Absolute Raritäten: Denkmalpreis des Bezirks Schwaben 2014 an Kemptens bedeutendstes Stadtpalais „Rotes Haus“

Friedberg: Südseite Hausansicht | Foto: Bezirk Schwaben
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Sonderpreise für vorbildliche Sanierung gehen nach Friedberg (Lk Aichach-Friedberg) an ein markantes Stadthaus sowie nach Augsburg an ein bäuerliches Söld-Anwesen.
Preisverleihung am 05. Mai in Augsburg

Historische Altstadtfeste, das Aufleben von Bräuchen, altem Handwerk oder das „wieder Tracht tragen“ erfreuen sich hierzulande großer Beliebtheit. Das neue Interesse an Heimat und Tradition fördert auch ein neues Bewusstsein für die langwierige, aber nachhaltige Arbeit der Denkmalpflege als einen unschätzbar wichtigen Dienst an der Allgemeinheit: „Denn Dorf- und Stadtbilder erhalten, heißt Heimat erhalten“, betont Bezirkstagspräsident Jürgen Reichert zur Preisverleihung. „Zunehmend erscheint auch Vielen ein liebloser oder rein nach materiellem Nutzen ausgerichteter Umgang mit der historischen Substanz unserer gewachsenen Kulturlandschaften unverständlich. Dank des außerordentlichen Engagements tatkräftiger Bürger konnten für den Denkmalpreis 2014 und die beiden Sonderpreise des Bezirks Schwaben in diesem Jahr wieder drei besondere Objekte aus unserer Region ausgezeichnet werden“, freut sich Bezirkstagspräsident Jürgen Reichert nach dem Bezirksbeschluss.

Der Denkmalpreis 2014 geht ins Allgäu für „die äußerst schwierige Instandsetzung eines der bedeutendsten barocken Bürgerhäuser Kemptens. Eine angemessene Nutzung integriert dazu das „Rote Haus“ in das städtische Umfeld, charakterisierte Bezirksheimatpfleger Dr. Peter Fassl die Perfektion des enormen Unterfangens und bescheinigte den Eignern „einen vorbildlichen Umgang mit einem bedeutenden Denkmal!“

Ein Sonderpreis kommt nach Friedberg für die Maßstäbe setzende ökologische und baubiologische Sanierung des markanten Stadthauses in der Jesuitengasse 13, erbaut um 1670.

Ein weiterer Sonderpreis kommt nach Augsburg-Bergheim, Zum Hinterfeld 6, für die vorbildliche Instandsetzung eines bäuerlichen Söld-Anwesens, das im Gebiet der Stadt Augsburg eine absolute Rarität darstellt und wie ein Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit an die Geschichte und Sozialstruktur des Ortes erinnert.

Die Preisverleihung ist am 5. Mai in Augsburg.

Die Festrede hält Dipl.-Ing. Julia Ludwar, Leiterin des Bauarchivs Thierhaupten zum Thema „Reparaturkultur“.

Für die Maßstäbe setzende, vorbildliche Sanierung wurden folgende Objekte in Abstimmung mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege vom Bezirk Schwaben mit dem Denkmalpreis 2014 und zwei Sonderpreisen ausgezeichnet. Zur Auswahl standen zahlreiche Vorschläge, eingereicht von den Kreis- und Stadtbauverwaltungen, dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege und den Heimatpflegern. Bezirksheimatpfleger Dr. Peter Fassl stellt die drei prämierten Objekte vor:

Denkmalpreis 2014 des Bezirks Schwaben, dotiert mit 10.000 Euro

Kempten, Sankt-Mang-Platz 5
Eigentümer: GKS Grundbesitz GbR
Architekten: Maucher + Höß, Kempten

Das Rote Haus, Sankt-Mang-Platz 3-5, bildet gegenüber der Kirche dominierend das bedeutendste Stadtpalais am Platz, ausgezeichnet durch die zwei Zwerchhäuser mit Volutengiebel über der Traufe. Es wurde um 1600 errichtet, im 18. Jahrhundert von der führenden Kemptner Familie Jenisch erworben und umgebaut. Im 19. Jahrhundert wurden Ladengeschäfte und eine Schuhmacherwerkstatt eingebaut, 1873 erfolgte die Trennung der beiden Häuser.

