Dazwischen-Plappern ersetzt die Therapie: Von Prollen, Trollen und dem Zwang, zu allem seinen Senf dazugeben zu müssen

So habe ich mir immer einen Troll vorgestellt.  Doch selbige, die (nicht nur) auf dem Portal von myheimat.de ihr Unwesen treiben, sehen wohl doch etwas anders aus. Viel anders?
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  • So habe ich mir immer einen Troll vorgestellt. Doch selbige, die (nicht nur) auf dem Portal von myheimat.de ihr Unwesen treiben, sehen wohl doch etwas anders aus. Viel anders?
  • hochgeladen von Jürgen Heimann

Ha, jetzt weiß ich auch endlich was Trolle sind, oder Trollinnen, oder wie die femininen Entsprechungen dieser Ogers auch immer heißen mögen. Ich dachte bisher stets, das wären diese knuffigen Kerlchen aus der nordischen Mythologie, die mit den Knollennasen. Entfernte Verwandte von Shrek sozusagen. Aber jetzt hat mich (m)ein Medienpsychologe von der Uni Mainz eines Besseren belehrt. Da hätte ich auch selbst drauf kommen können. Nee, nee, diese ganz und gar nicht so (t)drolligen, permanent nervenden Web-Prolls und –prollinnen, von denen auch hier auf myheimat immer mal wieder die Rede ist, haben mit den geheimnisvollen Fabelwesen aus Utgard sicher nicht viel zu tun. Obwohl: auch sie geistern unheilbringend durch die Gegend, hier Netzwelt genannt. Und brauchen tut sie eigentlich auch keiner. Also, sie sind so überflüssig und verzichtbar wie ein Kropf. (Ja, und da gibt es ja auch noch Boxtrolls, die scheuen, sensiblen und liebenswerten Kreaturen aus dem gleichnamigen 3D-Animationsabenteuer. Aber das ist auch wieder etwas anderes… )
Web-Trolle, doziert der Mainzer KonTroll-Experte Leonard Reinecke, gibt es in den unterschiedlichsten Ausprägungen. Zusammengefasst: es handelt sich um Provokateure und Störer, denen es nicht in erster Linie um die Inhalte einer Diskussion geht, sondern um die entsetzten Reaktionen der anderen auf ihre eigenen kruden Thesen hin. Das ist dann Wasser auf die Mühlen kränkelnder Psychen! Es sind Menschen mit Persönlichkeitsdefiziten, die im Netz einfach Aufmerksamkeit erregen wollen, Aufmerksamkeit, die ihnen offline vermutlich versagt bleibt. Das ist jetzt, ich weiß, nix Neues.

Intellektuelle Pflegefälle

Solche intellektuellen Pflegefälle sind ja auch auf myheimat unterwegs. Nicht viele, aber einige. Wir kennen sie alle. Sie entwickelten ein immenses Störpotential. Und wir bieten ihnen trotzdem immer wieder eine Bühne. Ihrem eigenen Selbstverständnis nach sind es Querdenker, vermutlich sind sie aber nur quer in der Denke. Oder sie inszenieren sich als gegen den Strich gebürstetes moralisches Pseudogewissen der Community. Und als dieses Thema hier im April dieses Jahres wieder einmal aufpoppte (http://www.myheimat.de/loessnitz/kultur/reaktion-v...), schrien ausgerechnet diejenigen am lautesten, die ihrem Wesen nach selbst zu dieser ins Visier geratenen Klientel zählen und alle diesbezüglichen Voraussetzungen, die für ein erfolgreiches Troll-Dasein stehen, erfüllen. Man braucht sich nur die Kommentare und Beiträge von damals durchzulesen. An Hand der Anzahl und inhaltlichen Exzessivität der Postings lässt sich schnell herausfiltern, wer gemeint war bzw. sich eigentlich hätte angesprochen fühlen sollen. Hier haben die getroffenen Hunde richtig laut gebellt und mit virtuellem (Tollwut-)Schaum vor Mund Zeter und Mordio geschrien; von Zensur bis zum Denunziantentum war die Rede. Klar, ihre „Geschäftsidee“ stand auf dem Spiel, ihr Selbst- und Lebenszweck war in Gefahr.
Nun lebt dieses Portal ja (auch) vom gedanklichen und inhaltlichen Austausch seiner Nutzer. Es ist (meistens jedenfalls) ein faires, partnerschaftliches Geben und Nehmen. Jeder User hat eigene Präferenzen und Interessen, berichtet darüber, was ihn interessiert, was ihm bedeutsam oder erwähnenswert erscheint und diskutiert zivilisiert mit anderen darüber – auf Augenhöhe und mit offenem Visier. Natürlich fallen da auch schon mal deutliche Worte. Das macht myheimat.de ja so sympathisch, liebenswert und beliebt. Aber selbiges hat auch dunkle Seiten, und die werden von jenen bevölkert, die sich diesen Zielen eben nicht verpflichtet fühlen, oder nicht in Gänze. Für sie ist das „Mitreden“, das Senf-dazu-Geben, nämlich zugleich auch Therapieersatz. Es sind Zeitgenossen, die sich hinter der künstlichen Identität und der anonymen Maske eines jederzeit austauschbaren Phantasie-Thumbnails, wie es sie im Web zu Tausenden gibt, verstecken, oder halt hinter einer bunten Grafik. Die ihren vollständigen Namen nicht nennen und als Hilda G. aus N-Dorf, Paul B. aus Bayern oder Xaver aus Xanten durch das Web touren. Und man kann auch nicht sicher sein kann, ob der angegebene Namen überhaupt stimmt. Vielleicht ist das Platzhalter-Foto aber auch nur das kleiner Übel – und die reale Entsprechung wäre viel unerträglicher…
Und aus dieser sicheren Deckung heraus lässt sich dann natürlich trefflich agieren und intrigieren, im Namen der Meinungsvielfalt und -freiheit selbstverständlich. Daraus schöpfen diese Leute ihr Selbstverständnis. Es sind Generalisten von thematisch unglaublich großer Vielseitigkeit. Zwar kriegen sie es seltenst selbst gebacken, drei stringente, zusammenhängende, logische Sätze in einem eigenständigen Beitrag zu vereinigen und diesen dann als solchen zu veröffentlichen, aber sie sind allzeit bereit, diejenigen anderer zu wichten (nicht wichteln), zu beurteilen und/oder zu schmähen. Sie warten nur auf solche Gelegenheiten, vor uns ihr eigenes, verqueres Weltbild auszubreiten. Und solche bieten sich auf einem Portal wie diesem naturgemäß en masse.

