Klassenfahrt – nur zu 93%

Klassenfahrt – nur zu 93%
Ein Artikel zur Inklussionvon Lisa Reimann.

Die Klasse 9c des Gymnasiums XY irgendwo in Deutschland plant nach den Ferien, im neuen Schuljahr, eine Klassenfahrt. Es soll ins Ausland gehen. Die Schülerinnen und Schüler sollen 10 Tage bei einer Gastfamilie wohnen. Tagsüber werden Sehenswürdigkeiten besichtigt und sich mit dem Land und der Sprache vertraut gemacht. Freizeit soll es natürlich auch geben. Ins Schwimmbad oder in eine Theatervorführung will die Klasse 9c auch gehen.

Die Vorbereitungen haben begonnen und die Klasse freut sich auf die bevorstehende Reise. Alle? Nein, nicht alle. Es gibt einen Jungen in der Klasse, der nicht genau weiß, ob er sich auf diese Klassenreise freuen soll. Denn wegen ihm gibt es Probleme. Dabei ist er ein netter Junge. Er heißt Marc und ist eher still und wirkt angepasst, fällt aber immer auf. Der Junge ist Rollstuhlfahrer, der einzige an der ganzen Schule. Er ist überhaupt einer der ersten Schüler mit Behinderung an diesem Gymnasium. Und genau diese eine Tatsache führt dazu, dass es jetzt Probleme mit den Planungen der Klassenreise gibt. Zu Planänderungen, die zum Abbau von Barrieren und zu mehr Chancengleichheit führen würden, ist keiner der Verantwortlichen bereit. In dem Integrationsplan, den die Schule regelmäßig anfertigt, steht geschrieben: Die Schule kann Marc die Klassenreise ins Ausland leider nicht ermöglichen. Während der Klassenfahrt wird er am Unterricht der Parallelklasse teilnehmen. Kommentarlos wird den Eltern der Integrationsplan übergeben.

Diese Geschichte ist nicht frei erfunden und sie spielt auch nicht 1987 oder 1998 oder 2004. Die Klassenreise der 9c findet 2014 statt. Fünf Jahre nachdem die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft ist (die Identitätsmerkmale von „Marc“ wurden verändert). Zugegeben, der Ort, an dem das Gymnasium steht, ist keine Großstadt und die Förderschulstruktur und -kultur ist in dieser Gegend noch stark verankert, aber man muss kein Diskriminierungsexperte sein, um zu verstehen, was dort gerade passiert.

Das Problem ist weder Marc, noch sein Elektrorollstuhl (den er für die Reise auch gegen einen Faltrollstuhl eintauschen könnte). Das Problem liegt an ganz anderer Stelle. Zunächst soll hier aber der rechtliche Rahmen widergegeben werden: In der Präambel der UN-Behindertenrechtskonvention heißt es, dass die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens, so auch Deutschland, in der Erkenntnis vereinbart haben, h) „dass jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung eine Verletzung der Würde und des Wertes darstellt, die jedem Menschen innewohnen“. Zudem wurde in der Erkenntnis, (r) „dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern alle Menschenrechte und Grundfreiheiten in vollem Umfang genießen sollen, und unter Hinweis auf die zu diesem Zweck von den Vertragsstaaten des Übereinkommens über die Rechte des Kindes eingegangenen Verpflichtungen“ die Artikel der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbart. In Artikel 7 der UN-Behindertenrechtskonvention heißt es, dass die Vertragsstaaten alle erforderlichen Maßnahmen treffen, „um zu gewährleisten, dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen können“.

Wo bist du, lieber Vertragsstaat Deutschland, um Marcs Recht auf Teilhabe durchzusetzen? Wo bist du, lieber Vertragsstaat Deutschland, um den Beamten deines Staates bzw. den Angehörigen des Schuldienstes, den Zweck der UN-Behindertenrechtskonvention zu erklären, damit Menschenrechte nicht mit Füßen getreten werden? Wo bist du, lieber Vertragsstaat Deutschland, um das durchzusetzen, was du versprochen hast: Schutz vor Diskriminierung?

