Tod im Flachsfeld – sorbischer Brauchtums -„Krimi“ aus der Lausitz

"Christkind" aus Trebendorf
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Wenn die Mittagsfrau kommt:

Der „Brauchtumskommisar“ zückt interessiert sein Notizbuch:
„Wann schätzt man ist die junge Dame im indigofarbenen Gewand wohl verstorben? Zwischen 12.00 und 1 Uhr?, sagten Sie.“ Geflissentlich notiert er die Aussagen der reizenden Damen, die sich ihm im Kulturzentrum Schleife bei Cottbus als Kulturführerinnen zur Verfügung gestellt haben:
„...und Sie sind sich sicher, es war wieder die Mittagsfrau, von der ja gesagt wird, Sie schlage all denjenigen den Kopf ab, die die heilige Mittagspause beim Flachsjäten auf den Feldern nicht einhalten.““ Ja und sie verfolgt auch diejenigen, die in der Webstube über Mittag allein zurück bleiben, weil sie gerade noch den letzten Durchschuß an den wertvollen Leinenstoffen zur kunstvoll durchbrochenen Webbordüre fertig bekommen wollen. Sie müssen wissen ,Herr Stöhr, unser Leben , das Leben der Sorben und Wenden hier in der Lausitz im Dreiländereck: Tschechei, Polen und Sachsen war seit Alters her geprägt vom Flachsanbau.
Unsere wertvolle Tachtenkleidung ist im wesentlichen in Reservage(Batik-) technik mit ausgesparten Wachsmustern verziert und mit Indigo hellblau oder blauschwarz gefärbt. Die Nationalfarben der sorbischen Minderheit erinnern der französischen Tricolore ähnlich an die hellblau blühenden Leinblumenfeldern, an das Weiß unseres kalten Winters nördlich von Erz- und Riesengebirge und dem Rot des Blutes , das unser Volk als Minderheit zwischen Deutschen und anderen slawischen Völkern vergossen hat. Flachs ist unser Leben.
Viele Märchen und Sagen wurden bei uns meist nur durch mündliche Überlieferung weitergegeben, obwohl wir eine ganz eigene Sprache haben, die aber bis zum Ende des 2. Weltkrieges verfemt und immer wieder verboten wurde.
Wenn die jungen Mädchen in der Winterzeit zusammen in der gemeinsamen Webstube saßen, erzählte man sich diese Geschichten, die einem dann wohlig den Schauder über den Rücken rieseln ließen. Eben zum Beispiel die Geschichte von der Mittagsfrau. Diese strahlende große Erscheinung trug ihre mondförmig gekrümmte Flachssichel an einer langen Stange.
Da die fleißigsten Mädchen in der Webstube und auf dem Feld als „Goldmädchen“ gekürt wurden, die faulsten aber verspottet, war es nicht unüblich, auch noch über die Mittagszeit hindurch weiter zu arbeiten. Auf dem Feld beim Unkrautjäten unter glühender Sonne hat das aber leicht zu einem schlimmen Sonnenstich geführt. Sicher hat das im leichtesten Fall zu Kopfschmerzen und Haluzinationen im schlimmsten Fall vielleicht auch mal zum Tod geführt.
Deshalb mußte man den übermäßigen Fleiß unserer sorbischen Mädchen doch ein wenig mit einer warnenden Geschichte in Zaum halten. Erinnert die Geschichte nicht ganz besonders an die Geschichte von der Frau Holle mit der „Goldmarie“ und der Pechmarie? Tatsächlich denkt man schon ,daß die nördliche Form der Frau Perchta hierzu Pate gestanden hat.