Zustand vor der denkmalpflegerischen Sanierung war traurig:
In den 1., 2. und 3. Obergeschossen waren jeweils eine große Wohnung untergebracht. Der zweigeschossige Dachraum diente als Abstellkammer. Um die Wohnungen abzutrennen, war das barocke Treppenhaus mit den Gewölbedielen bis zur Unkenntlichkeit unterteilt. Die Versorgungsleitungen und Zählereinrichtungen waren offen im Treppenhaus verlegt. Beheizt wurden die Nutzungseinheiten mit Etagenöfen.

Glücksfall - Lebenshilfe Kempten als Mieter gewonnen

In der über 3 Jahre dauernden Planungszeit wurden viele Nutzungskonzepte untersucht. Als Glücksfall erwies sich, dass die Lebenshilfe Kempten als Mieter gewonnen werden konnte, die die gesamten 750 m² Nutzfläche übernahm. Dadurch konnten Abtrennungen von Nutzungseinheiten entfallen und das ursprüngliche Raumgefüge wieder hergestellt werden. Die Treppen verbinden die ungeteilten, großzügigen Dielen mit Gewölben vom Erdgeschoß bis zum 2. Obergeschoß. Trennwände und neuzeitliche Einbauten in den herrschaftlichen Wohnräumen konnten entfernt werden.

Kompromisse waren notwendig

Der Brandschutz hatte Abweichungen zu akzeptieren, die mit einer Brandmeldeanlage und einer neuen außenliegenden Fluchttreppe kompensiert wurden. Der Denkmalschutz stimmte dem Einbau eines behindertengerechten Aufzugs zu, der das historische Raumgefüge nicht stört. Jedoch musste dafür der Antritt der historischen Treppe im Erdgeschoß in den anscheinend ursprünglichen Zustand rückgebaut werden. Der Nutzer nahm von seinem Konzept kleiner Einzelbüros Abstand.

Besonderes hervorzuheben sind

Die ursprünglich großzügige Raumwirkung mit den Gewölben im Erdgeschoss und der prägenden Treppenanlage ist wieder erlebbar. Die noch erhaltenen Ausstattungsteile wie die Türen, die breiten Dielen, Stuckdecken und besonders die stuckierte Decke im Treppenhaus wurden sorgfältig wieder in Wert gesetzt und bestimmen die Atmosphäre in den Räumen, die indirekt beleuchtet werden. Ein neues statisches Tragekonzept, verstärkt durch den Aufzug, war notwendig. Die Fluchttreppe an der Südseite des Hauses ist sympathisch bescheiden und zurückhaltend. Das Büro im Dachgeschoß macht die Raumqualitäten eines barocken Bauwerks (Dachstuhl, freigelegte Bruchsteinmauer) wieder erlebbar.

Vorbildlicher Umgang mit einem bedeutenden Denkmal

„Die äußerst schwierige Maßnahme setzte eines der bedeutendsten barocken Bürgerhäuser Kemptens wieder in Stand, in dem es die ursprüngliche Raumgestaltung erlebbar machte, die Ausstattung in Wert setzte, durch moderne Technik das Haus ertüchtigte und eine angemessene Nutzung integrierte“, charakterisierte Bezirksheimatpfleger Dr. Peter Fassl die Perfektion des enormen Unterfangens und bescheinigte den Eignern „einen vorbildlichen Umgang mit einem bedeutenden Denkmal!“
Die Kosten betrugen 1.450.000 Euro; direkte Zuschüsse wurden keine vergeben.

Sonderpreis 2014 dotiert mit 5.000 Euro
86316 Friedberg, Jesuitengasse 13, Stadthaus aus dem 17. Jahrhundert
Eigentümer: Kerstin Pamela und Markus Scholz

Das stattliche und markante Stadthaus in der Jesuitengasse direkt neben dem Spital wurde vermutlich um 1670 errichtet und, wie dendrochronologische Untersuchungen zeigen, gegen 1781 umgebaut und erweitert. Im 19. und 20. Jahrhundert war es ein Ackerbürgerhaus mit Stall und Stadel. Von der früheren Ausstattung des mehrfach umgenutzten Hauses sind noch zwei Decken mit gezogenem Stuck, aus dem 17. Jahrhundert mit Christusmonogram und mit klassizistischer Formgebung aus dem 18. Jahrhundert, dann die Hohlkehlen der Wohnräume und die gewölbten Kellerräume vorhanden. Die Grundrissaufteilung ist im Wesentlichen erhalten geblieben.