Der Vertragsstaat kennt Marc nicht, noch nicht. Auch das Bundesland, in dessen Zuständigkeit Bildungsangelegenheiten fallen, hat bisher nicht viel unternommen, um solche Situationen zu vermeiden. Denn sie hätte vermieden werden können. Bildung ist Menschenrechtsbildung. Und auch Personen im Schuldienst sind in manchen Dingen noch Lernende. Viele wissen nicht, welche Bedeutung die Artikel der UN-Behindertenrechtskonvention haben. Viele glauben noch, dass Inklusion ein Zusatzprogramm ist und kein flächendeckender Wandel des Schulsystems. Viele haben Vorbehalte gegenüber Menschen mit Behinderungen oder Schlicht Angst vor Veränderung. Das erzeugt Widerstände. Diese Widerstände sind manchmal auch deshalb so groß geworden, weil der Staat, bzw. das Land bzw. die kommunale Schulverwaltung, die Fürsorge- und Schutzpflicht, zu der sie laut UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet sind, nicht rechtzeitig oder intensiv genug wahrgenommen haben. Salopp gesagt: Schon 2009 als die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft trat, hätten Lehrerinnen und Lehrer in Sachen Inklusion, inklusive Pädagogik und Didaktik und in Sachen Menschenrechten fortgebildet werden müssen (Siehe auch Argumente zu der Aussage „Wie soll denn das gehen, wenn die schwachen Schüler nicht mitkommen?“). Schon 2009 hätte man beginnen müssen, die Lehramtsausbildung im Sinne inklusiver Didaktik und Pädagogik anzupassen. Schon 2009 hätte durch die Bekundung des politischen Willens zur Inklusion und durch die gesetzten Rahmenbedingungen allen Lehrerinnen und Lehrern klar sein müssen, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung selbstverständlicher Teil der Schulgemeinschaft sind und nicht aufgrund einer Behinderung auf Förderschulen abgeschoben werden dürfen – oder in die Parallelklasse während einer Klassenfahrt. Schon 2009 hätte den Schulen mitgeteilt werden müssen, dass der Ausschluss von Klassenfahrt aufgrund einer Behinderung diskriminierend ist und alle Anstrengungen übernommen werden müssen, um Teilhabe zu ermöglichen.

Aufgrund einer Behinderung Schülerinnen/Schüler von wichtigen Ereignissen wie einer Klassenfahrt auszuschließen, ist nicht hinnehmbar („behinderungsspezifische Mehrkosten“ können beim zuständigen Sozialhilfeträger beantragt werden, ebenso kann eine Assistenz über die Eingliederungshilfe, Pflegekasse, Schulamt, Jugendamt -hier streiten sich oft die Kostenträger- beantragt werden). Zudem können die Ziele der Klassenfahrt in einem gemeinschaftlichen Prozess ausgehandelt werden.

Es muss nicht 7 Tage zum Klettern gehen, wenn ein Kind mit Muskelschwäche in der Klasse ist. Zudem haben Schülerinnen/Schüler unabhängig von Behinderung sowieso unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen. In Absprache mit den Beteiligten können Kompromisse oder Alternativen gefunden werden. Die eine Gruppe besucht vormittags eine Kletterhalle und die andere Gruppe geht in den Tierpark. Wobei anzumerken ist, dass auch Kinder mit Behinderung mit der richtigen Unterstützung das Klettern genießen und teilhaben können. Dafür braucht es ein Umdenken: Wie kann die Aktivität so gestaltet werden, dass alle teilhaben können.

Neben einer breiten Werbung für die inklusive Bildung, hätte den Lehrkräfte schon 2009 vermittelt werden müssen, dass Inklusion kein Gnadenakt ist (siehe auch Gegenargumente zu der Aussage: “Die Lehrer der Regelschule wollen doch gar keine Inklusion”). Die benötigten Hilfen (Fortbildung, Sonderpädagogen, Team-Teaching im 2-Pädagogen-System, Schulhelfer/-innen, Raumanpassung, Sachmittel usw.) hätten den Schulen von Anfang an im ausreichenden Maße zur Verfügung stehen müssen. Vielerorts fehlt es immer noch an räumlichen, sächlichen und vor allem personellen Ressourcen. Die größte Hürde sind aber Vorurteile, die schnell zu Diskriminierung führen können. Deshalb ist die Haltung das A und O bei der inklusiven Bildung. Die eigene Haltung kann gut in Fortbildungsseminaren reflektiert und ggf. korrigiert werden. Denn genauso wie Vorurteile erlernt werden, können sie auch verlernt werden. Natürlich sind Umlernprozesse manchmal ungemütlich. Gerade an Gymnasien, wo der ein oder anderer Lehrer seit Jahrzehnten nach dem Motto „One size fits all“, also „eine Größe für alle“, verfährt und alle Schülerinnen und Schüler den selben Arbeitsbogen zur selben Zeit ausfüllen, fallen Inklusionsprozesse hin zu individuellem Lernen, hin zu einem Blick für die Bedürfnisse des Einzelnen und hin zu einer Willkommens- und Anerkennungskultur, besonders schwer.