Klares Quellwasser aus dem Brunnen der Lebenserfahrung

Da gibt es beispielsweise einen „Kollegen“, nennen wir ihn „Kurti aus Kiel“. Ob es wirklich ein Kurt, und nicht eine Kurtin ist, weiß man/frau ja auch nicht so genau. Also, derjenige welcher hat es bislang auf die schwindelerregende Zahl von fast 68.000 diesbezüglichen kommentierenden Absonderungen gebracht – bei gleichzeitig 39 eigenen „eigenständigen Beiträgen“. Wobei es sich bei letzteren meist um eher unverbindliche Vier- oder Fünfzeiler handelte, die irgendetwas mit gestohlenen Glühweinbuden, Einbahnstraßenregelungen oder Licht im Rathaus zu tun hatten. Also nix Substantielles. Die Kommentareinlassungen dieses „Autors“ hingegen decken die gesamte Bandbreite des menschlichen Existenz-Spektrums ab: Es gibt so gut wie kein Thema, zu dem er nichts zu sagen hat.
Da geht es um abstrakte Kunst, um Hartz IV, Maulwurfshügel in der Sackgasse, tanzende Teichhühner, die Algenblüte oder um bonbonfarbene Verbotsschilder in der Muhammad-Ali-Moschee. Der Herr (?) hat zu allem eine eigene Meinung (was natürlich sein gutes Recht ist), erklärt uns die Welt und tränkt uns mit frischem, klarem Wasser aus dem unerschöpflichen Quell seiner immensen Lebenserfahrung - ungefragt. Solche Leute fallen für mich im weitesten Sine auch unter den „Troll“-Begriff. Vermutlich können sie und Ihresgleichen im realen Leben noch nicht mal eine Briefmarke unfallfrei aufkleben, haben aber keine Probleme damit, sich über die komplexe Funktionsweise eines atomkraftgetriebenen, Dreikomponenten-Spektralphotometers auszulassen, und zwar so, dass es auch Daniele Katzenberger verstehen würde – oder halt die glamourösen Geissens, wenn sie denn wollten..