Familienprojekt mit 6.500 Arbeitsstunden

Mit hohem persönlichem Einsatz wurde die denkmalpflegerische Sanierung des Hauses durchgeführt, wobei Kerstin Pamela Scholz die Bauleitung übernahm und Markus Scholz mit seinem Schwiegervater in alten Handwerkstechniken viele Arbeitsleistungen in ca. 6.500 Arbeitsstunden durchführte. Praktisch der gesamte Fensterbestand wurde nach alten Abbildungen durch zweiflügelige Kastenfenster ersetzt, die mit Leinfirnis gestrichen wurden. Die Fassade und die Innenräume wurden mit Kalkputz versehen, der alte Betonputz hatte das Mauerwerk beschädigt. Die Betonplatte im Inneren wurde entfernt, ein neuer Bodenaufbau eingebracht, die Dachentwässerung verbessert. Dadurch konnte das Mauerwerk ohne Absperrung austrocknen. Die Betonplatte hatte die aufsteigende Feuchtigkeit in das Mauerwerk gedrückt. Für die Fußbodenbeläge im Inneren wurden teilweise alte Ziegel aus dem Baustoffhandel erworben (Recycling).

Die alte Fassadengliederung wurde durch Freilegung von Fenstern wieder hergestellt, kleine Fensterluken im Erdgeschoss erhalten (eine ehemalige Armenspeisung?).

Die Wohnung kennt kältere und wärmere Räume (mit Holzofen). Die kupfernen Wärmeleitungen sind über dem Putz verlegt.“ Die Familie Scholz hat im Prinzip den Stand des denkmalpflegerischen Wissens und die Bedeutung alter Handwerkstechniken, die etwa im Bauarchiv Thierhaupten erforscht und dort in öffentlichen Räumen angewandt werden, auf höchsten Niveau auf eigenes Risiko und teilweise ohne Gewährleistung durchgeführt. Die Maßnahme setzt auch im ökologischen und baubiologischen Bereich Maßstäbe, die bereits auf entsprechendes Interesse in Friedberg gestoßen sind“, bilanziert Bezirksheimatpfleger Dr. Peter Fassl das Unterfangen.
Die Kosten der Maßnahme beliefen sich auf 659.000 Euro; die öffentlichen Zuschüsse auf 17.930 Euro.

Sonderpreis 2014, dotiert mit 5.000 Euro
Augsburg-Bergheim, Zum Hinterfeld 6, bäuerliches Söld-Anwesen
Eigentümer: Dr. Anja und Dr. Sebastian Gairhos

Das historische Dorf Bergheim erstreckt sich an einer von Norden nach Süden verlaufenden Straße. Die historische Bebauung der Hauptstraße endet in einem Kreuzungspunkt, wo sich fünf Straßen treffen, von denen die beiden nach Westen führenden historisch bebaut waren. Hier findet man das Haus Zum Hinterfeld 6.

Bäuerliche Anwesen stellen im Gebiet der Stadt Augsburg eine absolute Rarität dar.
In den ursprünglich bäuerlich geprägten, 1972 eingemeindeten umgebenden Dörfern sind es noch die Anwesen Bürgermeister-Widmeier-Straße 33 in Haunstetten, Hornissenweg 11 in Inningen, das Anwesen Hauptstraße 32 und eben das Anwesen Zum Hinterfeld 6 in Bergheim, welche den städtischen Baudruck überstanden. Das Kleinanwesen (1860: 2,42 Tagwerk), das im 18. Jahrhundert ein Schuster, später ein Kramer bewohnte, war 1801 abgebrannt und noch im selben Jahr wohl etwas versetzt wieder aufgebaut worden. Im 20. Jahrhundert wurde es teilweise landwirtschaftlich genutzt. Es besteht aus einem Wohnteil, an den sich getrennt durch einen breiten Gang ein kleiner Stall und eine später angebaute Tenne anschließen.