Wenn ein Lehrer es seit Jahren oder Jahrzehnten gewohnt ist, dass ein Schüler oder eine Schülerin, die nicht mehr mitkommt, die Schule verlässt, dann fällt ein Denken in inklusiven Bahnen wohlmöglich ziemlich schwer. Gerade wenn Ausgangspunkt aller schulischen Planungen und Überlegungen ist, dass der Schüler oder die Schülerin sich dem Gymnasium anpassen muss. Strukturen und Interaktionsformen verinnerlichter Dominanz und Selektionsmechanismen werden dann schwerer als diese erkannt.

Das alles hat nichts mit Marc zu tun. Das alles sind langjährige gesellschaftliche Prozesse. Gesellschaftliche Strukturen begünstigen es, dass bestimmte Merkmale von Menschen zu Bevorzugungen oder Benachteiligungen führen. Sowohl auf der interpersonellen, der institutionellen und der ideologisch-diskursive Ebene wurden und werden Diskriminierungsformen internalisiert.

Auf der interpersonellen Ebene findet Diskriminierung direkt „face-to-face“ statt. So wurden Marcs Eltern mehrfach in Gesprächen mit Lehrerinnen/Lehrern mit der Aussage konfrontiert, Marcs Elektrorollstuhl sei eigentlich viel zu groß für die engen Räume der Schule, Marcs Mitschüler/-innen haben sich beschwert. Die Schülerinnen/Schüler hätten auf dem Flur Probleme an Marc vorbei zu kommen. Marcs Hilfsmittel, welches ihn unabhängiger von personellen Hilfen macht und für ihn ein Stück Selbständigkeit bedeutet, wird von mehreren Lehrpersonen, die durch ihre Position auch eine gewissen Definitionsmacht haben, negativ bewertet, was dazu führt, dass Differenz, in diesem Fall die Behinderung, negativ wahrgenommen und als „anders“ konstruiert wird. Dass hier nicht mit allen Schüler/-innen gesprochen wird, erklärt wird oder ein Projekt, bei dem alle mal im Rollstuhl durch die Schule fahren, initiiert wird, zeigt die große Unsicherheit der Lehrerinnen/Lehrer das Thema Diskriminierung und das Thema „unterschiedliche Bedürfnisse haben und haben dürfen“ zu benennen und damit umzugehen.

Die systematische Diskriminierung findet auf der institutionellen Ebene statt und umfasst Schulstrukturen, Gesetze und strukturelle Rahmenbedingungen. Räumliche Barrieren, die fehlenden Richtlinien und Ressourcen, die die Teilnahme der Schulpersonen an Fortbildungen zum Thema Inklusion fördern, der zu wenig „inklusive“ Aufbau der Gymnasiallehrerausbildung, das Schulsystem und das System von Sondereinrichtungen für Menschen mit Behinderungen können dazu gezählt werden. Die lange Tradition von Sondereinrichtungen hat das Denken in zwei Pole, in Menschen mit und ohne Behinderung, und binäres Schubladendenken gefördert, so dass auch die verantwortlichen Individuen aufgrund der Strukturen wenig Erfahrungen mit unterschiedlichen Menschen mit Behinderung machen konnten. So wird „Behinderung“ als etwas „anderes“, „fremdes“ konstruiert. Marc ist zufällig der einzige Schüler mit Behinderung, einer Körperbehinderung, überhaupt an dem Gymnasium, der für sich das Recht einfordert an einer Klassenreise teilzunehmen. Durch Marc haben viele Menschen an der Schule überhaupt Kontakt zu jemandem mit Behinderung, was Marc einen „Sonderstatus“ gibt.
Es gab zwar schon einmal 2 Schüler mit Behinderung, aber die haben nicht am Wandertag oder der Klassenfahrt teilgenommen. So wurde gelernt, dass Ungleichbehandlung völlig in Ordnung ist. Hier hat sich gezeigt wie das verpasste Einschreiten bei Diskriminierung zu institutionalisierter Ungleichbehandlung führt, die als akzeptierende Normalität hingenommen und nicht mehr als Diskriminierung erkannt wird.