Die gedruckte Lokalzeitung stirbt

Es ist lange her, dass man/frau, um wahrgenommen zu werden und am öffentlichen Diskurs teilhaben zu können, u.a. auf die Leserbriefspalten der Zeitungen angewiesen war. Da wurde bei der Formulierung entsprechender Repliken um jedes wohl gesetzte Komma gerungen. Und oft genug kam die Schrift, nach selbstverständlich akribischer Überprüfung der Authentizität des Absenders, zurück, mit dem Verweis, sie sei zu lang oder entspräche nicht den Vorgaben. Mit etwas Glück gelangte sie mit dreiwöchiger Verspätung zur Veröffentlichung, bis zur Unkenntlichkeit weichgespült. Darin sind die in den Redaktionsstuben sitzender Gralshüter der öffentlichen Meinung, die nur ungern solche gelten lassen, die ihnen nicht ins Weltbild passen, oder die die eigene Unfehlbarkeit in Zweifel ziehen, auch heute noch sehr gut. In unserer Medienlandschaft gibt es genügend anschauliche Beispiele dafür. Einer von vielen Gründen dafür, warum das gedruckte Wort in einer regionalen Lokalzeitung keine Zukunft mehr hat und sich mittelfristig selbst erübrigt, ungeachtet aller gegenteiligen Beteuerungen von Verlegern und Printjournalisten. Aber diese Beteuerungen sind letztlich nichts anderes sind als ein Pfeifen im dunklen Wald. Davon abgesehen: Wenn die Landfrauen aus X-Dorf im Rahmen ihres Monatsausfluges den Zoo in Duisburg besuchen, möchte ich das nicht zwingend am nächsten Tag oder ein paar Tage später in der Zeitung lesen müssen. Mehr als 30 EUR Abo-Gebühr im Monat für Informationen dieser Gehaltstiefe zahlen zu müssen, tut schon irgendwie weh… Aber das ist wieder eine ganz andere Nummer und Baustelle…
Unsere Art, mit Medien umzugehen und sie zu nutzen, ist durch das Internet revolutioniert worden. Es hat ungeachtet aller Schattenseiten und Auswüchse auch ein Stück weit zur Demokratisierung, Mündigkeit und Gleichberechtigung beigetragen. Die Grenzen zwischen Konsumenten und Anbietern, dem dünkelhaften „Wir-da-oben“ und „Ihr-da unten“ verschwimmen und werden fließend. Heute kann ich mich in Echtzeit äußern und artikulieren, zu allem und jedem. Wobei, wie auch auf dem myheimat-Portal exemplarisch ersichtlich, die Geschwindigkeit der Synapsen oft nicht mit der der Finger auf der Tastatur Schritt hält.

Da hilft nur eins: Konsequent ignorieren

Womit wir wieder beim eigentlichen Thema wären. Solche „troll-igen“Kommentar-Junkies, von denen hier eigentlich die Rede ist, haben meist ein persönliches Problem – und möglicherweise nicht nur ein einziges. Kanadische Forscher sind diesem Phänomen jetzt im Rahmen einer Online-Studie auf den Grund gegangen. Sie berichten, dass solche Menschen offenbar tatsächlich von ihrer dunklen Seite getrieben werden, dass sie häufig antisozial eingestellt und von sich selbst sehr eingenommen sind. Sie besäßen deutlich mehr negative persönliche Eigenschaften als andere und zeigten Anzeichen von Psychopathie und Narzissmus. Hinzu kommen Selbstgerechtigkeit und Selbstüberschätzung.
Vor allem offenbare sich in diesen Menschen ein vom Vergnügen am Zerstörerischen getriebener Hang zum Sadismus, schreiben die Psychologen im Fachblatt „Personality and Individual Differences“. Dieser Hang sei umso stärker ausgeprägt, je häufiger jemand im Internet (negative) Kommentare abgäbe. Und dieser Hang braucht schließlich ein Ventil. Besser, ein solches findet sich in der virtuellen-digitalen Welt als im täglichen Leben. Vor allem ist es aber auch ein Schrei nach Aufmerksamkeit, ein Betteln um Wahrnehmung. Ich werde wahrgenommen, also bin ich! Für jeden Psychologen ein Fallstudienfundus par excellence.
ber wie damit umgehen? Da sind sich Forscher, Kommunikationsexperten und Wissenschaftler ausnahmslos (fast) einig: Konsequent ignorieren und nicht füttern („Don’t feed the Troll“). Ins Leere laufen lassen. Nicht beachten und nicht darauf reagieren. Das entzieht solchen Individuen den Nährboden, auf dem ihre fauligen Früchte gedeihen. Aber eine solche Haltung, konsequent durchgezogen, kostet mitunter auch viel Selbstüberwindung, Selbstbeherrschung und auch Kraft. Gehen wir’s an!

Ich heiße jetzt Tina Kack

Ach was, ich hab’s mir überlegt. Ich mache jetzt auch einen auf Troll(i). Ich werde mich fortan Tina Kack (oder Martin Knack und schwer auf Zack) nennen, komme aus U-Stadt in Meck-Pom, besorge mir von Yahoo eine unverfängliche email-Adresse, legen mir ein Alias-Foto zu und hau‘ rein. Das ist doch ein ganz bequemes Leben. Dann kann ich endlich, ohne persönliche Konsequenzen fürchten zu müssen, mal so richtig die Wutz raus lassen und mich vor allem auch folgenlos zu all den vielen Themen äußern, von denen ich (nachweislich) keine Ahnung habe und die meiner eigenen Lebenswirklichkeit so fern sind wie es Hannover von Alpha-Centauri ist. Aber Hauptsache, wir haben mal drüber geredet – und ich habe mitgeredet…

Bürgerreporter:in:

Jürgen Heimann aus Eschenburg

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