinoleinwand und Mattscheibe oft und gerne als abschreckende Horrorwesen gezeichnet. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte. „Die Thomas-Crown-Affäre“ passt da allerdings weniger ins Gänsehaut-Konzept. Der Meisterdieb schreibt sich ja schließlich auch mit „R“ hinter dem „C“ - nicht mit „L“…

Emotionale Spiegelbilder

Clowns sind, nicht nur für Häschel, Projektionsflächen. Es sind emotionale Spiegelbilder, die Ängste, Sorgen, Nöte, Gemütsverfassungen, Stimmungen und Ansichten kanalisieren. Sie leben diese auf abstrakte und überzeichnete Art und Weise aus, sind Identifikationsmerkmal. Und sie sind, irgendwie, auch ein kleines bisschen wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, abendländische Entsprechungen des chinesischen Yin- und Yang-Prinzips. Weil sie für polar einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene Kräfte oder Prinzipien stehen. Da gibt es ja die Struktur des weißen und die des roten Clowns, ein Prinzip, das tief auch in uns selbst verankert ist. So erscheint Gott in jeder Religion als weißer Clown, dem der rote Clown als Teufel gegenübersteht. In der Manege sind die Roten die Serviteurs, in der aktuellen Politik sind sie es (leider) auch. Da haben sie ihre Zukunft längst hinter sich. Sigmar Gabriel als der geprügelte „Chocolat“, Seehofer-Horst als „Footit“. Aber jetzt laufen wir Gefahr, uns zu verzetteln… Außerdem und davon abgesehen: Wirklich lustig und originell sind diese beiden Polit-Zampanos ja wirklich auch nicht.
Von allem kulturhistorischen, religions-philosophischen Ballast befreit sind Clowns wie wir: Menschen und Kunstfiguren, die ihr wahres Ich und ihr wahres Selbst hinter einer Maske aus dicker Schminke oder einem aufgesetzten Pokerface verstecken. Sie mögen eine Botschaft haben, mögen verletzlich, betroffen, aggressiv, witzig oder traurig sein. Häschel klimpert in seinem Atelier auf dieser vielschichtig angelegten Klaviatur in Moll und Dur. Eine kleine Auswahl seiner Werke findet sich hier:
http://haeschel.me. Auch auf youtube ist der Mann ebenfalls zu finden: http://www.youtube.com/watch?v=TWw69-fbhks
Das letzte Wort hat Dave Davies:
„Mein Make-up ist trocken und es bröselt von meinem Kinn
Ich ertränke meine Sorgen in Whisky und Gin
Die Peitsche des Löwenbändigers knallt nicht mehr
Die Löwen werden nicht kämpfen und die Tiger werden nicht brüllen.
So lasst uns alle auf den „Tod eines Clowns trinken“ – mit selbstgemachten Apfelwein!

Bürgerreporter:in:

Jürgen Heimann aus Eschenburg

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