Mit der ideologisch-diskursiven Ebene sind Werte, Normen und Ideale gemeint, die durch die Dominanzkultur, durch die scheinbare „Mehrheit“, etabliert, anerkannt und reproduziert werden. In „unserer“ Kultur wird ein bestimmtes Körperbild als „schön“ wahrgenommen. Als „gut“ werden auch Raumausstattungen bewertet, die uns etwas nutzen, wie auf Augenhöhe angebrachte Garderobenhaken oder Texte in Schriftgröße Arial 11. Solch ein Normendenken kann dazu führen, dass Menschen ausgeschlossen werden, gerade wenn dieser Maßstab gegenüber allen anderen Menschen benutzt wird und sie sich diesen Normen unterwerfen müssen.

Nicht in das System zu passen, kann negative Auswirkungen auf das Selbstbild haben. Erfährt eine Schülerin/ein Schüler immer wieder, dass er/sie „nicht passt“, „stört“ und „Mehrarbeit“ macht, erzeugt das ein Selbstbild nicht dazu zu gehören. Denn wer sich in einem Kontext aufhält, in dem er/sie immer wieder die Botschaft erhält „mit dir ist alles schwieriger, komplizierter und beschwerlicher als mit den anderen“, fühlt sich nicht zugehörig.

Theoretisch muss die Schule sich darum bemühen, wie Marcs Teilhabe an der Klassenfahrt sichergestellt werden kann. Praktisch ist etwas ganz anderes geschehen. Marc und seine Eltern bekommen ein Gefühl der Unerwünschtheit und des nur “Geduldetseins”. Inklusion wird zu einer “Kann-Leistung” degradiert. Es wird deutlich, dass die Schule menschenrechtlich und was die Anti-Diskriminierung angeht dringend Nachholbedarf hat.
Da erscheint es völlig absurd, wenn solche Schulen den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ tragen. Denn Diskriminierungen folgen immer demselben Schema: Menschen oder Gruppen von Menschen werden als minderwertig oder ungleich wahrgenommen und deshalb schlechter behandelt als andere, privilegierte Gruppen oder Menschen. Basis dieser Wahrnehmung bzw. Beobachtung sind die Differenzen, die bemerkt und konstruiert werden und zu Zuschreibungsprozessen führen können. Privilegien, Hierarchien und Marginalisierungen sind für die Analyse von Diskriminierungen besonders bedeutsam. Dabei ist jede diskriminierende Handlung in gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Rollenvorstellungen und Normalitätsdiskurse eingebettet (vgl. Karawanskij u.a. 2010, S.33). Werden solche Formen von Diskriminierungen gebilligt, sind auch das Bundesland und der Schulträger in der Pflicht einzuwirken.

Marc hat das Recht an dieser Schule zu sein, so wie er ist, die Bedingungen muss die Schule herstellen – nicht er und nicht seine Eltern. Dass es schon bei einer Willkommenskultur scheitert, ist sehr bedenklich. Hier scheinen ganz grundlegende Dinge nicht verstanden worden zu sein. Die Geschichte um Marcs Teilnahme an der Klassenfahrt erinnert an eine Zeit als alles noch von dem Engagement einzelner abhing, an eine Zeit als Gemeinsamer Unterricht noch in Schulversuchen erprobt wurde, wie 1975.

Wenn ein Schüler aufgrund seiner Behinderung von einem so wichtigen Ereignis für die Klassengemeinschaft ausgeschlossen wird, hat das für die gesamte Klasse negative Konsequenzen. Marc würde lernen: “Ich habe eine Behinderung. Diese Behinderung macht solche Probleme, dass ich eine Belastung für alle bin. Ich bin es nicht wert, dass man sich um mein Beisein bemüht“.