Ursprüngliche Eigentümer wollten das später unter Denkmalschutz gestellte Haus abbrechen, die Familie Gairhos erwarb es 2010 und sanierte es in den Jahren 2011 bis 2013. Ein von der östlichen Traufseite erschlossener durchgestreckter Flur erschließt linker Hand Stube und Küche und führt rechter Hand in den Stall. An ihn schließt nach Norden der Stadel an. Eine einläufige Treppe führt vom Flur in das Obergeschoss, wo sich die Raumaufteilung des Erdgeschosses wiederholt. Erhalten haben sich die historische Treppe zum Obergeschoss mit ausgesägten Brettbalustern, alte Dielenböden und Böden mit quadratischen Solnhofener Platten, historische Füllungs-und Brettertüren und in der Oberen Stube ein runder Stuckrahmen an der Decke, mit dem der Hauptraum des Hauses hervorgehoben wird.

„Schutzmantel“ aus Mineralwolle sichert historischen Fensterbestand

Darüber hinaus zeichnet sich das Baudenkmal noch durch seinen gesamten historischen Fensterbestand aus. Im Rahmen der denkmalpflegerischen Sanierung wurde die historische Raumaufteilung aufgenommen und sämtliche Ausstattungselemente erhalten, repariert und instandgesetzt, soweit dies möglich war. Die Außenwände umhüllte man durch einen etwa 10 cm breiten „Schutzmantel“ aus Mineralwolle, um den Wärmeschutz zu verbessern und den Fensterbestand unangetastet erhalten zu können. Im Flur und im Stall wurden wiederverwendete alte Ziegel und Solnhofener Platten als Fußbodenbelag verwendet. Die Integration der neuen Funktionen in die vorhandene Raumstruktur geschah sensibel, so dass der ursprüngliche Raumeindruck erhalten blieb und wieder erlebbar wurde. Die Nordwand der Scheune (Bretterwand) musste ersetzt und der Dachstuhl darüber gesichert werden. Die Außenwände wurden teilweise unterfangen, das Haus erhielt eine neue Bodenplatte. Als Heizung dienten eine Fußbodenheizung und ein Ofen an der ursprünglichen Stelle im Erd¬geschoss.

„Die Besonderheit der Maßnahme liegt darin, dass ein völlig unscheinbares ländliches Söld-Anwesen in einem bevorzugten Augsburger Vorort, der seinen ländlichen Eindruck verloren hat, erhalten blieb und uns wie ein Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit an die Geschichte und Sozialstruktur des Ortes erinnert“, betont Bezirksheimatpfleger Dr. Peter Fassl. „Weiter zeigt die Maßnahme, dass es möglich ist, mit einem vertretbaren Aufwand - Sanierungskosten 320.000 Euro, Bezirkszuschuss 5.000 Euro - moderne Wohnbedürfnisse und heutige energetische Standards mit einfacher alter Baustruktur zu verbinden und so eine einmalige dorfbauliche Situation zu erhalten“.

Denkmalpreis-Kriterien des Bezirks Schwaben:

Der Bezirkstag von Schwaben hat in seiner Sitzung vom 13.12.2001 einen jährlichen Denkmalpreis (10.000 Euro) sowie 2 Sonderpreise (je 5.000 Euro) ausgelobt und dabei folgende Kriterien aufgestellt:
- die fachliche Qualität der Maßnahme
- das finanzielle Engagement des Eigentümers
- die Kreativität bei der Durchführung
- die Bedeutung des Denkmals.

Folgende Gesichtspunkte sind hervorzuheben:
Denkmale bewahren, die historische Baukultur, Dorf- und Stadtbilder erhalten, heißt Heimat erhalten. Erinnerungen an vertraute Orte geben Halt und Sicherheit, jeder Ort, jedes Gebäude ist einzigartig. Denkmale sind gebaute Geschichte. Sie bewahren die Erinnerung und ermöglichen Orientierung. Denkmalpflege ist eine kreative Aufgabe, sowohl für den Bauherrn wie den Architekten.

In der Regel stellen sich drei Themen: Erhalten, Umnutzen, mit neuem Leben erfüllen.

Fremdenverkehr ohne Denkmäler ist kaum möglich. Sie bedeuten eine Attraktivität von Ortschaften, Plätzen und Straßen sowie mehr Lebensqualität für die Denkmaleigentümer. Die Leistung der Denkmaleigentümer liegt im persönlichen Einsatz, ist eine anspruchsvolle Tätigkeit sowie ein unbezahlter Dienst an der Allgemeinheit. Denkmalpflege bedeutet nicht nur Mühe, sondern vor allem Freude an Denkmälern.

Weitere Informationen erteilt Bezirksheimatpfleger Dr. Peter Fassl, Telefon 0821 3101-310; heimatpflege@bezirk-schwaben

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