Die Lebensgeschichte meines Onkels Herbert - Fortsetzung

Fortsetzung der Berichte meines Onkel Herbert

Rettung eines Pionierhauptmannes
September 1943, Ostfront, westlich von Smolensk

Wir, eine kleine Gruppe von Infanteristen, hatten den Auftrag, Eisenbahnpioniere bei ihrer zerstörerischen Tätigkeit, und zwar dem Sprengen von Eisenbahnschienen und Eisenbahnschwellen der russischen Eisenbahn, abzusichern. Unser kleiner Trupp bestand aus einem knappen Dutzend Infanteristen. Die Eisenbahnpioniere waren anfangs, am frühen Nachmittag, knapp 30 Soldaten.

Alle 15 Minuten ging eine geballte Ladung hoch und es flogen Eisen- und Betonteile in die Luft. Gestört wurde diese Tätigkeit durch einige russische Scharfschützen (langläufiges Gewehr mit Zielfernrohr und als Munition Explosivgeschosse). 2 oder 3 Scharfschützen brachten zahlreiche Tote oder Schwerverletzte bei den Pionieren. Wir, die Infanteristen, lagen im Schutze eines Bahndammes und störten mit 2 MGs die Angriffe der Russen.

Als die Abenddämmerung aufkam, war nur noch eine Gruppe der Pioniere (3 Mann) im Einsatz. Alle anderen lagen tot bzw. schwer verwundet auf dem Bahndamm oder dahinter. Eine gewaltige Explosion auf dem Damm beendete dann das Sprengen der Schienen. Wahrscheinlich hatte ein Zufallstreffer in eine Munitionskiste mit Sprengstoff die letzten Pioniere dahingerafft. Übrig geblieben war der Hauptmann (Dienstgrad) der Pioniere. Als er sich den Schaden besah, den die Explosion angerichtet hatte, es lebte keiner mehr, erwischte ihn auch ein Explosionsgeschoss, aber nicht tödlich, denn ein metallischer Gegenstand (Spaten, Pistole) hatte die Wirkung abgemindert. Er lag auf dem Bahndamm und schrie jämmerlich.

Unser Feldwebel verbot uns, solange es nicht dunkel ist ihm zu helfen. Denn wir Infanteristen registrierten bis dahin noch keinen Verwundeten. Wir jagten aus gut gedeckter Stellung aller paar Minuten eine MG-Garbe in Richtung der Russen. Der Hauptmann stöhnte nur noch und rief zwischendurch leise: „Hilfe, Hilfe…“. Als die Dunkelheit es erlaubte, halfen wir ihm. Er besaß eine große Fleischwunde an der Hüfte. Es kam unterdessen der Befehl zum Rückzug.

Die verwundeten Pioniere hatten inzwischen ausgestöhnt, denen konnten wir nicht mehr helfen.
Etwa 30 Soldaten waren tot wegen einigen Kilometern Eisenbahnstrecke!!!

Was machten wir mit dem Hauptmann? Unser Feldwebel (höchster Dienstgrad) sortierte Soldaten, Waffen, Munition, und es blieben nur 2 Soldaten übrig, die bloß Gewehr und eigene Munition hatten. Ein Befehl lautete: Die Kampffähigkeit der Truppe musste erhalten bleiben. Das hieß in diesem Falle, Waffen und Munition hatten Vorrang vor Verwundeten. Die 30 Toten überließen wir den Russen, da waren wir (ca.10 Soldaten) völlig überfordert.

Aus einer Zeltbahn und ein paar Stangen fertigten wir eine provisorische Trage. Mein 2. Mann erwies sich zum Tragen völlig ungeeignet, außerdem bekam er auch noch einen Querschläger ab, der ihn am Arm verwundete. Jetzt fiel er endgültig aus und hatte mit sich selbst zu tun. Der Hauptmann bat mit leiser Stimme weiter um Hilfe. Nach einigem Hin und Her gelang es mit Unterstützung zweier Soldaten (Waffenträger) mir den Hauptmann mit einigen Riemen auf den Rücken zu binden. Nun wankte ich mit ca. 70-75 kg Gewicht auf dem Rücken, im Schutze des Bahndammes in Richtung Westen. Es gab das halbwegs gültige Gerücht, dass etwa in 5-8 km ein Verbandsplatz wäre. Flackerhafte Lichter am Horizont deuteten darauf hin. Am Fuße des Bahndammes verlief eine Art Weg und eine Reihe von Telegrafenstangen. Für mich waren die Telegrafenstangen das Nahziel zum eigenen Abstützen.

Noch vor 15 Monaten wurde ich durch meinem Chef Findeis beim Abtragen von Getreidesäcken trainiert. In einer Stunde musste ich ca. 20 Zentner Getreide auf den Schüttboden tragen, etwa 100m und 2 Treppen hoch. Wenn ich nicht mehr konnte, stand Findeis neben mir und brachte mir Atemübungen bei. Einen vollen Sack auf dem Rücken und dann 10-12x tief einatmen und schon ging es weiter.

So stand bzw. lief ich mit dem Hauptmann auf dem Rücken von Telegrafenstange zu Telegrafenstange und machte meine Atemübungen dabei. Ich mag mit meiner Last ca. 800-1000m vorangekommen sein, da trennte sich Eisenbahndamm und Feldweg. Die Telegrafenstangen liefen weiter am Bahndamm entlang. Ich entschloss mich, in Richtung der Lichter den Feldweg zu nehmen, ohne die Telegrafenstangen, die mir zeitweise Halt gaben. Nach ein paar Minuten oder auch mehr tauchten Ruinen von Häusern auf. Es sah wie ein zerstörter landwirtschaftlicher Betrieb aus, landwirtschaftliche Maschinen und Geräte lagen herum. U. a. entdeckte ich eine Schubkarre, die man zum Transport von Gras, Heu oder Stroh benutzte. Das war es, was ich suchte. Ich ließ mich mit meiner Last auf die Schubkarre sinken. Ich befreite mich von meiner Bürde, dabei kam der Hauptmann wieder zu Bewusstsein, und er dachte wohl, ich wollte ihn liegen lassen. Mit etwas Stroh polsterte ich die Karre und nun ging es wesentlich leichter in Richtung Truppen - Verbandsplatz. Es mögen nur noch 2-3km gewesen sein. Im Mondschein lieferte ich den verwundeten Hauptmann
ab und suchte wieder meine Einheit, die ich nach Stunden fand.

Hier endete für mich die Sache, und ich wusste nicht, dass das Ganze eine Art Fortsetzung hatte. Die Fortsetzung begann 1947, ohne dass ich es merkte.

Bürgerreporter:in:

Gisela Ewe aus Aschersleben

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