Gleichzeitig wird folgende Botschaft den Mitschüler/-innen gesendet: “Marc ist behindert. Diese Behinderung ist eine große Belastung für uns. Wir müssten uns einschränken und Rücksicht nehmen. Wir müssten wegen Marc zurückstecken. Behinderung ist schlecht für unsere Klasse. Behinderung behindert uns beim Lernen“. Dies ist das falsche Signal. Es fördert soziale Kälte und Ignoranz.

Richtig wäre: “Ja, Marc hat eine Behinderung. Wenn Menschen eine Behinderung haben, sind sie manchmal auf mehr Hilfe angewiesen. Wir als Klasse betrachten Marc als vollwertiges Mitglied der Klassengemeinschaft. Genauso wie wir dem einem beim Heimwehbekämpfen oder bei den Matheaufgaben helfen, helfen wir dem anderen beim An- und Ausziehen.” Das fördert Rücksichtnahme, Empathie und unser demokratisches Verständnis.

Da vieles versäumt wurde, ist Marcs Teilnahme an der Klassenfahrt nicht gesichert. Diskriminierung ist nur in ungleichen Machtbeziehungen möglich. Marcs Eltern sind darauf angewiesen, dass die Lehrer/-innen Marc und seine Familie nicht zu sehr als Störenfriede wahrnehmen. Marc will an diesem Gymnasium das Abitur schaffen. Diverse Untersuchungen zeigen, dass die Bewertungen der Lehrer/-innen nicht immer objektiv sind. So sind Marc und seine Familie auch auf das Wohlwollen der Lehrer/-innen angewiesen.

Gleichberechtigung und Chancengleichheit als Grundpfeiler der Inklusionsidee stehen nicht auf Seite eins im imaginären Lehrehandbuch für Klassenfahrten. Auch Anbieter für Klassenreisen, Fernreisebusse und Freizeit- und Bildungsangebote müssen sich auf eine heterogene Gruppe einstellen und Barrierefreiheit im umfassenden Sinn berücksichtigen. Hier ist bereits vieles im Wandel. Natürlich kann der bequemste Weg für eine Klassenreise gewählt werden. Ohne Marc braucht der Busfahrer nicht so viele Pausen machen, die Klasse kann wirklich jedes Museum mit den größten Barrieren für Rollstuhlfahrer/-innen besuchen, die Schüler/-innen können in jeden durch Stufen erreichbaren Fastfood-Laden stürmen und die Klassenlehrerin hat weniger Arbeit, weil sie nicht nach barrierefreien Orten gucken muss. Ohne Marc wäre alles einfacher, ohne Gleichberechtigung wäre alles einfacher, ohne Menschenrechte wäre alles einfacher – vorausgesetzt man sitzt am oberen Hebel der Gesellschaft.

Dieser negative Blick hat nicht mehr viel mit unseren demokratischen Werten zu tun. Und es stimmt auch nicht. Viele Erfahrungsberichte zeigen, dass die Vielfalt einer Gruppe zu wunderschönen überraschenden Ergebnissen führt, die für die ganze Klasse unvergesslich bleiben. Auf einer inklusiven Reise nach Schweden lernten die Jugendlichen ein Floß zu bauen, das auch einen Jugendlichen im Rollstuhl trägt. Das war eine schöne und nicht langweilige Herausforderung. Während der Nachtwanderung hielten sich viele an den Schultern eines blinden Mädchens fest, die durch den geübten Umgang mit dem Stock gekonnt die Gruppe durch die Nacht führte und im Gegensatz zu einigen anderen gar keine Angst im Dunkeln hatte. Durch den kaputt gegangen Walker (Rollator) eines Jugendlichen, wurde in einer Kleingruppe eine schwedische Autowerkstatt aufgesucht, wodurch sich eine völlig abgefahrene Gelegenheit für die Jugendlichen bot, die sie auch nutzten. Inklusion will den Blick für solche Perspektiven weiten. Hierfür muss noch viel getan werden.

©Inklusionsfakten
Karawanskij, Susanne (Hrsg.)/Pates, Rebecca/Schmidt, Daniel/Liebscher, Doris/Fritzsche, Heike: Antidiskriminierungspädagogik. Konzepte und Methoden für die Bildungsarbeit mit Jugendlichen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2010, S.30.

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Klaus-Dieter Dingel aus Bad Wildungen

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