Da gibt es aber auch noch andere abenteuerliche und gruselige sorbische Geschichten: Aus dem Riesengebirge herauf kamen zu uns die Geschichten vom „Rübezahl“ ,einem eigentlich gutmütigen Riesen, der aber bei jeder Art von Umweltsünden an seinem Wald und Ungerechtigkeiten zum wütenden Ungeheuer wurde. Der „Kravacz“, ein Zauberlehrling aus unserem Kulturkreis wurde durch die Geschichte von Ottfried Preussler und eine gruselige moderne Verfilmung wohl auch bei Euch im Süden bekannt.
Besonders beliebt waren auch die Geschichten vom Schlangenkönig, der viele arme, ehrliche und fleissige Leute belohnt hat. Schlangen waren ja auf unseren Flachsfeldern, den überfluteten Spreewäldern und den Moor- und Heideebenen unserer Heimat immer eine große Gefahr für die Landarbeiter.
Nur pädagogische Drohgeschichten waren dagegen die Erzählungen vom Wassermann, den Heinzelmännchen und dem Hausdrachen.
Der soll meist unsichtbar in jedem Haus gewohnt haben und alles Böse, das dort gesprochen und getan wurde, in sich hinein geschluckt haben . Dabei wurde aus einem kleinen unscheinbaren Salamander mit der Zeit ein fettes monströses Ungetüm, das sich unsichtbar in allen Zimmern des Wohnhauses breit machte und der damit alle Hausbewohnern gar sehr ein engte und sogar das Atmen zur Qual machte. Vielleicht wärees gar nicht schlecht, wenn auch unsere jungen Paare heute noch so einen Zwergdrachen im Hause hätten: Vielleicht würden die Ehen dann nichto schnellim Zwistaus einander gehen. “
„Eine andererseits besonders segenbringende Form unserer Kultur ist die Heiligenfigur der Sankt Barbara („Borborka“),
die in der Weihnachtszeit zu den Kindern kommt und ähnlich wie bei Euch in Schwaben der Rupprecht entweder Geschenke bringt oder mit der Rute droht.“ ergänzt jetzt eine andere der Mitarbeiterinnen im Kulturamt der Sorben
„Die Bärbelen, die bei uns im Allgäu am Barbaratag im Dezember, verkleidet durch die Straßen von Sonthofen laufen schlagen mit Ihren Ruten aber ganz schön heftig auf die nackten Wadeln der jungen Burschen ein, habe ich mir dort erzählen lassen. Das Brauchtum sieht in den Kirschen- Forsythien- und Mandelbaumzweigen, die man schneidet und bis zu Weihnachten zum Blühen bringen soll ein beschleunigendes Symbol des Frühlingsbeginns. Das Berühren mit der Rute bringt Glück und Fruchtbarkeit ins Haus. Auch hier mag die Jahreszeitengöttin Perchta, deren Feiertag vor Durchsetzung des Christentums als Staatsreligion ja am 23. Dezember lag, im Vorfeld mit brauchbestimmend gewesen sein. „Boborka, Berchta und Proserpina sind leicht durch mündliche Alliterationen und Sprachübersetzungen ineinander überführbar.“ fügt der Brauchtumsforscher in mir ein wenig schulmeisterlich ein.
„ Bei uns kommt die „Boborka“ ebenso wie das „Christkind“ als verkleidete Frau im Trachtengewand einer Jungfrau mit hinter Spitzentuch verhülltem Gesicht“, zeigt mir eine der Sorbinnen auf einem alten Foto.
„ Sie haben gesagt, Frau Perchta ist eine Jahreszeitengöttin so wie der zweigesichtige römische Janus, der ja dem Januar seinen Namen gegeben hat?“, fragt mich eine Andere:
„Wir haben bei unseren sorbischen Brauchtumsfiguren im Fasching eine ganz ähnliche Maskerade: Beim“ Zweigesicht“ trägt ein als älterer Mann Geschminkter auf dem Hinterkopf noch eine Maske einer schönen jungen Frau: Winter und Frühling stellen diese Masken dar.“
„ Sie meinen das „Zampern“-gehen (Zapust, Camprovanje), diesen Heischebrauch in der Lausitz, bei dem im Fasching für die Gemeinschaft bei den reicheren Bauern Speisen und Getränke für die abendliche Feierstundevor der Fastenzeit zusammen getragen wird“, greife ich den Gedanken auf.
"Ob das Betteln und abendliche Feiern bei unserem Fastnachsbrauch primär zur Versorgung der armen Tagelöhner gedient hat , weiss ich nicht", erklärt eine der Damen:
" Der Tanzabend war eher so eine Tribüne zum Kennenlernen heiratsfähiger junger Leute beiderlei Geschlechts. Allerdings ganz und gar nicht so wie heute in der Disco. Stellen Sie Sich das mal so vor: Auf diesen Bänken um den Tanzsaal herum, die Sie gerade beim Hereinkommen gesehen haben, da saßen all die wohl situierten älteren Damen des Ortes, der weibliche Ältestenrat quasi und waren hier und danach weniger als Sittenpolizei sondern sehr wohl als Ehekupplerinnen tätig, die den Vermögensstand anhand von Qualität der getragenen Trachtenmode beurteilen konnten."
Mir sitzt immer noch die Frau Perchta in den Gedanken: „ Gibt es da nicht auch diese Figur, bei der ein Toter ,den Lebenden trägt? Könnte dies nicht auch wieder eine Darstellung der doppelten Frau Perchta sein, die im Winter ja todbringend, im Frühjahr lebensschenkend auftritt?“
„Ja bei unserem Zampern gibt es einige sehr interessante Figuren, so den glücksbringenden Kaminkehrer und die Eierfrau. Sicher wissen Sie, daß das Ei bei den slawischen Völkern ,so auch den Sorben, auch ein wichtiges Fruchtbarkeitssymbol war. Bei uns gibt es neben den besonderen handwerklichen Techniken der Textilherstellung und des Batikens mit Indigo auch eine ganze Reihe erlesenster und aufwendiger Kratz- und Färbetechniken zur Gestaltung von Fastnachts- und Ostereiern.“

„ Besonders bekannt ist auch noch eine andere Sagengestalt, die als Fastnachtsverkleidung auftritt: der „Schimmelreiter“, wie er auch aus der Erzählung von Droste-Hülsoff bekannt geworden ist.“
„ Ja , der Reiter wird in verschiedenen Fastnachtsbräuchen so her gerichtet: Wie bei Ihnen so trägt man auch im fernen Baskenland den Körper des Pferdes wie einen großen Reifrock um den Bauch. Die Beine des Maskenträgers sind hierbei die Hinterbeine des Pferdes. Der Kopf des Pferdes und damit auch der ganze Körper kann dann wie beim Steckenpferd durch die Zügel hin und her bewegt werden. Das findet man sowohl in alten Kostümbeschreibungen aus dem späten 18. Jhdt. wie auch heute noch z. B. auch in Rottweil beim „Rössle“ und „Güller“, bei den „Joiden“ auf ihren Geißböcken in der Rhön und sogar in Bolivien bei den „Torri“(Stierreitern) am Titicacasee.“
„Eine Figurengruppe haben wir aber jetzt noch ausgelassen“, meldet sich eine der Damen zu Wort:
“Den „Bär-(ungestüm wilder Frühling) und Bärentreiber( griesgrämiger Winter) kennen Sie zwar sicher schon von anderen traditionellen Faschingsumzügen , so auch in Tirol( Imst, Nassereith). Der Bär tritt neben einer Fellmaskierung aber auch als „Erbsstroh- und Stohbär“, umwickelt mit Haferstroh- oder Erbsreisig auf, so wie z. B. auch in Lerpfingen im Würthembergischen und in der Oberpfalz.“
„ Mit frischem Nadelbaum-reisig oder frischen mit Blättern versehenen Zweigen umwickelt maskieren sich bei uns in Schwaben die jungen Burschen beim Wasservogelbrauch, einem weiteren Fruchtbarkeitsbrauch“, bringe ich in den Kulturvergleich ein:“ Ich glaube bei Ihnen gibt es da etwas Ähnliches?“
„ Einmal haben wir den Storch als Fastnachtskostüm. Und dann im Mai feiern unsere Kinder die Vogelhochzeit. Hierbei stellen Sie Gaben für die Vögel aufs Fensterbrett, damit diese nach Ihrer gefeierten Hochzeit nicht nur viele Piepmätze sondern auch Glück für s Haus und Fruchtbarkeit für die Felder bringen.“
„ Viel Glück und Erfolg für das Haus der Kulturen in Diedorf bei Augsburg auch im Neuen Jahr wünschen wir jetzt natürlich auch Ihnen, Herr Stöhr!“ „ Erfolg für solche kulturtragende Einrichtungen wie unsere beiden Häuser ist freilich bitter nötig, wo in unserer Zeit leider nur viel zu wenige Kulturinteressierte ins Museum kommen und eben wohl deswegen auch die kommunale Förderung fehlt. Alles Gute auch Ihrem Hause in Schleife!“ schließe ich mich an.
Wiedermal gab es auch bei der Kultur der Sorben und der Kultur anderer europäischer Völker deutliche Ähnlichkeiten im traditionellen Brauchtum zu sehen .

"Delnjostlesko-hornjoluziski wokrjes" - "Zwei Namen sind doch oft eins"

Im Haus der sorbischen Kultur in Schleife kann man all die beschriebenen Fastnachts- und Sagenfiguren, wie auch eine Ausstellung von aussergewöhnlichen Trachten und Ostereierschmuck bewundern (T.:03577377230). Auch in Bautzen gibt es ein wunderbar aus gestattetes Museum der sorbischen Kultur (T.:035912708700)

Bürgerreporter:in:

Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf

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